"Die Verbrauchergewohnheiten ändern sich deutlich langsamer als von allen Marktbeobachtern prognostiziert". Dieser Satz taucht in der Pressemitteilung auf, in der die Otto Gruppe mitteilt, dass ihr Payment-Dienst Yapital zum 31. Januar 2016 eingestellt wird und er ist bezeichnend für die Bezahlkultur in Deutschland. Die Deutschen sind Gewohnheitstiere, und wenn es um das Bezahlen geht, erst recht.
Aktuell diskutieren Politik und Stammtische über Bargeld-Obergrenzen, die Abschaffung von Papiergeld und das Einstampfen der 500-Euro-Scheine. Auch in den Medien ist das Thema angekommen. Hintergrund der Diskussionen sind Überlegungen der EU-Finanzminister, durch eine Obergrenze für Bargeldgeschäfte organisierte Kriminalität und Geldwäsche zu bekämpfen.
In der hitzigen Diskussion rund um Bargeld scheint es aber eher darum zu gehen, dass sich die Deutschen ungern von der Politik vorschreiben lassen wollen, wie sie was bezahlen; weniger darum, dass in Deutschland generell besonders viel bar bezahlt wird.
Sieht man sich die bargeldlosen Transaktionen pro Kopf an, liegt Deutschland laut Statista im europäischen Mittelfeld. Bargeld ist immer noch das "Zahlungsmittel Nummer" 1 im stationären Handel. 53,3 Prozent des Umsatzes werden mit Scheinen und Münzen erzielt - aber nicht einmal 10 Prozent dahinter stehen schon die Kartenzahlungen (43,7%). In den letzten 20 Jahren hat sich der kartengestützte Umsatz im Einzelhandel verachtfacht - eine stille Revolution in kleinen Schritten, über die in der momentanen Diskussion nicht gesprochen wird.
Vorreiter Schweden und Dänemark
Kleine Schritte und Mobile Payment - das passt irgendwie nicht zusammen, denn heute muss eine Revolution schneller gehen. Stattdessen wartet man in Deutschland seit Jahren vergeblich auf den Durchbruch beim mobilen Bezahlen. Der Big Bang blieb bisher aus, laut Studien haben drei von vier Deutschen noch nie kontaktlos bezahlt. Ein Drittel der Bundesbürger kennt diese Art des Bezahlens auch nicht.
Dass es in anderen europäischen Ländern anders ist, hängt wohl nur zum Teil an der Mentalität der Menschen - die besten Beispiele sind Schweden und Dänemark. Vielmehr sind politische Weichenstellungen in Kombination mit einfacher Nutzung und weit verbreiteten Apps sowie Unterstützung und Zusammenarbeit der Banken ausschlaggebend. So sind zum Beispiel Geschäfte in Dänemark nicht mehr verpflichtet, Bargeld als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Gleichzeitig gibt es mit der Bezahl-App der Danske Bank faktisch einen mobilen Bezahlstandard, den schon jeder dritte Däne aktiv zum Bezahlen nutzt. Das alles gibt es in Deutschland so nicht.
Mobile Payment versus Deutschland
Wie es mit Mobile Payment speziell hierzulande aussieht, hat die Studie "Mobile Payment 2015" der Consulting-Unternehmen Mücke, Sturm & Company und How2Pay untersucht. Zu diesem Zweck wurden reine Smartphone-Bezahlmöglichkeiten unter die Lupe genommen. Der Markt ist dabei in Deutschland stark in Bewegung. Manche Dienste wie etwa Yapital sind bereits verschwunden, dafür versuchen sich einige neue, in Stellung zu bringen.
Betrachtet wurden in der Studie insgesamt fünfzehn bundesweit aktive Anbieter für Mobile Payment am Point of Sale (POS). Dabei gibt es zwei Ansätze, wie Mobile Payment per App an den Kunden gebracht werden soll: Einerseits die reinen Bezahl-Apps, also Apps, deren Hauptzweck die Zahlungsfunktion ist. Andererseits drängen aber auch sogenannte Anbieter-Apps mit integrierter Bezahlfunktion auf den Markt. Speziell diese Apps, wie beispielsweise Handyticket oder myTaxi, werden immer zahlreicher, während bei den reinen Zahlungs-Apps wie PayPal eine deutliche Konsolidierung stattgefunden hat.
Anbieter, die in ihrer App zusätzlich eine Zahlungsfunktion integrieren, haben die reinen Bezahl-Apps in Anzahl und Akzeptanz mittlerweile deutlich abgehängt. Trotzdem ist die Anzahl der Akzeptanzstellen für reine Zahlungs-Apps im letzten Jahr deutlich gestiegen. Vodafone mit "Wallet" und die Deutsche Telekom mit "myWallet" bieten ihren Kunden bereits ein flächendeckendes Netz an Akzeptanzstellen der unterschiedlichsten Produktbereiche, vom Baumarkt bis zum Supermarkt. Befeuert wird die Entwicklung durch Kooperationen mit MasterCard/VISA und mehreren Handelsketten.
Ein Problem gibt es dennoch: Die Kundenakzeptanz ist im Vergleich zum Aufwand der Anbieter gering. Als einer der Hauptgründe wird in der Studie der fehlende Zusatznutzen genannt. Doch auch hier versuchen die Anbieter gegenzusteuern und investieren verstärkt in sogenannte Mehrwert-Services wie Bonuskarten, Rabatt- und Coupon-Systeme. Das Smartphone soll also nicht komplett das Bargeld oder die EC/Kreditkarte ersetzen, sondern Bonuskarten ablösen.
Anbieter-Apps haben es bei der Kundenakzeptanz da einfacher. Wer beispielsweise eine Fahrplanauskunft per App einholt, ist eher geneigt, die dort integrierte Bezahlfunktion zu nutzen, da dies eine deutliche Erleichterung im Gegensatz zum Fahrkartenkauf am Automaten bedeutet. Bisher liegt laut Studie der Schwerpunkt von Anbieter-Apps mit integrierter Zahlungsfunktion auf dem Transport-Sektor. Aber auch in der Gastronomie und im Lebensmitteleinzelhandel nehmen diese zu.
Technische Probleme und Sicherheitsbedenken
Ein weiterer Hemmschuh für Mobile Payment in Deutschland ist die Technik. Oft ist für Kunden nicht klar zu erkennen, welche mobilen Bezahlsysteme überhaupt an einer Kasse akzeptiert werden. Auch beim Bezahlvorgang selbst bestehen Unsicherheiten bei Kunden wie bei Mitarbeitern. Die Sicherheit ist natürlich zudem ein wichtiger Faktor: laut pwc sehen neun von zehn Deutschen die Gefahr, dass bei Mobile Payment Daten gehackt werden. Vielleicht liegt es aber auch am Angebot, dass in Deutschland das mobile Bezahlen stockt, und zwar in zweierlei Hinsicht:
Aktuell werden jedes Jahr mehr Kassen verzeichnet, die fit für das mobile Bezahlen sind. Für die klassischen Bargeld-Läden wie Metzger, Bäcker und Kiosk braucht man jedoch auf jeden Fall wieder Münzen und Scheine.
Die EC-Karte ist ein einheitlicher und weit verbreiteter bargeldloser Bezahlweg, der überall dort funktioniert, wo EC-Karten akzeptiert werden. Die eine App, mit der man überall bezahlen kann, gibt es dagegen nicht. Im Gegenteil: Es ist sehr wahrscheinlich, dass man für zwei verschiedene Supermärkte auch zwei verschiedene Bezahl-Apps braucht beziehungsweise, dass man in eine Sackgasse läuft, wenn man sich ausschließlich auf das Smartphone verlässt.
Land der Kreditkartenmuffel
Die Deutschen zahlen gern mit Karte. Gemeint ist dabei aber fast immer die EC-Karte, bei der man Transaktionen mit PIN oder Unterschrift bestätigt. Kreditkarten sind äußert unbeliebt, obwohl die Kreditkartenanbieter verstärkt in NFC-Chips investieren, die kontaktloses Bezahlen erlauben. Bis zu 25 Euro kann man ohne Bestätigung zahlen, danach wird eine PIN-Eingabe fällig. Das ist praktisch und schnell, vor allem bei Kleinbeträgen. Das lange Schlangestehen im Supermarkt könnte damit passé sein.
Experten diskutieren sogar, ob nicht das kontaktlose Bezahlen per Kreditkarte das "mobilere" Mobile Payment ist, denn schließlich benötigt die Karte keinen Strom und ist robuster als jedes Smartphone. Und vielleicht kommt das Bezahlen per Smartphone einfach nicht in Gang, weil den Deutschen das kontaktlose Bezahlen per Kreditkarte schon suspekt ist.
Schließlich ist ein Smartphone ja auch nichts anderes als ein Gerät, in dem ein NFC-Chip arbeitet und auf eine App zugreift, und irgendwo im Hintergrund sind Kreditkarten- oder Bankdaten hinterlegt.
Prinzipiell ist es also egal, ob der NFC-Chip in einer viereckigen Plastikkarte, einem Smartphone, einem Manschettenknopf, einem Ring oder in einem Aufkleber integriert ist.
Fazit: Noch viele Baustellen
Deutsche lassen sich nur schwer für Mobile Payment begeistern. Das kann man als ewig gestrig abtun oder sich konkret ansehen, ob es nicht Gründe gibt, weshalb das Bezahlen mit dem Smartphone bisher nur etwas für Techies ist. Fakt ist, dass mobiles und kontaktloses Bezahlen bisher viel zu kompliziert ist. Muss man sich NFC-Sticker aufs Handy kleben oder erst die passende Kredit-, EC- oder SIM-Karte anfordern, damit Mobile Payment funktioniert, ist der Zug für die breite Masse abgefahren. Auch sperrige Lösungen, die auf QR-Codes setzen oder Internet-Verbindungen benötigen, die es in einem Supermarkt-Untergeschoss nicht gibt, vergraulen selbst die aufgeschlossensten Kunden.
Die großen IT-Unternehmen Apple, Google und Samsung, die eigene Mobile Payment-Methoden anbieten, sind in Deutschland noch nicht angekommen - sie machen aber vor, wie Bezahlen mit dem Smartphone einfacher gehen kann. Dass bei ihnen der Bezahldienst praktisch schon fix und fertig in den Smartphones steckt und sich Nutzer oft nicht mehr gesondert für die Nutzung registrieren müssen, denn Bezahldaten werden häufig schon für die App-Stores hinterlegt, hat zwei entscheidende Vorteile: Die Verbreitung ist vom ersten Tag an sehr hoch, und die Nutzung ist sofort möglich - ohne Hürden für die Registrierung überspringen zu müssen. Bei Apple Pay, spart man sich sogar die PIN-Eingabe und bestätigt einfach per Fingerabdruck.
Neben der Technik fehlt es deutschen Angeboten aber meist auch an Mehrwerten. Denn nicht nur die Deutschen fragen sich, was sie denn nun vom Smartphone-Bezahlen haben, wenn sie ebenso einfach in ganz Europa und an jedem Lesegerät mit der EC-Karte bezahlen können. Die Antworten sind die Anbieter bisher schuldig geblieben, und ob integrierte Bonusprogramme das Ruder herumreißen können, ist fraglich.
Aktuell sind in Deutschland die Anbieter-Apps mit integriertem Bezahldienst auf dem Vormarsch. Wer das einen Schritt weiter denkt, landet schnell wieder bei den großen IT-Unternehmen. Man muss sich nicht weit aus dem Fenster lehnen, um vorherzusagen, dass das Smartphone auch in Deutschland einen festen Platz unter den Bezahlmitteln einnehmen wird. Dafür braucht es aber wohl noch Zeit und weit verbreitete Apps. So ähnlich wie WhatsApp den SMS-Versand zurückgedrängt hat, könnte eine Standard-App zum Bezahlen an der Kasse und direkten Überweisen von Handy zu Handy (P2P-Payment) auch in Deutschland eine hohe Verbreitung erreichen. Wie das mit Apple Pay aussehen kann, führt derzeit VISA vor: Vor dem Start von Apple Pay in Großbritannien wurde im Schnitt nur eine von 25 VISA-Transaktionen kontaktlos ausgeführt, nach wenigen Monaten ist es bereits jede siebte. (rw)