Selten sind sich Analysten, Dienstleister, Hersteller und Kunden in der Bewertung einer Technologie so einig wie beim Thema Big Data. Von der schnellen Analyse riesiger Mengen polystrukturierter Daten erwarten sie sich neue Geschäftsideen, eine stärkere Kundenbindung, Vorsprung vor der Konkurrenz bei der Produktentwicklung - um nur einige Beispiele für die erhofften Chancen zu nennen.
Besonders vielversprechend ist Big Data nach Ansicht von Stefan Küsgen, Executive Consultant SAP Partnermanagement bei Freudenberg IT, für die Fertigungsindustrie: "Sie muss im Zuge der zunehmend digital vernetzten Produktionsprozesse Unmengen an Daten verarbeiten." Klassische BI-Tools stoßen hier an ihre Grenzen. Beherrschbar sei die Datenflut nur mit In-Memory-Technologien, die Milliarden Datensätze innerhalb von Sekunden auswerten. Dadurch lassen sich Prozesse etwa in der Materialplanung von 15 und mehr Stunden auf wenige Minuten verkürzen. "Big Data verbessert somit schon jetzt die Just-in-Time-Lieferfähigkeit der Fertigungsindustrie und ist eine unumgängliche Station auf dem Weg ins Industrie-4.0-Zeitalter", so Küsgen.
Die Zahl umgesetzter Projekte allerdings ist derzeit noch überschaubar. Einer Studie des Analystenhauses Barc zufolge haben lediglich zwölf Prozent der insgesamt 370 befragten IT-Verantwortlichen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in ihren Unternehmen Big-Data-Prozesse installiert. Bei weiteren 18 Prozent sind erste Pilotprojekte angelaufen. Im Schnitt nutzen Unternehmen heute durchschnittlich vier verschiedene Plattformen für Big Data, wie die Studie weiter ergab.
Ähnliche Ergebnisse zeigte eine Studie von IBM, bei der CEOs, CMOs und CIOs mittelständischer Unternehmen befragt wurden. Demnach fußen Geschäftsentscheidungen heute nur zu 13 Prozent auf der Analyse von Kundeninformationen unterschiedlicher Quellen.
Der Mittelstand hat angebissen
Doch das soll sich ändern: In den nächsten Jahren werden laut der IBM-Studie mehr als 80 Prozent der geschäftsrelevanten Entscheidungen in mittelständischen Unternehmen auf der Auswertung polystrukturierter Daten basieren. "Die Prioritäten der mittelständischen Führungskräfte verschieben sich. Unternehmen wollen sich stärker nach außen für Kunden und Partnern öffnen", so das Fazit von Martina Fiddrich, Geschäftsbereichsleiterin Mittelstand D-A-CH bei IBM.
Nach Ansicht von Michael Guschlbauer, Vorstand IT-Systemhaus & Managed Services der Bechtle AG, stehen wir, was den Einsatz von Business-Analytics-Lösungen in mittelständischen Unternehmen anbelangt, "ganz am Anfang eines prosperierenden Markts. Er bietet riesige Chancen - nach oben sind schlicht keine Grenzen gesetzt."
Lars Landwehrkamp, Vorstandssprecher von All for One Steeb, pflichtet ihm bei: "Wir registrieren klare Signale, dass sich vor allem der gehobene Mittelstand, getrieben durch neue Möglichkeiten, immer eingehender mit Big-Data-Projekten befasst. In der Fertigungsindustrie gelten Entwicklungen wie Industrie 4.0 - alle Maschinen sind online - als weitere Treiber."
Ursachen für die hohe Abbrecherquote
Wenn also selbst der Mittelstand heute schon seine Chance wittert - weshalb wird dann die Hälfte der Projekte abgebrochen, wie die jüngste Umfrage von Infochimps ergab?
Als häufigste Ursachen werden genannt: unklare Projektumfänge, technische Schwierigkeiten, verteilte Datensilos, mangelnde Datenqualität, fehlendes Fachwissen, um aus den Daten Schlüsse zu ziehen. Das zeigt, dass wichtige Vorarbeiten offenbar nicht geleistet wurden.
Es gibt auch andere Beispiele. All-for-One-Manager Landwehrkamp beobachtet, dass viele seiner Kunden bereits bei der ERP-Neueinführung viel in Altdatenbereinigung und Datenstrukturorganisation investieren, um gleich die Grundlagen für anschließende Big-Data-Projekte zu schaffen.
Ein weiterer Punkt, den Anwender bemängeln, ist der schwer messbare Return on Investment (RoI). Mithilfe neuer Analysesoftware könnten zwar schnell Erkenntnisse aus den Daten gewonnen werden. Häufig gelinge es aber nicht, diese Erkenntnisse in Entscheidungen und konkrete Geschäftsmodelle zu überführen. Obendrein schlagen die Kosten für Experten und Technologien zu Buche.
Hinzu kommen rechtliche und ethische Bedenken: Wer darf wie über die Daten verfügen? Und wie ist mit Daten umzugehen, die sich nicht anonymisieren lassen? Bei strukturierten Daten ist das möglich, bei unstrukturierten oder semistrukturierten Daten technisch nur bedingt.
Big-Data-Markt 2014 in Deutschland nach Segmenten
Umsatzvolumen: 851 Millionen Euro
Umsatzvolumen: 205 Millionen Euro
Anwendungsfelder für die genannten Segmente sind beispielsweise sensorgesteuerte Informationssysteme für den Verkehr, intelligente Gebäudesteuerungen, Optimierungssysteme im Handel oder auch Endkundendienste in den Bereichen Lifestyle, Fitness und Gesundheit. Quelle: Bitkom
Systemhäuser müssen sich umstellen
Die Anforderungen an Systemhäuser unterscheiden sich deshalb gravierend vom klassischen Systemhausgeschäft. "Bei Fragen rund um Big Data müssen wir uns noch intensiver mit dem Ziel beschäftigen, das der Kunde erreichen möchte. Big Data kommt direkt aus dem Business, nur selten aus der IT. Umso wichtiger ist es, das Business wie auch die Geschäftsprozesse zu kennen", bringt Guschlbauer das Problem auf den Punkt.
Bei vielen Kunden stelle bereits der Einstieg in das Thema die erste Herausforderung dar, wie Michael Bauer, Business Development Manager Geschäftsbereich Business Analytics bei Fritz & Macziol, berichtet: "Hier kommt es vor allem darauf an, den richtigen Ansprechpartner im Unternehmen zu identifizieren. Oft können wir ihm dann im Rahmen unseres Big-Data-Workshops bereits Antworten auf Fragen liefern, die er sich bislang noch nicht gestellt hat."
IT-Dienstleister müssten deshalb jedem einzelnen Kunden vor allem den konkreten Nutzen vermitteln, den die neue Technologie für seine individuellen Prozessen bringt, betont FIT-Manager Stefan Küsgen. "Sie müssen es schaffen, die Business-Anforderungen in IT-Lösungen zu übersetzen", pflichtet ihm Guschlbauer bei. "Das klingt trivial, erfordert aber breit gefächertes Wissen, das deutlich über das rein technologische Know-how hinausgeht."
Einzelkämpfer auf verlorenem Posten
Wer seinen Kunden Analytics-Lösungen nahebringen möchte, braucht deshalb ein breites Kreuz, so die Erfahrung jener Systemhäuser, die bereits Big-Data-Projekte umsetzen. "Mit ein paar Beratern allein ist in diesem Markt in Anbetracht der geforderten Leistungstiefe und Leistungsbreite wenig auszurichten", meint Landwehrkamp. Er rechnet deshalb einerseits mit Spezialisierungstendenzen unter den Beratungshäusern, andererseits "mit der Formierung größerer Einheiten, um als Komplettdienstleister, allenfalls verstärkt um Partner, die ganze Bandbreite aus einer Hand anbieten zu können". Michael Guschlbauer stimmt ihm zu: "Chancen haben Spezialisten, die mit tiefem Know-how in einem Bereich punkten, und die Großen der Branche, die es sich leisten können, Know-how für nahezu alle Themen unter einem Dach zu bündeln."
Wie gehen die Pioniere vor?
Bechtle betrachtet das Thema Big Data als eine Weiterentwicklung des klassischen Infrastrukturgeschäfts: "Server- und Storage-Lösungen gehören seit vielen Jahren zu unseren Kernkompetenzen. Inzwischen beschäftigen wir uns ergänzend mit der zugehörigen Software. Neue Strukturen mussten wir nicht aufsetzen", erklärt Guschlbauer.
Fritz & Macziol ist bereits 2008 mit der Übernahme der STAS GmbH in das Thema Business Intelligence eingestiegen. "In den vergangenen zwei Jahren haben wir den Bereich systematisch zur Big Data Fachabteilung ausgebaut", berichtet Bauer. Bei den Kunden setzt das Systemhaus seit Jahren vorrangig Lösungen von IBM, Microsoft, EMC und SAP aus den Bereichen Hadoop, Predictive Analytics sowie Cognitive Analytics ein, aber auch Open-Source-Anwendungen. "Vereinfacht gesagt sammeln wir semi- und unstrukturierte Daten, bereiten diese auf und führen sie mit den Informationen aus dem Unternehmen zusammen", erklärt Bauer. "Generell beraten wir unsere Kunden herstellerunabhängig und implementieren die jeweils individuell passende Lösung."
Abhängig von der Kundensituation arbeitet Fritz & Macziol mit internen Kollegen aus der Managementberatung und externen Partnern wie Marketingagenturen, Statistikexperten und Data Brokern zusammen. "Oftmals ergeben sich hier aus der Nähe zu bestimmten Fachbereichen oder neuen Geschäftsmodellen sinnvolle Chancen auf Kooperationen, von denen alle profitieren", führt Bauer aus.
Seit mehr als 30 Jahren SAP-Partner, stellt Freudenberg IT (FIT) seinen Kunden eine auf SAP HANA basierende Infrastruktur zur Verfügung und übernimmt gleichzeitig die Rolle des Hosting-Providers von Lösungen und Services rund um die SAP-HANA-Plattform. "Im ersten Schritt führen wir eine Analyse durch und ermitteln, ob der Einsatz von SAP HANA sinnvoll ist. Unsere Kunden haben die Möglichkeit, SAP-HANA-basierte Applikationen zu testen, bevor sie sie einführen", führt Küsgen aus.
Zudem setzt sich das Unternehmen mit dem Portfolio der aktuell größten Datenbankhersteller auseinander, darunter mit IBM Blu und der von Oracle angekündigten In-Memory-Datenbank.
Einen klaren Schwerpunkt auf SAP im Mittelstandsmarkt legt auch All for One Steeb. "Bei Großunternehmen sind jedoch weitere Hersteller, vor allem IBM, sehr verbreitet", berichtet Landwehrkamp. Um diese Kundenklientel zu erweitern, will All for One den Düsseldorfer Big-Data-Beratungsspezialisten Avantum Consult übernehmen. Ebenso bilden Kooperationen mit anderen Partnern einen wichtigen Bestandteil der Unternehmensstrategie - auch bei Big-Data-Projekten.