Systeme für das Web Content Management (WCM) gehören mittlerweile zumindest bei größeren Unternehmen zur Standard-Ausstattung. Das ist keine Überraschung, denn einerseits haben Websites heute einen äußerst hohen Stellenwert, zum anderen sind ihre Inhalte zu umfangreich und zu komplex strukturiert, um sie ohne professionelle Software-Unterstützung zu beherrschen.
Dieser Herausforderung kann man inzwischen zumindest aus rein technischer Sicht gerecht werden. Mittlerweile kann jedes Unternehmen solche Leistungen relativ kostengünstig nutzen. Wenn die eigenen Ressourcen nicht ausreichen, stehen sie alternativ über die Cloud zur Verfügung. Davon profitieren Unternehmen in zweierlei Hinsicht: Zum einen können sie mehr Content verarbeiten, zum anderen größere Datenmengen in kürzerer Zeit analysieren.
Mit diesen besseren technischen Möglichkeiten lässt sich der Content zunächst einmal aufwerten, über Fotos hinaus etwa durch Videos, interaktive Karten oder durch Animationen - beispielsweise eine interaktive 360-Grad-Sicht auf Bekleidung.
Im E-Commerce, einer der wichtigsten Antriebskräfte des WCM, haben die führenden Anbieter derartigen Content bereits eingebunden und andere müssen nachziehen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Aber hochwertiger Content heißt heute natürlich mehr als ausgefeilte Optik. Der Kunde möchte erfahren, welche Geschichten er mit dem Produkt erleben kann. Deswegen wird es immer wichtiger, über die reinen Produktdaten hinaus die Produkte mit emotionalem Inhalt anzureichern und attraktiv zu präsentieren. Es geht nicht mehr nur darum, Content darzustellen, sondern diesen als Mehrwert für Marken und Inhalte zu verbreiten. Content Management wird zum Content Marketing.
Für die WCM-Systeme bedeutet das: Sie sind keine alleinstehenden Inseln mehr, sondern werden zunehmend in andere Systeme integriert und an soziale Netzwerke oder andere Kommunikationskanäle angebunden. Vor allem aber ist der Zugriff über mobile Endgeräte auf dem Vormarsch und erfordert ein Umdenken, eventuell sogar bis hin zur "mobile first"-Strategie. Eine Differenzierung des Inhalts ist hier wichtig, denn aufwändige Animationen sind für ein Smartphone möglicherweise ungeeignet, während eine GEO-Location-Funktion für einen Desktop-Nutzer weniger Nutzen bringt als mobil.
Content is king, Context is Queen
Kam es früher vor allem darauf an, Webseiten beispielsweise durch Platzierung von Schlüsselwörtern so zu gestalten, dass sie von den wichtigen Suchmaschinen gefunden wurden, gilt heute das Motto "Qualität statt Quantität". Es sollte daher nicht mehr nur das bestmögliche Suchmaschinen-Ranking im Vordergrund stehen. Die primäre Aufgabe lautet, hochwertigen Content bereit zu stellen. Hier sind vor allem die Redakteure gefragt, die die Systeme mit Inhalten "füttern". Guter Content braucht weniger Suchmaschinenoptimierung, weil er im Idealfall von den Nutzern selbst, beispielsweise in sozialen Netzwerken, weiterverteilt wird. Aus der automatischen Empfehlung wird so eine persönliche, die meist als objektiver und wertvoller empfunden wird.
Aber was genau zeichnet guten Content aus? Die Antwort lautet: Wenn er für seine Zielgruppe relevant ist, also den persönlichen Präferenzen des Nutzers entspricht. Die genaue Analyse dieser Präferenzen ist daher essenziell, sie ist auch die Basis für die Sichtbarkeit einer Website.
Die Personalisierung des Contents im modernen Content Marketing ist somit eine Kernaufgabe heutiger WCM-Systeme. Jeder Nutzer soll einen auf ihn individuell abgestimmten Content erhalten. Denn Content ist nur im richtigen Context interessant und sinnvoll. So ist ein inhaltlich hoch qualitativer Artikel mit dem Titel "Der perfekte Gartenteich" beispielsweise im Kontext "Fußball-WM" nicht wirklich relevant. Natürlich kann kein Web-Redakteur wissen, wofür sich ein - ihm ja gar nicht bekannter - Nutzer bei bisherigen Besuchen interessiert hat. Das müssen die Algorithmen der entsprechenden Systeme übernehmen. Ermittelt werden dafür zum Beispiel die Aktivitäten eines Nutzers auf der Website, was er sich anschaut, in welcher Reihenfolge, zu welcher Uhrzeit oder mit welchem Gerät.
Mit Predictive Analytics kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen aus den Gewohnheiten anderer Nutzer Schlüsse ziehen sowie Umgebungsvariablen einbeziehen: Wenn das Wetter gut ist, interessieren sich die Nutzer vermutlich mehr für Outdoor-Aktivitäten wie etwa Radfahren. Die Formulierung solcher Algorithmen für die Systeme wird künftig zu den Kernprozessen der Kunden- aber auch der Mitarbeiterkommunikation gehören. Nur so lässt sich Relevanz erzeugen und umfassende Content Recommendation aufbauen, die den Content dynamisch und in Echtzeit den einzelnen Nutzern zuordnet.
Soziale Medien machen kurze Workflows riskant
Ein weiterer WCM-Trend, der sich allerdings weniger um das "Was" sondern mehr um das "Wie" dreht, betrifft die Workflows. Anders als im klassischen Dokumenten-Management (DMS), wo Workflows und Freigabeprozesse eine zentrale Rolle spielen, lebt das WCM von Aktualität, also von schnellen Prozessen und kurzen Wegen. Es regiert tendenziell das Quick-and-Dirty-Prinzip, zumal sich - anders als bei gedruckten Dokumenten - Fehler ohne großen Aufwand schnell wieder beseitigen lassen. Komplizierte Workflows und Freigabeprozeduren vertragen sich mit diesem Ansatz nicht, stattdessen hat sich maximal das Vier-Augen-Prinzip etabliert: Ein Redakteur verfasst den Text, ein anderer liest gegen, und damit ist der Workflow auch schon zu Ende. Der Inhalt kann online gestellt werden.
In Zeiten von Facebook und Co. wird dieses Vorgehen jedoch wieder in Frage gestellt: Auch wenn Aktualität weiterhin Trumpf ist, müssen Unternehmen heute einkalkulieren, dass Fehler auf Webseiten nicht einfach dadurch verschwinden, dass man sie schnell online korrigieren kann. Man muss damit rechnen, dass Nutzer einen Screenshot erstellt haben und dass sie diesen eventuell innerhalb ihrer Communities herumreichen. Je nach der Art des Fehlers können sich daraus wiederum negative Rechtsfolgen ergeben, bis hin zum "Shit-Storm", der die Reputation des Unternehmens in Frage stellt.
Deshalb werden Unternehmen ihre Workflow-Strategie im WCM überdenken müssen. Möglicherweise reicht das Vier-Augen-Prinzip nicht aus, zumindest nicht in kritischen Bereichen. Solche Bereiche einer Website sollten rechtzeitig identifiziert und dort die Workflows überdacht werden. Letztlich wird man immer einen Kompromiss zwischen Aktualität und gründlicher Kontrolle finden müssen - aber man sollte sich der Risiken auf jeden Fall bewusst sein, die sich vor dem Hintergrund von Social Media aus zu kurzen Workflows ergeben. (bw)