Fragt man eine zufällige Anzahl an Linux-Anwendern, welche denn nun die beste Linux-Distribution sei, so bekommt man ein Vielfaches dieser Zahl an Meinungen, Einwürfe und Empfehlungen zurück. Und dazu eine Menge obskurer Geek-Weisheiten und mit religiösem Eifer verfochtene Überzeugungen zu Usability, Paketformaten und Entwicklungsmodellen. Abfällige Bemerkungen über die jeweils anderen Distributionen inklusive.
Auf Einsteiger wirkt das alles abschreckend bis arrogant und ist bei Anfängerproblemen selten hilfreich. Für Neuankömmlinge in der Linux-Welt bringt die gebotene Vielfalt nach wie vor die Qual der Wahl, auch wenn das Einsatzgebiet wie Desktop oder Server klar ist. Nicht jedes System passt in jedes Umfeld, zu jedem Wissensstand und zu allen Geschmäckern.
Orientierungshilfe und Bewertung
Die Landkarte der Linux-Distributionen zeigt einige große bekannte Kontinente und unzählige kleinere Provinzen. Der folgende Distributions-Check nimmt sich die tonangebenden Systeme vor. Mancher Linux-Kenner mag hier sein eigenes Lieblingssystem vermissen, denn der Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Umgekehrt sind einige Distributionen aufgeführt, die technisch keinen Platz als selbständiges Linux verdienten, aber einfach zu populär sind, um sie hier wegzulassen.
Die jeweiligen Stärken und Schwächen der Distributionen zeigt jeweils ein Radardiagramm mit den Bewertungskriterien, wie sie die Legende auf dieser Seite auflistet. Die "Leistung" gibt den Erfahrungswert wieder, wie schnell und leistungsfähig ein System in der Standardkonfiguration ist. Was die Radargrafiken schnell auf den ersten Blick zeigen, sind die Stärken und Schwächen einer Distribution. Und auch, dass es das perfekte Universal-Linux nicht gibt, sondern immer das anvisierte Einsatzgebiet entscheidend für die richtige Wahl ist.
Ausschlaggebend ist in der Wertung der Zustand einer Distribution, wie sie sich im Jahr 2016 präsentiert hat. Da die hier ausgewählten Systeme aber keinen umfangreichen Änderungen im Quartalsrhythmus unterliegen, wird die Bewertung und Einschätzung einige Jahre Bestand haben.
Im Anschluss an die Kurzcharakterisierungen und Radargrafiken folgt noch ein pragmatischer Ratgeber mit der Aufgabe, die Distributionswahl deutlich zu vereinfachen.
Arch Linux
Obwohl Arch mit hohem Do-it-Yourself-Faktor, der schon bei der Installation beginnt, als Anachronismus erscheint, hat sich die Distribution enorm viele Freunde in der fortgeschrittenen Anwenderschaft gemacht: Arch legt Wert auf einen schlanken Aufbau und manuelle Konfiguration und versteckt die Innereien des Systems nicht hinter distributionsspezifischen Tools. Lohn der Mühe ist die volle Kontrolle darüber, was auf dem System installiert ist. Zum Bekanntheitsgrad von Arch trägt dessen hochkarätiges Wiki mit größtenteils englischsprachigen Anleitungen zu System und Software bei. Als "Rolling Release" lässt sich Arch über den Paketmanager auf dem neuesten Stand halten. Einen Standarddesktop gibt es nicht.
Der typische Arch-Anwender ist definitiv kein Einsteiger, sondern ein avantgardistischer Linux-Fan mit langjähriger Erfahrung, der sich selbst zu helfen weiß und Linux-Systeme aus den hochaktuellen Paketquellen selbst zusammenstellt.
Offizielle Webseite: www.archlinux.de
Debian GNU/Linux
Das System für höchste Ansprüche an Stabilität ist in der turbulenten Linux-Entwicklung der Fels in der Brandung und mit 23 Jahren eine der dienstältesten Distributionen. Auf neueste Pakete legt die Entwicklergemeinde keinen Wert. Deswegen werden Programme und Komponenten langsamer aufgenommen als bei der Konkurrenz. Auf dem Debian-Paketformat DEB und der Paketverwaltung APT ist auch Ubuntu aufgebaut. Neue Debian-Ausgaben erscheinen rund alle zwei Jahre und die Entwicklung erfolgt in mehreren Zweigen: Debian Unstable bietet neueste Software, die für weitere Tests in Debian Testing aufgenommen wird, das wiederum die Vorstufe zu Debian Stable ist.
Der typische Debian-Anwender sucht ein grundsolides Serversystem für professionelle Aufgaben oder bevorzugt konservative Desktops. Die Programmversionen dürfen dabei auch älter sein - Hauptsache, alles ist gründlich getestet.
Offizielle Webseite: www.debian.org
Fedora
Das von Red Hat gesponserte Fedora ist ein Trendsetter mit topaktueller Programmauswahl. Es spricht ambitionierte Anwender an, die ein möglichst aktuelles Linux für den Desktop-Einsatz suchen. Wenn sich eine Technologie wie der neue Init-Daemon Systemd bei Fedora bewährt hat, wandert sie später zu Red Hat Enterprise Linux. Fedora nutzt das RPM-Paketformat und ist vornehmlich für den Desktopeinsatz geschaffen, da sich das System mit häufigen Updates oft ändert. Die typische Desktopumgebung ist Gnome 3, aber auch Mate, LXDE und KDE können sich unter Fedora sehen lassen. Die Installation erfolgt über Livesysteme oder mit der universellen DVD-Ausgabe. Der Installer ist eher umständlich.
Der typische Fedora-Anwender hat beruflich oft mit Red Hat Enterprise Linux oder Cent-OS zu tun oder ist sogar Administrator, will aber zu Hause lieber ein aktuelleres Fedora, das schon mal eine Vorschau auf das nächste Red Hat bietet.
Offizielle Webseite: http://fedoraproject.org
Gentoo Linux
Auch wenn der Stern Gentoos langsam sinkt, ist diese Distribution kein Fall für die Geschichtsbücher. Das liegt auch an Google Chrome-OS, das seit 2010 auf das anpassungsfähige Gentoo als Basis setzt. Gentoo zeichnet sich wie Arch durch ein eigenes Paketformat aus, das mit dem Paketmanager Portage an die "Ports" von Free BSD erinnert. Dies erlaubt die Kompilierung von Programmen nach Bedarf aus einem Repository mit mehr als 10?000 Quellpaketen. Dies ist eindeutig ein Fall für Fortgeschrittene, die sich um jedes Detail und die Konfiguration selbst kümmern. Gentoo ist ein "Rolling Release", das sich über den Paketmanager auf dem neuesten Stand halten lässt.
Der typische Gentoo-Anwender scheut keine hohen technischen Ansprüche, weil er die Anpassungsfähigkeit und Quelltextpakete schätzt, die Gentoo zu einem besonders schnellen System machen. Die Installation erfolgt per Scripts.
Offizielle Webseite: www.gentoo.org
Linux Mint
Das populäre Linux Mint begann als inoffizielle Ubuntu-Variante mit umgestaltetem Desktop und trat erst über die Jahre mit zahlreichen Eigenentwicklungen langsam aus dem Schatten des Vorbilds. Mint basiert immer noch auf Ubuntu LTS und erscheint stets eine Weile nach einem neuen Ubuntu, setzt aber genügend eigene Akzente, um hier als eigene Distribution durchzugehen. Eigene Entwicklungen gehen von Konfigurationstools bis hin zur Arbeitsumgebung Cinnamon und den neuen X-Apps. Linux Mint ist in der undogmatischen Linux-Anwenderschaft sowie unter Umsteigern beliebt, die ein unkompliziertes Desktop-Linux suchen. Für den Servereinsatz ist es aufgrund der Softwareauswahl und vereinzelt auftretenden Paketkonflikte ungeeignet.
Der typische Mint-Anwender sucht ein anwenderfreundliches Desktop-Linux. Zudem ebnen viele Analogien zu Windows dem Windows-Umsteiger den Weg zu Linux.
Offizielle Webseite: www.linuxmint.com
Open Suse
Einen langen gewundenen Weg hat Open Suse hinter sich, das bereits 1992 in Deutschland entstand und auf dem RPM-Paketformat basiert. Das System war über lange Jahre die einzige namhafte Distribution, die ein benutzerfreundliches, grafisches Desktop-Linux anbot und erfreute sich insbesondere in Deutschland größter Beliebtheit. Mittlerweile musste Open Suse den Pokal für Einsteigerfreundlichkeit an Ubuntu und Linux Mint abgeben, punktet aber immer noch mit exzellentem KDE-Desktop und grafischen Konfigurationshilfen. Seit der Übernahme durch Novell 2005 ist es wie Fedora ein von der Community entwickeltes Projekt. Die Paketauswahl ist nicht brandaktuell, lässt sich aber durch inoffizielle Paketquellen des Build Service erweitern.
Der typische Suse-Anwender setzt auf das grafische Menüsystem von Yast zur Administration oder ist ein Traditionalist, der mit Suse zu Linux kam und ihm bis heute treu bleibt.
Offizielle Webseite: http://de.opensuse.org
Slackware
Als Fossilhat sich Slackware in eine Nische zurückgezogen, in der hauptsächlich Entwickler und Administratoren zu Hause sind. Die älteste aktive Distribution war anfangs die Basis für Suse Linux. Slackware vertritt bis heute die reine Lehre der Linux-Administration: Es gibt bis auf den Installer kaum Konfigurationshilfen. Lediglich Scripts helfen bei der Programminstallation und Systemaktualisierung. Dies ist auch auf das Paketformat zurückzuführen, das TAR-Archive ohne ausführliche Metadaten nutzt. Dies erlaubt eine sehr freie Systemeinrichtung mit dem Nachteil einer fehlenden Abhängigkeitsprüfung. Slackware ist sehr schnell und schlank und mit seinen stabilen Programmversionen servertauglich.
Der typische Slackware-Anwender hat meist schon ein paar graue Haare mehr auf dem Kopf oder im Gesicht, ist bei Linux-Systemen auf ausführlich getestete, stabile Versionen bedacht und will maximale Konfigurationsmöglichkeiten.
Offizielle Webseite: www.slackware.com
Ubuntu
Die Distribution mit ungebrochener Popularität auf dem Desktop verfolgt den Anspruch, ein universelles System für PCs, Server und Mobilgeräte zu sein. Das Kernsystem basiert auf Debian. Auf dem klassischen Desktop-PC genießen offizielle Varianten mit Mate, XFCE und LXDE seit der Einführung der kontroversen Oberfläche Unity mehr Aufmerksamkeit. Alle zwei Jahre erscheint eine Ubuntu-Ausgabe mit Langzeitsupport von fünf Jahren. Vom Vorbild Debian übernimmt Ubuntu das DEB-Paketformat und APT, ist aber zu Debian nicht kompatibel. Entwickelt wird Ubuntu von einer Community und der Firma Canonical. Für den Servereinsatz sind nur die LTS-Versionen sinnvoll.
Der typische Ubuntu-Anwender will ein einsteigerfreundliches Allround-Linux mit großer Community und häufiger Erscheinungsfrequenz. Ubuntu eignet sich für Server und PC-/-Notebook-Desktop gleichermaßen.
Offizielle Webseite: www.ubuntu.com
Android-x86
Android ist keine herkömmliche Linux-Distribution. Von Google wurde Android ursprünglich parallel zu Chrome-OS für Smartphones geschaffen; Kernkomponenten wie die Android Runtime für Java-Apps und die touchorientierte Oberfläche sind dafür maßgeschneidert. Trotzdem ist das System so anpassungsfähig, dass OEMs und Entwicklergemeinden eigene Ausgaben bauen. Android-x86 und Remix-OS sind Vertreter dieser Gattung und werden wie Linux-Distributionen als installierbare Livesysteme ausgeliefert - aufgrund lizenzrechtlicher Beschränkungen allerdings ohne Google-Apps, zu welchen auch der App Store Google Play gehört. Wer Android-x86 auf PCs einsetzen will, muss APKs manuell installieren oder mit dem App-Store-F-Droid vorlieb nehmen.
Der typische Android-X86-Anwender will eine simple Oberfläche auf einem Zweit-oder Drittrechner, muss aber für die Einrichtung Experimentierbereitschaft mitbringen.
Offizielle Webseite: www.android-x86.org
(PC-Welt)