Rund um den Globus scheinen IT-Entscheider derzeit vor einem Problem zu stehen: "Die Komplexität ihrer IT-Landschaften bringt sie um", wie Ciscos Europachef Oliver Tuszik zugespitzt formuliert. Zumal sie sich nach Cloud, On-Premises, as-a-Service-Modellen, IoT, Edge Computing, Hybrid Work, Compliance-, Security- und Governance-Fragen noch mit einer weiteren Situation konfrontiert sehen: Dem Siegeszug der KI.
Execution ist gefragt
Tuszik formuliert es so: "Mit KI erleben wir eine Technologie, deren disruptives Potenzial die Einführung des Internets oder der Elektrizität um ein Weites übertrifft." Doch die Komplexität der Technologien ist in den Augen des Europachefs nicht nur ein Problem, sondern gleichzeitig ein Teil der Lösung. Das setze jedoch eines voraus: Statt ständig zu jammern, wie stark man in Sachen Digitalisierung abgehängt sei, sollten Politik und Wirtschaft lieber den Fokus auf die "Execution", also das Realisieren neuer Lösungen legen.
Nach der Erfahrung des Managers, der vor seiner jetzigen Position die weltweite Channel-Organisation Ciscos leitete, könne kein Land in Sachen Digitalisierung einen absoluten Führungsanspruch geltend machen: "Sicher, wenn Sie nach Kalifornien und in das Silicon Valley blicken, dann spielt der Bundesstaat in der Oberliga der Digitalisierung mit, schauen Sie dagegen in den Mittleren Westen, dann zeichnet sich ein ganz anderes Bild ab."
EU-Silodenken bremst Digitalisierung
Zudem gebe es in Sachen Digitalisierung und KI kein Patentrezept in Form von günstigen Bodenpreisen und Milliarden Subventionen für neue Industrieansiedlungen. Vielmehr seien clevere Konzepte gefragt, die der Wirtschaft beim Machen helfen - dann hätten auch wirtschaftlich schwächere Staaten eine Chance. Ein Beispiel ist für Tuszik Mexiko. Um für Unternehmen attraktiv zu sein, setzte das Land nicht auf Subventionen, sondern bildete die von der Wirtschaft nachgefragten Skills aus.
An die Adresse der Europäer gerichtet, mahnt der Manager, endlich das Silodenken in den Ländern aufzugeben und sich eine Haltung des "Let´s work together, we can do it" zuzulegen. Europa habe das Potenzial bei der digitalen Transformation sowie beim Thema KI vorne mitzuspielen. Dabei müsste die oft kritisierte Regulierung kein Hemmschuh sein, sondern könnte im globalen Wettbewerb durchaus eine Chance sein.
NIS2 als Chance sehen
Ein Beispiel hierfür könnte nach Meinung von Tuszik etwa die NIS2-Richtlinie sein. Pragmatisch umgesetzt biete sie die Chance, dass weite Teile der europäischen Wirtschaft cyberresilient aufgestellt seien. Allerdings erfordere dies europaweit einheitliche Regeln und nicht eine Attitüde des "jedes Land ist einzigartig" und nationaler Sonderregelungen.
Sechs IT-Herausforderungen
Gerade jetzt mit KI als großem Game-Changer biete sich der EU-Politik die Chance eines Hard Resets, um so für die Unternehmen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich mit ihren eigentlichen Problemen beschäftigen können. Aus IT-Sicht sind das für den Europachef vor allem sechs Fragen:
Wie kann die IT die Infrastruktur anpassen, damit sie den Anforderungen dieser neuen Welt gerecht wird?
Wie gewährleistet sie die Security in diesem Umfeld?
Wie realisiert man die bestmögliche User Experience?
Was braucht es in einer Hybrid-Work-Welt, um eine nahtlose Zusammenarbeit der Mitarbeiter sicherzustellen?
Wie adressiert man die Nachhaltigkeitsziele?
Wie können neue Technologien wie etwa KI die Transformation unterstützen?
Steigende Komplexität
Auch wenn sich laut Cisco das Gros IT-Verantwortliche derzeit mit fünf bis sechs KI-Projekten gleichzeitig befassen müssen, drückt im IT-Alltag der Schuh die Unternehmen, wie Uwe Peter, Deutschlandchef von Cisco, aus Kundengesprächen weiß, oft an ganz anderer Stelle. "Viele IT-Verantwortliche müssen immer mehr unterschiedliche Domains wie WLAN, LAN, SD-WAN, IoT-Netze, Rechenzentrum etc. managen, was zu einer Komplexität führt, die kaum zu beherrschen ist", erzählt Peter.
Erschwerend komme hinzu, dass laufend neue Angriffsvektoren entstünden. In letzter Konsequenz führe das dazu, das die Unternehmen zig Security- und Administrationslösungen im Einsatz hätten. "Jede einzelne davon", so Peter weiter, "hat ihre Berechtigung, aber diese Vielfalt kann niemand mehr gleichzeitig administrieren und kontrollieren." Dies kann in seinen Augen nur gelingen, wenn man es schafft eine einzige Plattform über diese unterschiedlichen Domains zu legen.
Eine Plattform für das Netz
Und genau dies versucht Cisco derzeit umzusetzen. So konsolidiert der Konzern in einem ersten Schritt seine gesamte Hardware auf einheitliche Chips. Dadurch können Kunden das gesamte Netz auf einem einzigen, durchgängigen Betriebssystem betreiben. Das vereinfacht den Betrieb und legt den Grundstein für eine effiziente Automatisierung. Je nach Wunsch aus der Cloud oder aus dem eigenen Rechenzentrum.
"Damit können Sie einen Switch wie den neuen Cat9300M entweder mit dem klassischen Cisco IOS-Betriebssystem booten und im eignen Rechenzentrum mit dem Cisco Catalyst Center automatisieren. Oder sie booten ihn im Meraki Betriebssystem und betreiben ihn automatisiert aus der Meraki Cloud", erklärt Peter im Detail.
Welche Bedeutung das in der Praxis hat, veranschaulicht der Manager an einem Beispiel. So könnte etwa ein Unternehmen, das seine KI-Lösung mit einem LLM anfangs noch in der Cloud trainieren muss, später die KI On-Premises laufen lassen.
Neue KI-Lösungen
Die einheitliche Hardwareplattform ist nur ein erster Schritt, wie das Unternehmen auf seinem Technologie-Event Cisco Live zeigte. Weitere Bausteine sind etwa eine sichere KI-Infrastruktur, eine KI-gesteuerte, domänenübergreifende Sicherheitsplattform oder ein Tool zur vertrauenswürdigen GenAI-Implementierung (Einen detaillierten Artikel zu den neuen KI-Lösungen finden Sie hier).
Mit diesen neuen KI-Lösungen sieht Peter das Unternehmen gut gewappnet für das zu erwartende KI-Wettrüsten im Jahr 2024.