"Hey, ich hab' gehört, Peter Maffay ist da auch! Und dieser NSA-Typ!" - "Das gibt's immer noch!?" - "Ist das was Gutes?". Das waren nur einige ausgewählte Reaktionen aus meinem Freundeskreis auf die Nachricht, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal auf einer DER deutschen Traditionsmessen zugegen sein werde – der CeBIT in Hannover. Im Vorfeld von Deutschlands größter IT-Messe habe ich mich auch eingehend mit ihrer Geschichte befasst. Nicht nur in Form der Web-Recherche, sondern auch in Gesprächen mit Kollegen, für die die CeBIT seit vielen Jahren zum Berufsalltag gehört.
Bei so manchem Berufsgenossen ist während der Reminiszenz-Sessions ein nostalgisches Funkeln in den Augen auszumachen. Was muss da los gewesen sein in Hannover, Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre? Rauschende Partynächte untermalt von der Sanges-"Kunst" längst verjährter Musik-Sternchen, dazu Produktneuheiten und -premieren wie am Fließband und Besuchermassen von "Wies'n"-Ausmaßen.
Und heute? An der Entwicklung der CeBIT – insbesondere seit dem Jahr 2003 – lässt eigentlich kaum jemand ein gutes Haar. Im weltweiten Netz ist die Stimmung schon lange vor der Messeeröffnung am Boden: Das Konzept der Business-Messe funktioniere nicht gut, die künstlichen Slogans gingen am Zeitgeist vorbei und abgesehen vom Hosenanzug am burschikosen Leib der Kanzlerin feiere Neues sein Debüt keinesfalls mehr in Hannover. Vielleicht in Barcelona oder Las Vegas, aber sicher nicht hier.
Selbstgeißelung 4.0
Nun sind die Deutschen ja gemeinhin bekannt dafür, gerne zu jammern. Über Geld, Politik, Fußball, Autos – ja eigentlich über so gut wie jeden Bereich des öffentlichen und privaten Lebens. Insofern ist es auch gar nicht verwunderlich, dass in der deutschen IT-Branche ebenfalls gejammert wird. Mit Verwunderung muss ich allerdings feststellen, dass hier irgendwie noch ein Hang zum Masochismus dazu kommt. Die eigene Branche wird vor allem in zahlreichen Studien und Untersuchungen regelmäßig klein geredet: Zu wenig Innovation, zu wenig Silicon-Valley-Mentalität, zu wenig Förderung durch die Politik – wenn man als "Frischling" liest, wie sich diese Branche selbst sieht, fühlt man sich oft in eine Art "IT-Endzeit" versetzt. Dementsprechend stelle ich mich vor der Abreise auch auf eine schlecht besuchte, trostlose und relativ innovationsarme Messe ein.
China und die Messe-Realität
Am ersten Messetag bin ich nach einem morgendlichen Spaziergang durch das Hannoveraner Messeumland mit seinen breiten Schnellstraßen und den allgegenwärtigen, dampfenden Hinterlassenschaften von Polizeipferden dann aber mehr als überrascht. Am Haupteingang herrscht Gedränge. Viele, vor allem junge, Leute warten auf Einlass und scheinen begierig, die CeBIT in sich aufzusaugen. Ein paar Menschenrechts-Aktivisten vor dem Gelände sorgen gleichwohl für marginale Missstimmung. Mit China haben sich die CeBIT-Verantwortlichen einen Partner "geangelt", der aus politischer Sicht durchaus diskutabel ist.
Vielleicht kommt das aber auch gar nicht ungelegen, schließlich gibt es ja bekanntlich keine schlechte Presse. Und durch die Partnerschaft mit dem Reich der Mitte konnte man immerhin Chinas Vorzeige-Geschäftsmann Jack Ma für die Messeeröffnung gewinnen und einen Aussteller-"Boost" (circa 600 Unternehmen aus China) als "Gratis"-Zugabe verbuchen. Was "political correctness" angeht, dürfte die Live-Schalte mit Edward Snowden ja wieder für ein paar positive Karma-Punkte gesorgt haben.
Meine Rundgänge über das Messegelände während der nächsten Tage machen mir jedenfalls klar, dass auf der CeBIT 2015 von Besuchermangel und schlechten "Vibes" keine Rede sein kann. An den Ständen von IBM, Microsoft, SAP, der Telekom und Konsorten tummeln sich jeden Tag Besuchermassen an allerhand Bildschirmen, während hübsche Unternehmensrepräsentantinnen auf High Heels kokett um die Wette strahlen und Produktmanager mit gierigem Blick Ausschau nach ihren nächsten "Opfern" mit Presseausweis halten. Und auch an den Ständen der vielen kleinen, mittelständischen Unternehmen wird munter diskutiert, verkauft und "ge-network-ed". Von der "großen IT-Depression" wie sie sich während meiner Recherche angedeutet hat, ist hier in Hannover nichts zu spüren.
Das Motto und die Zukunft
Auf Pressekonferenzen, in Vorträgen und während meiner Gespräche mit Experten und Unternehmern zeigt sich, dass die deutsche ITK-Branche keineswegs in Schockstarre darauf wartet, von anderen Ländern überrannt zu werden. Im Gegenteil: Egal, ob globales Unternehmen, Mittelstands-Business oder Startup – sie alle wollen mit Fleiß und Know-how den ITK-Standort Deutschland zur Nummer Eins machen. Insbesondere die Startup-Unternehmen in der Code_n-Halle tun sich mit frischen Konzepten und innovativen Ideen hervor. Kein Zweifel – hier schlägt 2015 das Herz der CeBIT.
Im Allgemeinen stehen die Themen Security, Cloud Computing und Digitalisierung auf der Messe klar im Vordergrund. Dahingehend trifft der Slogan "d!conomy" eigentlich schon ganz gut. Aber dieses Ausrufezeichen! Buchstaben durch Sonderzeichen zu ersetzen, war vor zika zehn Jahren unter "Web-Geeks" bestimmt schwer angesagt. Heutzutage ist so ein Kunstwort mit Sonderzeichen-Lapsus als Leitmotto für eine Business-Messe dagegen eher ungeeignet. "Epic fail" wäre in diesem Fall wohl der passende "In"-Begriff.
Betrachtet man ausschließlich die nackten Zahlen, muss die diesjährige CeBIT als Erfolg gewertet werden. Die Besucherzahl ist immerhin um ganze sechs Prozent gestiegen – 221.000 Menschen waren 2015 auf der Hannoveraner Computer-Institution. Für den Branchenverband Bitkom ist der Wandel zur reinen Business-Msse damit bereits erfolgreich vollzogen. Ob hier zu vorschnell geurteilt wurde, müssen die kommenden Jahre zeigen.
Mein Fazit zur CeBIT 2015
Ich persönlich kann aus meiner ersten CeBIT nur ein ausgesprochen positives Resümee ziehen. Die Computer-Messe zeichnet im Jahr 2015 ein zuversichtliches und positives Bild – sowohl bezogen auf die gesamte Branche, als auch auf die Messe selbst.
Ein großes Problem der CeBIT: Ihre lange Tradition ist insbesondere über die letzten wandlungsintensiven Jahre zur Last geworden. Natürlich erinnert man sich (wahrscheinlich) gerne an die fetten CeBIT-Jahre mit ständig neuen Besucherrekorden, ausufernden Partys und großen Produktpremieren. Aber genau hier liegt auch das Problem – die Umstände haben sich nun einmal schon vor Jahren geändert. Der Mobile World Congress und die IFA ziehen inzwischen die Massen an – das muss man einfach akzeptieren und "loslassen". Der Wandel der CeBIT zur B2B-Fachmesse war und ist nötig, ansonsten könnte sie nicht überleben.
In dieser Form mag die CeBIT zwar keine aufsehenerregenden Smartphone-Premieren bieten, dafür ermöglicht sie Business-Kunden und -Vertretern einen intensiveren Austausch miteinander, sowie tiefgehende Einblicke in neue Konzepte, Technologien und Trends. Genau das braucht die Branche in Deutschland. Nur durch gegenseitige Inspiration und Kooperation kann es gelingen, den ITK-Standort Deutschland zum neuen, "besseren" Silicon Valley zu machen. Oder um es mit den Worten von Peter Maffay (dessen Auftritt ich leider verpasst habe) zu sagen: "Blick nach vorn – nicht zurück, weil du immer noch am Ruder bist."