Lohnende Investition oder überflüssiger Luxus?

Coaching für Führungskräfte

26.01.2011
Unternehmen brauchen Problemlöser, die ihre Mitarbeiter inspirieren, sagt Dr. Joachim E. Wolbersen.
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Managern in deutschen Unternehmen fehlt es oft an emotionaler Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Sie sind mehr Kontrolleure als echte Leadership-Persönlichkeiten. Statt Mitarbeiter zu motivieren und eine offene Diskussionskultur zu pflegen, verwalten sie nur und beschränken sich in Krisenzeiten darauf, die Liquidität der Firma zu sichern. Rationalität geht vor Kreativität; Freiraum für neue Ideen? Fehlanzeige! Gesucht werden charismatische Problemlöser, die ihre Mitarbeiter inspirieren und nach vorn bringen. Ein Fall fürs Coaching.

"Schulung? Jetzt, mitten in der Krise?" Manchem Unternehmen mag die Idee, die eigenen Führungskräfte ausgerechnet in Zeiten wie diesen zu coachen, unpassend erscheinen. Angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen habe man schließlich etwas anderes zu tun. Es geht um Liquiditätssicherung und das wirtschaftliche Überleben. Für "Nebensächlichkeiten" wie die Schulung von Managern bleibe da kein Platz, ist landauf, landab zu hören. Überhaupt sei ja die Nützlichkeit von Trainingsangeboten schwer einzuschätzen. Schulungen gebe es wie "Sand am Meer", wie wolle man da wissen, welche etwas taugen und welche viel Lärm um Nichts machen.

Zugegeben: Etliche wohlklingende Namen sind nur Schall und Rauch. Trotzdem: Kann eine Firma es sich auf Dauer leisten, ihre Führungskräfte im eigenen Saft schmoren zu lassen? Sind ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten heute nicht das A und O? Fakt ist: Manager setzen zu wenig auf ihre "soft skills" in der Mitarbeiterführung. Sie argumentieren mit Zahlen und Fakten, darauf vertrauend, dass deren Logik für sich spricht und automatisch das Einverständnis der Untergebenen nach sich zieht. Wenn es ausbleibt, reagieren Chefs mit Unverständnis.

Kein Wunder: Immer noch dominiert in der Ausbildung von Managern das Rationale. Doch Mitarbeiter erwarten mehr von ihren Vorgesetzten: emotionale Intelligenz, Einfühlungsvermögen, Kompromiss- und Dialogbereitschaft. Sie wünschen sich echte "Leader" und finden stattdessen Kontrolleure und Verwalter ohne Charisma und Kreativität. Was fehlt in deutschen Führungsetagen, sind Problemlöser, die ihre Mitarbeiter inspirieren und nach vorn bringen.

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Harvard Business Review, eines in den USA erscheinenden Wirtschaftsmagazins zur Unternehmensführung, wirken sich mangelnder Enthusiasmus und fehlende Überzeugungskraft von Führungskräften deutlich negativ auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter aus.

Visionen fehlen

Krisenzeiten verschärfen diese Situation. Dabei sind gerade Krisen gute Anlässe für Manager, um neue Ideen zu entwickeln. Vorausgesetzt, sie finden die innere Ruhe, um überhaupt nachdenken zu können. Ein Vorgesetzter, der neue Wege gehen will, muss bereit sein, sein Handeln kritisch zu hinterfragen. In den meisten Unternehmen passiert genau das Gegenteil: purer Aktionismus statt nüchterner Analyse, kurzfristige Maßnahmen statt einer langfristigen Strategie zur Erneuerung. Man konzentriert sich darauf, den eigenen Bereich "sauberzuhalten".

Derweil schlummern die wahren Probleme weiter unter der Decke. Führungskräfte geben gern der schlechten Marktsituation die Schuld für die Krise im Unternehmen. Nur nicht ans Eingemachte gehen, es könnten ja unbequeme Wahrheiten ans Licht kommen! Je größer die persönliche Angst des Managers, desto mehr bemüht er sich, unerschütterliche Ruhe auszustrahlen. Die Gedanken kreisen dabei immer um dieselben Fragen:

- Wo muss ich mich schützen, wo bin ich persönlich angreifbar?

- Wo haben andere Fehler gemacht, so dass ich Verantwortung los werde?

- Was wird aus mir, wenn "alles den Bach runtergeht"?

Um das eigene Gewissen zu beruhigen, arbeitet der Manager noch mehr. Für die Mitarbeiter ist solch ein Vorgesetzter kein guter Gesprächspartner. Mehr noch als ihr Chef haben sie das Gefühl, der Situation hilflos ausgeliefert zu sein. Sie brauchen Orientierung. Doch in Krisenzeiten ist die Kommunikation in vielen Firmen eingeschränkt. Begründung: Man will die Mitarbeiter nicht weiter verunsichern.

Wagenburgmentalität

Infolgedessen setzt sich eine Wagenburg-Mentalität durch, für neue Ideen und Konzepte fehlen Zeit, Mut und Wille. Alle konzentrieren sich darauf, ihr Kerngeschäft möglichst gut darzustellen, um unangreifbar zu sein. Innovationen? Fehlanzeige! Auf diese Weise überleben Unternehmen vielleicht die Krise. Was aber, wenn sie bei all der Konzentration auf die Umsatz- und Liquiditätssicherung wichtige Trends verpassen? Auf einmal sind sie nicht mehr wettbewerbsfähig. Das, was häufig als strategische Neuerung ausgegeben wird, ist vielfach doch nichts anderes als eine Sammlung willkürlich ausgewählter operativer Maßnahmen.

Tatsächlich werden grundsätzliche Fragen viel zu selten gestellt: Welche Art von Geschäften wollen wir eigentlich machen? Wohin soll sich das Unternehmen entwickeln? Wo wurden ungünstige Entscheidungen getroffen und verbindliche Regeln verletzt? Man geht diesen unbequemen Fragen aus dem Weg und schiebt das Tagesgeschäft vor.

Neues Arbeitsverständnis ist notwendig

Besonders in Krisenzeiten werden motivierende Führungspersönlichkeiten mit einem klaren Profil gebraucht; Charaktere, die für die Mitarbeiter verlässlich und berechenbar sind. Dazu müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

- Im Unternehmen herrschen ein angstfreies Klima und eine offene, konstruktive Diskussionskultur, in der es um Lösungen geht und nicht um Schuldzuweisungen.

- Werte wie Verlässlichkeit, Vertrauen und Kritikfähigkeit werden von den Chefs "vorgelebt".

- Die Top-Manager sind selbstbewusst, aber auch bereit, ihr Verhalten kritisch zu hinterfragen.

- Ehrlichkeit ist ein Grundprinzip.

- Es muss eine "Schutzsphäre" besonders für junge Führungskräfte geben: Keiner wird für Fehler "zur Schnecke gemacht", sondern erhält die Möglichkeit, offen die Versäumnisse zu diskutieren, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Im Mittelpunkt: Was können wir aus den Fehlern lernen?

Langfristige und individuelle Personalentwicklung

Statt Nachwuchskräfte durch ständigen Positionswechsel zu verschleißen, räumt man ihnen die Möglichkeit ein, in einem bestimmten Tätigkeitsfeld ausreichend Erfahrungen zu sammeln, bevor sie versetzt werden. Andererseits vermeidet man, jemanden drei Jahre oder länger in einer Position zu belassen, in der er sich nicht wohlfühlt.

Ein prinzipiell neues Verständnis von Arbeit ist erforderlich.

Vor allem junge Führungskräfte haben heute einen anderen Anspruch an ihre Rolle als Manager. Sie möchten gestalten und Verantwortung übernehmen, wollen Freiraum für neue Ideen. Doch die Praxis sieht anders aus. Verschleiß durch Routine, Fremdsteuerung und Terminhatz rauben den Managern die notwendigen Ressourcen. Was ihnen fehlt, ist ein "Rückzugsterritorium", wo sie abseits vom Tagesgeschäft über strategische Neuerungen nachdenken, wo sie die geforderten Führungseigenschaften im o.a. Sinne trainieren können.

Diesen Raum bietet ihnen ein externes Coaching, das sich von diesen ganzen "How to …-Lektionen" und "Do it yourself…-Angeboten" grundlegend unterscheidet. Der Coach, der nicht aus demselben Unternehmen kommt wie der Trainee, fungiert als dessen Sparringspartner. Durch den Blick von außen, aber mit ähnlichen Erfahrungen, agiert er auf gleicher Augenhöhe wie der Manager. Er gibt diesem die Möglichkeit, über sich selbst zu reflektieren: Wie reagiert man in welchen Situationen und warum? Gemeinsam analysieren sie eine aktuelle Situation oder den gegenwärtigen Status, in dem sich der Trainee gerade befindet.

Dabei sorgt der Trainer in dosierter Form auch für "Provokationen", die das Weiterdenken erst ermöglichen. Wenn beispielsweise ein Manager behauptet, er habe sich im Urlaub sehr gut erholt, der Coach aber merkt, dass er nach wie vor "unter Volldampf steht", wird letzterer ihm das sagen - auch, wenn er damit erst einmal auf Abwehr stößt. Doch aus dem Widerstand entsteht nach kurzer Zeit ein Nachdenken, sodass der gestresste Manager früher oder später zugibt: Stimmt - beim Gedanken an den ersten Arbeitstag nach den Ferien bekomme ich Schweißausbrüche. Das konstruktive Provozieren ist ein grundlegendes Element dieses Coaching-Prinzips. Das kann auch schon mal an die Substanz gehen.

Reine Psychologen sind nicht gefragt

Oft suchen Führungskräfte Hilfe, wenn sie merken, dass ihre Strategien zur Problemlösung plötzlich nicht mehr greifen. Sie wissen nicht mehr weiter und fühlen sich allein gelassen. Sehr schnell stoßen sie dann zu den Kernfragen: Welche persönlichen Lebenspläne haben sie bisher verfolgt und welche wollen sie tatsächlich? Wie soll man sie verwirklichen und dabei sein Potenzial voll nutzen? Viele haben das Gefühl, mit angezogener Handbremse "durchs Leben zu fahren" und sind entsprechend frustriert.

Diese Stimmungen greift das Coaching auf. Voraussetzung dafür ist, dass der Trainer diese Fragen nicht nur theoretisch, sondern aus eigenem Erleben kennt. Reine Psychologen sind hier fehl am Platz. Sicher - sie können beraten, stellen, wenn sie erfahren sind, auch die richtigen Fragen. Doch reflektieren, was mit Managern in Ausnahmesituationen wirklich passiert, können sie kaum. Nur Coachs, die selber Führungskräfte sind, wissen um die typischen Probleme eines Managers: Streit ums Budget, "Postengeschachere", Teambildung und so weiter.

Auch sollte der Trainer nicht aus demselben Unternehmen kommen wie sein Schützling. Zu sehr wären beide in ein- und dasselbe Machtgefüge involviert, um unvoreingenommen und offen aufeinander zuzugehen. Lediglich bei Firmen mit Konzernstrukturen ist ein internes Coaching denkbar. Der Pharmaproduzent Hoffmann LaRoche beispielsweise hat solch ein internes Mentoring installiert. Bedingung ist hier, dass Trainer und Proband aus völlig verschiedenen Konzernbereichen kommen, sich am besten gar nicht kennen. Doch solche Fälle sind die Ausnahme. Überall, wo der Kreis der Führungskräfte überschaubar ist, wo jeder mit jedem irgendwie zu tun hat, ist internes Coaching kaum sinnvoll.

Coach stellt nur die Anamnese

Um Missverständnissen vorzubeugen: Beim Coaching geht es nicht darum, dass der Trainer die Probleme des Betroffenen klärt. Schließlich hat dieser selbst alle "Werkzeuge" dafür in der Hand. Er nutzte sie bisher nur nicht in vollem Umfang, weil er bestimmte Zusammenhänge nicht sah. Will heißen: Der Coach befähigt den Manager, eine andere Sicht auf die Welt zu entwickeln und daraus ein neues Verhalten für den Umgang mit Konfliktsituationen abzuleiten.

Beide Seiten analysieren zunächst verschiedene Situationen, in denen der Manager sich unwohl fühlte oder seine Souveränität verlor. Aufgabe des Coachs ist es nun, diese Erlebnisse in einen Zusammenhang zu bringen, die Ursachen für die Reaktionen seines "Schützlings" aufzudecken. Er stellt quasi die "Anamnese". Dazu folgendes Beispiel: Der CIO (Chief Information Officer) eines bekannten Chemieunternehmens hatte Probleme mit seinem Vorgesetzten. Jener würde selbstherrlich über ihn hinweg agieren und ließe keine Diskussion zu, so die Vorwürfe des IT-Managers.

Weil er intern nicht weiterkam, suchte er einen Coach auf. Nach drei Sitzungen kam der Grund für das angespannte Verhältnis zum Vorschein: Der Chef des CIO sprach denselben Dialekt wie dessen früherer Mathelehrer, mit dem dieser nicht zurecht kam. Der Vorgesetzte musste also nur den Mund aufmachen und sofort reagierte der Manager ablehnend. Pawlow lässt grüßen! eine Abwehrhaltung ein. Nachdem er das verstanden hatte, bekam er vom Coach die Aufgabe aufzuschreiben, welche Personen so aussahen, so sprachen und so agierten wie der besagte Mathelehrer. Das Ergebnis war verblüffend wie logisch: Es waren ausnahmslos alles Menschen, mit denen der CIO negative Erfahrungen gemacht hatte. Nachdem er das verstanden hatte, konnte er sein Verhalten ändern. Das Verhältnis zu seinem Chef begann sich zu entspannen.

Studien besagen, dass 70 bis 80 Prozent des menschlichen Verhaltens automatisch gesteuert werden. Die Kunst des Coaching besteht darin, in den Automatismus einzugreifen und das Verhalten zu ändern. Reagiert beispielsweise jemand bei Unsicherheit aggressiv - was bei Führungskräften nicht selten der Fall ist - , sollte er sich das auch bewusst machen und dagegen steuern, beispielsweise mit Humor. Denn damit setzt eine Entspannung ein, durch die der Betroffene gelassener wird und damit mehr Handlungsalternativen bekommt.

Erbsenzähler oder Leader mit Charisma?

Kritiker werden an dieser Stelle sagen: Schön und gut - aber rechnet sich Coaching? Sicher: Rein finanziell betrachtet, ist es eine nicht unerhebliche Investition. Andererseits kann man sich fragen: Was wäre, wenn durch schroffes und unsicheres Verhalten von Führungskräften hochqualifizierte Mitarbeiter kündigen? Was wäre, wenn ein wichtiger Manager so überfordert ist und wegen Burn-out-Syndrom ausfällt? Welche Firma kann sich das leisten? Was ist es Unternehmen wert, ihr Geschäft so umzugestalten, dass es gestärkt und mit loyalen Mitarbeitern aus der Krise hervorgeht?

Top-Firmen sind diejenigen, die souverän handelnde Führungskräfte mit einer sogenannten "Personal Excellence"-Haltung haben. Gemeint sind Manager, die positiv denken, Menschen lieben und ihren Mitarbeitern Werte vorleben wie Ehrlichkeit, Kompromissfähigkeit und die Größe besitzen, eigene Schwächen zuzugeben und Schwächen anderer zu akzeptieren. Statt ausschließlich über Fehler der Vergangenheit zu diskutieren und sich in den Elfenbeinturm zurückziehen, konzentrieren sie sich auf das Wesentliche und nehmen sich trotzdem Zeit, um mit den Untergebenen über strategische Verbesserungen nachzudenken. Mitarbeiter honorieren solch ein Verhalten in der Regel eher als "Abtauchen" und Stillschweigen.

Fazit

Coaching kann die entscheidende Unterstützung sein, um aus "Verwaltern" echte Führungskräfte zu machen, die Verantwortung übernehmen. Der Manager lernt, mit seinen Mitarbeitern vertrauensvoller und konstruktiver entsprechend den oben beschriebenen Prinzipien zu kommunizieren. Er lernt, sowohl seine psychologische Grundstimmung als auch die seiner Untergebenen besser wahrzunehmen. Voraussetzungen, um durch eine inspirierende, offene und Kritik zulassende Arbeitsatmosphäre die Grundlage für Veränderungen zu schaffen und somit gemeinsam gestärkt aus der Krise hervorzugehen. (oe)

Der Autor Dr. Joachim E. Wolbersen ist Lehrcoach und Mitgesellschafter des Instituts für Zukunftskompetenzen in Österreich sowie Interimsmanager, Projektleiter, Trainer und Coach bei großen und mittelständischen Unternehmen und leitet die in Hamburg und Basel (Schweiz) ansässige Beratungsgesellschaft Guide Consulting.

www.guide-consulting.de und www.zukunftskompetenzen.at