Über das unausgeschöpfte Potenzial von China als Einzelhandelsumfeld ist bereits viel diskutiert worden. Die chinesische Bevölkerung ist viermal größer als die der USA - 1,357 Milliarden gegenüber 316 Millionen - und hat, dem Internationalen Währungsfonds zufolge, die Vereinigten Staaten Anfang des Jahres als größte Volkswirtschaft abgelöst. Während die Nachfrage der chinesischen Oberschicht nach Luxusgütern dank der steigenden Zahl vermögender Privatpersonen ungebrochen ist, verfügt mittlerweile auch die wachsende Mittelschicht über eine starke Kaufkraft.
Die Economist Intelligence Unit rechnet mit einem Wachstum des chinesischen Einzelhandelsmarktes auf acht Billionen US-Dollar bis 2022 - das Doppelte dessen, was der US-Markt laut Prognosen im selben Zeitraum erzielen wird. Angesichts dieser Vorhersage haben die größten westlichen Einzelhändler das Terrain des chinesischen Einzelhandelsmarktes sondiert. Viele haben allerdings vergeblich versucht, die Kaufkraft der chinesischen Konsumenten für sich zu nutzen, entweder aufgrund mangelnden Verständnisses der kulturellen Unterschiede oder aufgrund fehlender Kenntnisse über die bevorzugten Zahlungsprozesse. Wir betrachten im Folgenden einige der größten Hindernisse für den Marktzugang, skizzieren aber ebenso die enormen Renditemöglichkeiten für internationale Einzelhandelsunternehmen.
Drei Herausforderungen für den Marktzugang, die es zu beachten gilt:
Kulturelle Unterschiede und die Notwendigkeit, mit der Suchmaschine Baidu zu kooperieren
Unternehmen wie etwa der Baumarktgigant OBI und die Elektronikketten Media Markt und Saturn haben bekanntermaßen vergeblich versucht, eine Vor-Ort-Strategie zur Erschließung des lukrativen chinesischen Marktes zu verfolgen - trotz der Heerscharen von Consultants und MBAs, die ihren Markteintritt in China vermutlich angeleitet haben. Dies hat dazu geführt, dass internationale Einzelhändler nun das Marktterrain sondieren, indem sie zunächst einen virtuellen ersten Schritt unternehmen.
Eine der Zugangsbeschränkungen zum chinesischen Markt stellt für Einzelhändler die Schwierigkeit dar, mit der größten Suchmaschine des Landes, Baidu.com, zu kooperieren, die über einen Anteil von 83 Prozent des chinesischen Suchmaschinenmarktes verfügt. Die Hauptursache hierfür besteht in der mangelnden Bereitschaft des Unternehmens, ein internationales Vertriebsteam einzusetzen, mit dem Einzelhändler Kontakt aufnehmen können.
Realisierung einer funktionierenden Bestellabwicklung
Während die Metropolen Chinas über eine sich immer weiter verbessernde Versandinfrastruktur verfügen, wird die Entfaltung des vollen E-Commerce-Potenzials des größten Teil des Landes derzeit noch durch die Unkalkulierbarkeit der Versandinfrastruktur außerhalb der Hauptmetropolen behindert. Grund dafür sind die eingeschränkte Effizienz und Effektivität im kundennahen Lieferabschnitt von Online-Einzelhandelsprodukten auf der sogenannten "letzten Meile".
Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis diese Probleme bewältigt sein werden. Der E-Commerce ist imstande, den herkömmlichen stationären Einzelhandel des Landes in den nächsten Jahren zu überholen, da die Expansion der landesweiten Ketten stationärer Einzelhandelsgeschäfte vom Wachstum der Internetwirtschaft überholt werden wird.
Inkompatibilität der Zahlungssysteme
Eine der Hauptursachen für den Abbruch von Online-Einkäufen besteht im Mangel an Zahlungsoptionen. Laut einer aktuellen Studie der PPRO Group sind 49 Prozent der Konsumenten schon einmal auf der Bezahlseite aus dem Kaufprozess ausgestiegen, weil ein von ihnen bevorzugtes Zahlverfahren nicht zur Verfügung stand. Durch die Einrichtung und Akzeptanz internationaler Zahlungen sowie mehrerer Zahlungsmethoden können Onlinehändler eine Steigerung ihres Auslandsgeschäfts erzielen.
Es ist daher erforderlich, die in China üblichen Zahlungsoptionen anzubieten, damit die Kundenzufriedenheit steigt und ein Kaufabschluss zustande kommt. Während derzeit 200 Millionen Kreditkarten und zwei Milliarden Debitkarten im Umlauf sind, machen alternative Zahlarten - Alipay ist in China die bedeutendste - beinahe die Hälfte aller online abgeschlossenen Transaktionen aus.
Drei der größten Geschäftschancen für deutsche Einzelhändler
Die geschäftlichen Möglichkeiten sind bilateral
PPROs Studie hat zudem ergeben, dass 24 Prozent der deutschen Online-Shopper bereits in einem Shop aus Asien eingekauft haben, 13 Prozent waren bereits auf der Website eines asiatischen Shops. Dieser Trend ist nicht zu verkennen, denn er funktioniert in beide Richtungen. Angesichts von 650 Millionen Menschen mit Internetzugang in China, von denen etwa 300 Millionen Online-Käufer sind, ist das Marktpotential enorm. Insbesondere wenn man bedenkt, dass bisher nicht einmal die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen - das sind mehr potentielle Käufer als in der gesamten EU leben - an das Internet angeschlossen ist. Im Hinblick auf die stark angestiegene Nachfrage nach westlichen Markenartikeln haben Einzelhändler hierzulande nun gute Chancen, diesen Markt zu erreichen. Der Online-Handel verzeichnet generell hohe Zuwachsraten und hat allein letztes Jahr rund 60 Millionen Kunden hinzugewonnen.
China wird bis zum Ende des Jahrzehnts 1,2 Milliarden Euro wert sein
Es wird erwartet, dass chinesische Verbraucher in diesem Jahr online 240 Milliarden Euro ausgeben und damit alle anderen Länder übertreffen. Dabei beschränken sich ihre Einkäufe nicht auf das Inland. Die Daten zu Einkaufsgewohnheiten zeigen, dass der Anteil der Direktkäufer bei ausländischen Händlern (anstelle von Online-Marktplätzen wie Ebay) in den letzten Jahren exponentiell zugenommen hat. Laut Prognosen wird der chinesische Markt für deutsche Onlinehändler zum Jahr 2020 1,2 Milliarden Euro wert sein, wobei das Marktvolumen Hongkongs voraussichtlich zusätzlich eine halbe Milliarde Euro betragen wird.
Händler sollten den chinesischen Single-Tag nutzen
Jedes Jahr wird viel über die US-amerikanischen Verkaufsaktionstage "Schnäppchenfreitag" und "Cyber Monday" berichtet, die aus den USA nach Europa herüberschwappen. Keiner von beiden reicht jedoch an den China Singles Day heran, dem inzwischen größten Onlineshopping-Tag der Welt, dessen Umsätze auf den Alibaba-Handelsplattformen Tmall und Taobao von rund 5,1 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf rund 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2014 gestiegen sind. Im letzten Jahr hat Worldpay einen enormen Anstieg der Ausgaben an eben diesem Tag in Höhe von 455 Prozent verzeichnet, wobei 2.123 Transaktionen pro Minute und Ausgaben von 130 Euro pro Person registriert wurden.
Diese Umsatzzahlen sind bereits atemberaubend: Eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen, von denen nicht einmal die Hälfte über einen Internetzugang verfügt, gibt an einem einzigen Tag über 8 Milliarden Euro im Online-Shopping aus. Noch deutlicher wird das schlummernde E-Commerce-Potenzial des Landes, wenn man die zugrundeliegenden demografischen Zahlen betrachtet. Demnach werden die Umsätze im Online-Shopping bislang von lediglich einem Viertel der Gesamtbevölkerung generiert. Mit der rasanten Verbreitung von Smartphones auch außerhalb chinesischer Ballungszentren werden diese Zahlen in der Zukunft exponentiell wachsen. (bw)