Big Data und Industrie 4.0 eröffnen Systemintegratoren, IT-Dienstleistern, VARs und Systemhäusern neue Geschäftschancen, meint Red Hat.
Wir haben Patrick Steiner, Lead Architect Global Accounts, Germany, bei Red Hat, gefragt, inwieweit Themen wie "Industrie 4.0" und Big Data schon eine Rolle für Systemhäuser spielen.
Welches Potential birgt Big Data und Industrie 4.0 für Systemhäuser?
Patrick Steiner, Red Hat: Zunächst einmal eine kurze Skizze, wie Big Data und Industrie 4.0 zusammenpassen. Stark vereinfacht geht es darum, dass in einem Produktionsprozess eine Vielzahl von Daten anfallen; die Daten werden ermittelt und in einem Big Data-System für zeitnahe, detaillierte Analysen gespeichert. Die Auswertung kann sich auf eine einzelne Maschine oder den gesamten Prozess beziehen. In einer weiteren Sicht ist die "vertikale Integration" interessant.
Ziel dabei ist es, die Daten aus der Produktion mit denen anderer Unternehmensprozesse, etwa dem Engineering, dem Service oder dem Vertrieb, zu verbinden, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, beispielsweise für Qualitätsprobleme in der Fertigung, aufzuspüren und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Für Technologielieferanten, deren Produkte in der Fertigung eingesetzt werden, stellt sich daher die Frage, wie sie diese Big-Data- und Industrie-4.0-fähig machen.
Da es bei Industrie 4.0 auch sehr stark darum geht, dass Produktionsverfahren und Prozesse im Hinblick auf Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration und Selbstdiagnose erweitert werden, ergeben sich für Technologielieferanten und Systemintegratoren lukrative Chancen, ihre Produkte um derartige Funktionen zu erweitern.
Welche Big-Data- und Industrie-4.0-Produkte können Systemhäuser schon heute ihren Kunden anbieten?
Patrick Steiner: Bei Big Data und Industrie 4.0 geht es immer um individuelle Anwendungsszenarien, für die es bislang keine Standardlösungen gibt. Hier eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten für Systemhäuser und Systemintegratoren, die in der Linux-Welt Betriebssysteme wie Red Hat Enterprise Linux, Speichersoftware wie Red Hat Storage, Middleware, Technologien zur Datenintegration, -auswertung und -visualisierung oder auch einen verteilten und dynamischen Cache wie JBoss Data Grid für einen schnellen Datenzugriff miteinander kombinieren können. Die offenen Standards von Open-Source-Lösungen bieten Systemintegratoren hier nahezu unbegrenzte Möglichkeiten.
Accenture über Big Data
Ein Faktor von Wichtigkeit Für 60 Prozent der Firmen ist Big Data mittlerweile "extrem wichtig". Das gilt umso stärker, je größer das betroffene Unternehmen.
Die Quellen von Big Data Die meisten Anwender zählen insbesondere große Data Files mit 20 Terabytes und mehr zu Big Data. Social Media-Daten spielen vergleichsweise eine untergeordnete Rolle.
Die Herausforderung Big Data Neben der Suche nach Fachleuten sowohl für die Implementierung als auch für den Betrieb bereiten den Firmen vor allem Security- und Budgetfragen Sorgen. Ein Viertel sagt, dass ihr Haus schlicht noch nicht bereit für Big Data sei.
Die Revolution Big Data Die Hälfte der Befragten ist stark davon überzeugt, dass Big Data eine ebenso umwälzende Wirkung zeitigen wird wie einst das Internet.
Der Kampf um die Talente Im Ringen um Big Data-Skills sind es wiederum vor allem große Firmen, die schnell und viel in den Ausbau ihrer personellen Ressourcen investieren wollen.
Mit welchen Big-Data- und Industrie-4.0-Services können Systemhäuser schon heute bei ihren Kunden punkten?
Steiner: Attraktive Geschäftschancen ergeben sich für Integratoren, wenn sie Lösungen bauen, mit denen ihre Kunden einen echten Mehrwert aus den im Fertigungsprozess anfallenden Daten erzielen können. Denkbare Anwendungsszenarien sind Lösungen zur Steigerung der Produktivität beziehungsweise Reduktion von fehlerhaften Produkten durch intelligente Überwachung und Analyse der Daten, die in der Produktion anfallen. Das Stichwort lautet hier Predictive Maintenance, zu deutsch vorausschauende Instandhaltung. Eines steht fest: Big Data und Industrie 4.0 eröffnen Systemintegratoren und VARs neue Geschäftschancen.
Welche Gefahren sind mit Big Data und Industrie 4.0 verbunden?
Steiner: Überzogene oder gar falsche Erwartungen führen immer wieder zu Enttäuschungen. Big Data und Industrie 4.0 werden in der öffentlichen Diskussion und zum Teil auch von Unternehmen aus der IT-Branche als Schlagwörter für alles Mögliche missbraucht, ähnlich wie die Service Oriented Architecture, kurz SOA, vor einigen Jahren. Wichtig ist natürlich auch das Thema physische und technische Sicherheit - denn hier geht es um sensible Fertigungsdaten.
Geraten diese in die falschen Hände, kann dem Unternehmen daraus ein enormer wirtschaftlicher und Imageschaden entstehen. Selbst wenn Industrie-4.0-Applikationen nur innerhalb der eigenen Fertigungshalle eingesetzt werden, sollten Unternehmen dazu ein explizites IT-Sicherheitskonzept definieren, umsetzen und dessen Einhaltung überwachen. Integrieren Unternehmen darüber hinaus Lieferanten in ein Industrie-4.0-Anwendungsszenarium, werden die Sicherheitsanforderungen noch deutlich komplexer.
Wie können Fachhändler und Systemhäuser Befürchtungen hinsichtlich der Gefahren von Big Data und Industrie 4.0 bei ihren Kunden ausräumen?
Steiner: Systemintegratoren und VARs können bei Interessenten und Kunden durch eine kompetente Beratung, eine offene Diskussion der Risiken und das Aufzeigen von Vorteilen punkten. Zumindest was den Einsatz von Big-Data-Technologien in Industrie 4.0-Anwendungsszenarien angeht, befinden wir uns momentan noch in einem sehr frühen Stadium. Für die Vorreiter unter den Systemintegratoren und den Fertigungsunternehmen ergeben sich daher interessante Möglichkeiten, sich frühzeitig Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und diese dann weiter auszubauen.
Digitalisierung in der Industrie - Spannende Projekte
Autobauer, Einzelhandel und sogar Tagebau Wir zeigen gelungene Beispiele für die digitale Transformation deutscher und internationaler Unternehmen.
Red Tomato Pizza Dubai Wer in Dubai Hunger auf Pizza bekommt, dem gereicht ein Knopfdruck zum Italo-affinen Gourmet-Glück. Der Red Tomato-Lieferdienst bietet einen Kühlschrank-Magneten an, der über die Koppelung an ein Smartphone dafür sorgt, dass die Lieblingspizza ofenfrisch und frei Haus schnellstmöglich anrückt.
Hamburger Hafen Der Hamburger Hafen ist Europas zweitgrößter Containerhafen. Um die Effizienz der begrenzten Verkehrswege zu verbessern und größere Gütermengen umschlagen zu können, hat die für das Hafenmanagement zuständige Hamburg Port Authority (HPA) zusammen mit der SAP und der Deutschen Telekom in einem Pilotprojekt die IT-Logistikplattform "Smart Port Logistics" aufgebaut. Die IT-Lösung soll die Unternehmen, Partner und Kunden des Hafens enger miteinander vernetzen.<br /><br />Durch ein IT-gestütztes Verkehrsmanagement will man LKW-Fahrern Echtzeit-Informationen zu Frachtaufträgen und zur Verkehrslage bereitstellen. Dadurch sollen Staus im Hafen und auf den Zufahrtswegen sowie Wartezeiten minimiert und der Warenfluss optimiert werden. Die IT-Logistikplattform ist mit mobilen Applikationen ausgestattet, über die Lkw-Fahrer Verkehrsinformationen und Dienstleistungen rund um den Hafen mithilfe mobiler Endgeräte wie Tablet-PCs oder Smartphones abrufen können.
Drive Now In kaum einem Industriezweig vollzieht sich die Digitalisierung so vielschichtig wie im Automotive-Sektor. Einen besonderen Stellenwert nehmen dort seit einigen Jahren die "individuellen Mobilitätsleistungen" ein - besser bekannt unter dem Schlagwort Carsharing. Der Münchner Autobauer BMW hat gemeinsam mit seiner Tochter Mini und dem Autovermieter Sixt das DriveNow-Programm ins Leben gerufen. Gefunden und gebucht wird ein Fahrzeug in der Nähe per Smartphone-App, bezahlt wird per Kreditkarte.
SK Solutions SK Solutions koordiniert mithilfe einer neuen Plattformlösung Kräne und andere Maschinen auf Baustellen. Eingebaute Sensoren sammeln Echtzeit-Daten für die Live-Analyse; Bewegung und Steuerung der Baustellenperipherie werden daraufhin automatisch angepasst, um Unfälle und Kollisionen zu verhindern, die sonst - möglicherweise auch erst in einer Woche - passieren würden.
Xbox Live Disketten und Cartridges sind längst passé - nun wendet sich die Gaming-Industrie langsam aber sicher auch von der Disc ab. Wie Sonys PlayStation Network bietet auch der Xbox Live-Service inzwischen viel mehr als nur Multiplayer-Schlachten. Games- und Video-on-Demand-Dienste machen physische Datenträger nahezu überflüssig. Zahlreiche Apps wie Youtube, Netflix oder Skype verwandeln die aktuellen Spielkonsolen in Multimedia-Stationen.
Novartis & Google Der Schweizer Novartis-Konzern gehört zu den wenigen großen Playern der Pharma-Industrie, die die Digitalisierung vorantreiben. Zu diesem Zweck haben sich die Eidgenossen die Lizenz gesichert, Googles Smart Lens-Technologie für medizinische Zwecke nutzen und vermarkten zu dürfen. Konkret arbeiten die Wissenschaftler derzeit an neuartigen Kontaktlinsen. Diese sollen sowohl Diabetikern als auch Menschen die auf eine Sehhilfe angewiesen sind, zu mehr Lebensqualität verhelfen. Das funktioniert mittels Sensoren und Mikrochip-Technologie sowie der Koppelung an ein smartes Endgerät. Zum einen soll die Kontaktlinse so in der Lage sein sollen, den Blutzuckerspiegel eines Menschen über die Augenflüssigkeit zu messen, zum anderen die natürliche Autofokus-Funktion des menschlichen Auges wiederherstellen.
Dundee Precious Metal Die kanadische Minengesellschaft Dundee Precious Metal setzt unter Tage klassische Netztechnik wie WLAN oder 10-Gigabit-Glasfaser ein, um den Bergbau zu automatisieren und Edelmetalle effizienter zu fördern. Laut CIO Mark Gelsomini arbeitet das Unternehmen dank der neuen Technik nun 44 Prozent effizienter.<br /><br />Im ersten Schritt wurden klassische Kommunikations-Devices auf Voice over IP und Voice over WLAN umgestellt sowie neue Sensorsysteme verbaut. Fernziel ist, dass die Geräte unter Tage künftig ferngesteuert von der Oberfläche gesteuert werden, um so die Zahl der Bergleute, die einfahren müssen, zu reduzieren.
Axel Springer Beim größten deutschen Medienhaus Axel Springer nimmt die Digitalisierung einen hohen Stellenwert ein. Im Jahr 2012 erwirtschaftete Springer mit den digitalen Medien erstmals mehr als mit seinen Print-Erzeugnissen. Doch nicht nur Paid-Content-Modelle wie "Bild Plus" sorgen für klingelnde Kassen - auch das Jobportal Stepstone.de, die Beteiligung an der Fitness-App Runtastic, die Etablierung des Reisemagazins travelbook.de, sowie zuletzt die Übernahme der Plattform Immowelt zeugen von dieser Entwicklung.
General Motors General Motors hat eine eigene Software-Entwicklungsabteilung mit 8000 Developern aufgebaut und damit einen Outsourcing-Vertrag mit HP abgelöst, der den Konzern drei Milliarden Dollar im Jahr kostete. Der Autobauer entwickelt die Software-Lösungen für seine Autos und den internen Gebrauch nun komplett selbst, um besser auf Kundenwünsche eingehen zu können.
Deichmann Wenn es um Schuhe geht, ist derzeit kein Unternehmen in Deutschland erfolgreicher als Deichmann. Das dürfte auch daran liegen, dass das Familien-Unternehmen als erster Schuhhändler Deutschlands einen Online-Shop installierte - im Jahr 2000. Inzwischen fährt Deichmann eine Omnichannel-Strategie und möchte den Online-Handel konsequent mit klassischen Einzelhandels-Geschäftsmodellen verknüpfen...
Deichmann ... Konkret sollen im Herbst die beiden Modelle "Ship2Home" und "Click&Collect" starten: Kunden sollen Schuhe, die im Laden nicht auf Lager sind, bequem nach Hause ordern können oder - andersherum - online in die Filiale. Social Networking, Blogging und Apps gehören ebenfalls zum Konzept von Deichmann. Dabei scheut man sich auch nicht davor, neuartige Konzepte zu testen. So bot das Unternehmen für einige Zeit auch virtuelle Schuhanproben an - die sich allerdings nicht durchsetzten.
Kreuzfahrtschiff "Quantum of the Seas" Satelliten-Wifi auf Hochsee, Cocktails an der Bionic-Bar, digitaler Meerblick in der Innenkabine, bargeldloses Zahlen an Bord mit RFID-Armbändern und lückenloses Gepäck-Tracking: Die "Quantum of the Seas" von Royal Carribean kreuzt als schwimmendes High-Tech-Paradies in der Karibik und lässt keinen Geek-Wunsch offen.
Rewe Die Frankfurter Allgemeine bescheinigt dem Lebensmittel-Konzern, es sei "wie kein anderes in seiner Branche dem Zeitgeist gnadenlos auf der Spur". Dabei ist die Rewe Group im Vergleich zum Konkurrenten Tengelmann erst recht spät auf den Digitalisierungszug aufgesprungen. Der erste Schritt war die Einführung von Online-Bestellungen, ...
Rewe ... inzwischen erlauben viele Rewe-Kassenterminals auch die Bezahlung per Smartphone. Überraschend hat sich das Unternehmen Anteile am Online-Möbelhändler Home24 gesichert. Warum? Rewes E-Commerc-Chef Lionel Sourque verrät: "Wir müssen von diesen Verrückten lernen, denn uns fehlt das Online-Gen in unserer Händler-DNA."
Commonwealth Bank of Australia Die Commonwealth Bank of Australia ist das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt, beim Thema Digitalisierung Early Adopter zu sein. Im Jahr 2008 lief die digitale Umstrukturierung an - inzwischen hat das australische Finanzinstitut alle Privat- und Unternehmenskonten in ein einheitliches digitales System übertragen und ist dank neuer Strukturen laut den Management-Beratern von Bain&Company die Nummer 1 in Australien beim Online-Banking. In der Gunst der jungen Kunden liegt das nahezu vollständig digitalisierte Finanzinstitut ebenfalls an erster Stelle.