Gedanken und Tipps zur erfolgreichen Gestaltung hybrider Arbeitsmodelle

Damit „Working from home” nicht zum „Living at work” wird

03.02.2022 von Andrea Trapp
Viele Firmen haben sich in den vergangenen Monaten gefragt, wie sie Arbeit in Zukunft organisieren und an die Veränderungen unserer Zeit anpassen sollen.
Immer mehr Angestellte wollen vorwiegend im Homeoffice arbeiten. Kluge Arbeitgeber respektieren diesen Wunsch.
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Der Konstanzer Homeoffice-Studie zufolge wünschen sich zwei Drittel aller Befragten hybrides Arbeiten, während 21 Prozent nur im Homeoffice und zwölf Prozent nur im Büro arbeiten möchten. Die Zahl derer, die hybrid oder rein remote arbeiten wollen, ist im Vergleich zu ähnlichen Umfragen während der ersten Welle der Pandemie stark angestiegen.

Viele Unternehmen respektieren diese Wünsche: Siemens-Angestellte beispielsweise können in Zukunft bis zu drei Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten, SAP stellt es seinen Mitarbeitern frei, von wo aus sie tätig sind und auch beim Autobauer Opel sollen in Zukunft drei Viertel der Belegschaft überwiegend von zu Hause aus arbeiten.

Grundlage dafür sind Cloud-Technologien. Gut, dass der Cloud Monitor 2021 von KPMG in Zusammenarbeit mit dem Branchenverband Bitkom herausfand, dass sich lediglich drei Prozent der Unternehmen auch in der Corona-Pandemie noch nicht mit Cloud-Computing beschäftigen, die meisten Unternehmen mittlerweile jedoch längst eine Cloud-First-Strategie verfolgen.

Die vier großen Bs oder Grundregeln für die Umstellung auf mobiles Arbeiten

Um Konfliktlinien bei der Frage, wer wann mobil arbeiten kann, zu verhindern, sind Richtlinien innerhalb eines Unternehmens, die das flexible Arbeiten für alle Mitarbeitern verbindlich festlegen, elementar. Der Brüsseler Think Tank Bruegel schreibt dazu in einem kürzlich veröffentlichten Policy Paper, dass für Remote-Worker in vielen Arbeitsumgebungen vor der Pandemie ein hohes Risiko bestand, aus den organisatorischen Arbeitsabläufen der Unternehmen regelrecht herauszufallen bzw. verdrängt zu werden. Um das zu verhindern, müssen Unternehmen vier Bereiche beachten:

  1. Bricks: Das Büro als physischer Raum muss neu gedacht werden.

  2. Bytes: Teams müssen die richtigen Tools zur Hand haben, um auch virtuell gut zusammenarbeiten zu können.

  3. Behaviour: Die Unternehmenskultur muss auf Vertrauen basieren und inklusiv sein.

  4. Blueprint: Unternehmensweite Richtlinien regeln das "Wie" der Zusammenarbeit unterschiedlicher Teams.

1. Bricks: Das Büro als einen sozialen Raum denken

Solange Wissensarbeit auf physischen Medien wie Papier beruhte, war es sinnvoll, zentrale Orte für Arbeit in Form von (Großraum-)Büros zu schaffen, die jedoch nicht selten an "geistigeLegebatterien" erinnerten. Das Internet - befeuert durch die Pandemie - hat das Büro als Ort der industriellen Wissensarbeit erfolgreich verdrängt und ihm stattdessen die Bedeutung eines sozialen Raums verliehen. Denn diverse Studien und Befragungen belegen, dass es sich im Homeoffice mindestens so konzentriert arbeiten lässt wie in einem Büro im Firmengebäude.

Denkt man also Büro als sozialen Raum, kann man in den (Zusammen-)Arbeitsräumen des New Normal durchaus auf Schreibtische verzichten und Mitarbeiter stattdessen Cafés, Sitzgelegenheiten, natürlich auch Konferenzräume und Whiteboards mit Möglichkeiten für hybride Videokonferenzen oder eigene Videokonferenzräume für vollständig verteilte Teams anbieten. Sollte mancher schon öfter die Sinnhaftigkeit dauerhaft angemieteter Großraumbüros hinterfragt haben, wäre jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt, um bei Bedarf auf Coworking-Spaces zu setzen, deren Einrichtung flexibel angepasst werden kann.

2. Bytes: Die richtigen Tools - und wie man sie nutzt

Keine Frage: Wir alle haben die Vorteile von Videokonferenzen in den letzten Monaten schätzen gelernt. Aber haben wir diese Tools auch richtig genutzt? Viele Unternehmen haben während des Lockdowns synchrone, persönliche Kommunikation wie etwa Besprechungen einfach durch synchrone digitale Kommunikation ersetzt - mit dem Ergebnis, dass fast der ganze Tag mit Videokonferenzen gefüllt war.

Eine einfache Möglichkeit, die Zahl der - virtuellen und realen - Meetings zu reduzieren, ist der "Drei D"-Test: Ein Meeting ist dann sinnvoll, wenn es um "decisions" (Entscheidungen), "debates" (strategische Fragen) und "discussions" geht (etwa Brainstormings, Feedbackgespräche etc.). Alle anderen Meetings wie zum Beispiel Status-Updates könnten asynchron stattfinden.

Um nicht in undynamischen Meetings oder Feedbackschleifen zu kleben, sind Alternativen gefragt. Langatmige E-Mails und Dokumente können zum Beispeil durch kurze Videobotschaften ersetzt werden, die eine schnellere, lebendige Kommunikation mit dem Team ermöglichen. Die persönlichen Nachrichten sorgen für Kontext und eine stärkere Bindung.

Es gibt auch ein Video-Kollaborations-Tool, welches das Sammeln und Verwalten von Feedback sowie die Reaktion darauf erleichtert und an einem Ort übersichtlich vereint. Teamkollegen müssen sich ein Video nicht erst zeitraubend herunterladen und separates Feedback in Form von Notizen in E-Mails oder Text-Dokumenten geben, sondern werden durch dieses Live Review-Feature lebendiger.

3. Behaviour: Die Unternehmenskultur digital erlebbar machen

Der Think Tank Bruegel beschreibt die Kultur eines Unternehmens in der oben bereits zitierten Studie als einen Eisberg: Manche Elemente sind sichtbar, viele jedoch unsichtbar. Sie werden erst durch das Beobachten und die Zusammenarbeit mit Kollegen deutlich. In einem digitalen Umfeld sind diese impliziten Regeln und Normen noch schwieriger zu erkennen. Flexible Arbeit braucht deswegen ein anderes Management-Verständnis, das auf Vertrauen und Autonomie aufbaut und Mitarbeiter im Homeoffice explizit einschließt. Studien zeigen, dass Angestellte, die vorwiegend zu Hause arbeiten, seltener befördert werden als ihre Kollegen aus dem Büro.

4. Blueprint: Flexibles Arbeiten nach klaren Richtlinien

Die entscheidendste Regel betrifft vermutlich die Erwartungen an Erreichbarkeit und Reaktionszeit von Mitarbeitern in Remote-Phasen. Denn die Vorteile von flexibler Arbeit können erst dann ausgeschöpft werden, wenn Unternehmen proaktiv Zeit für "deepwork" schaffen, also ungestörtes, konzentriertes Arbeiten. Eine Idee zur Realisierung tiefer Konzentrationszeiten ist die Trennung der Tagesarbeitszeit in Phasen für fokussierte Einzelarbeit und andere Phasen für die konzentrierte Zusammenarbeit in Teams.

Einigen Firmen ist das durch die Einführung so genannter "core collaboration hours" gelungen: Vier Stunden am Tag, die für synchrone Arbeit wie regelmäßige Besprechungen, Videokonferenzen und Check-Ins genutzt werden sollen, damit der Rest des Tages möglichst frei von Meetings und Videokonferenzen ist.

Andere Unternehmen haben Meeting-freie Tage oder "virtuelle Sprechstunden" eingeführt, in denen Mitarbeitern Zeit für Gespräche mit Führungskräften buchen können - also hybride Äquivalente zu einer "open door policy". Im Kern geht es darum, bewusst einen (Zeit-) Raum für Austausch und Begegnung zu schaffen - das Invest zahlt sich aus!

Zudem ist es ganz wichtig, Mitarbeitern Zeitautonomie zu gewähren, also die größtmögliche Bestimmung über die Einteilung ihres Arbeitstages außerhalb der Core Collaboration Hours. Dazu ein deutlicher Rat: Schaffen Sie bewusste Zeiten für Nicht-Erreichbarkeit! Denn genau da, wo Arbeit und Privatleben komplett miteinander verschmelzen, besteht die Gefahr von Erschöpfung und Burnout.

Damit aus „working from home” nicht „living at work” wird, sollten Arbeitgeber und Belegschaft sich unbedingt auch über Nichterreichbarkeit verständigen.
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In Frankreich beispielsweise gibt es bereits seit 2017 ein "Recht auf Nichterreichbarkeit" für Angestellte; in Deutschland haben einige Unternehmen ähnliche Regeln über Betriebsvereinbarungen eingeführt. Ein schönes Beispiel bei Dropbox ist die "unplugged PTO". An Werktagen, für die ein offizieller Urlaubsantrag bewilligt wurde, werden automatisch für die gesamte Zeit der Abwesenheit alle Benachrichtigungen ausgeschaltet.

Präsenz, hybrid oder virtuell: Auf die richtige Mischung kommt es an

Trotz der Veränderungen, die die Arbeitswelt durch die Erfahrungen mit der Pandemie vollzogen hat, scheint es noch zu früh, um tatsächlich fundierte Prognosen abgeben zu können, welche Arbeitsformen sich durchsetzen werden. Selbst unseren gewählten "Virtual First"-Ansatz werden wir in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder und weiter an die dynamischen Entwicklungen anpassen. Ein paar Regeln lassen sich allerdings schon festhalten:

Hybride Arbeit, bei der ein Teil der Mitarbeitern im Büro arbeitet und ein Teil im Homeoffice oder einem Coworking-Space, birgt das Risiko einer unbeabsichtigten Benachteiligung der Mitarbeiter, die nicht ständig präsent sind. Unternehmen müssen systematische Voreingenommenheiten zu Ungunsten von Homeoffice-Mitarbeitern (gerade bei Beförderungen) unterbinden und ihre Prozesse idealer Weise so gestalten, dass sie grundsätzlich von überall aus erledigt werden können ("remote first").

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