Die Neufassung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) verbietet seit 29.10.2020 die systematische Zerstörung von Neuware. Außerdem wurde das System der Produktverantwortung um die sogenannte Obhutspflicht erweitert. Damit ist Entsorgung nur noch als letzte Möglichkeit und für defekte Produkte zugelassen. Strafen werden mangels Rechtsverordnungen (noch) nicht verhängt. Allerdings ist absehbar, dass diese irgendwann kommen.
Darauf hat Amazon mit mehreren Programmen und einer Änderung seiner Gebührenstruktur reagiert. Schließlich stand der Konzern in den Vorjahren vor allem wegen seiner Größe beim Umgang mit Retouren im Mittelpunkt der Kritik stand. Er muss also damit rechnen, dass Prüfungen bei ihm so früh wie möglich und so umfangreich wie möglich durchgeführt werden - allein schon aufgrund der Wirkung, die das in der Öffentlichkeit und auf andere Händler haben wird. In einem Blogbeitrag erklärt das Unternehmen daher, dass man bereits vieles getan habe, damit "die Entsorgung von Produkten ... die wirtschaftlich am wenigsten attraktive Option ist."
Amazons Umgang mit Retouren
An Amazon retournierte Artikel, die nicht als Neuware wiederverkauft werden können, durchlaufen mehrere Prüfungen. Danach wird die Ware gegebenenfalls neu verpackt oder zur Reparatur an Spezialunternehmen gesandt. Eine weitere Option ist die Rückgabe an den Hersteller, falls der den Defekt zu verantworten hat.
Anschließend gibt es mehrere Vermarktungswege. Einer ist der Weiterverkauf als Gebrauchtware im Rahmen der "Amazon Warehouse Deals" oder im "Outlet-Shop" von Amazon. Ein zweiter iVermarktungsweg ist die Abgabe als Spende. Hier arbeitet Amazon in Deutschland seit mehreren Jahren mit der gemeinnützigen Sachspendenvermittlung Innatura zusammen. Außerdem ist Amazon bereit, auch für Händler auf dem Amazon Marketplace, die „Fulfillment by Amazon“ nutzen, die Umwidmung von unverkaufter Ware in Sachspenden zu übernehmen.
In den USA, Großbritannien und Frankreich gibt es die entsprechende Möglichkeit mit einem "FBA Donations" genannten Programm schon. In Deutschland ist der Weg aber schwierig, weil Unternehmen auch auf Sachspenden Umsatzsteuer entrichten müssen. Ein legaler Trick dabei ist, den Marktwert der unverkäuflichen Retouren so niedrig anzusetzen, dass keine oder nur eine geringe Umsatzsteuer anfällt. Amazon argumentiert bei der Politik schon länger dafür, dies zu ändern. Bisher erfolglos. Allerdings teilte der Konzern im August 2021 in seinem Blog mit: "Mit einer neuen Bundesregierung verknüpfen wir die Hoffnung, dass diese Hürde dann auch in Deutschland endlich fällt". Womöglich bewegt sich diesbezüglich also bald etwas.
Markt lockt Trittbrettfahrer und Betrüger an
Der Verkauf von Retouren und unverkauften Beständen an Restpostenhändler ist eine Option, die Amazon selbst nutzt und auch seinen Händlern empfiehlt. Diese Möglichkeit bietet Amazon seit Sommer 2021 auch in Deutschland an.
Ein zweites Programm soll es Händlern ermöglichen, Retouren auch direkt über Amazon als solche weiterzuverkaufen. In Großbritannien läuft es bereits. Im Rahmen dieses Angebots bewertet Amazon einen retournierten Artikel automatisch und legt fest, in welchem Zustand sich der Rückläufer befindet. Die Händler bestimmen - genau wie bei neuen Artikeln - für jeden Zustand den Preis und können ihn dann mit etwas Glück noch verkaufen.
Die Diskussionen der vergangenen Jahre und Monate haben offenbar bei Schnäppchenjägern das Interesse an Amazon-Retouren geweckt. Einige Anbieter nutzen das offensiv aus. Daher tauchen vermehrt Anzeigen in Onlineportalen wie Facebook auf, die für schier unglaubliche Schnäppchen werben. Die meisten davon verstoßen klar gegen die Regeln, die für Händler gelten, die sich auf der offiziellen Amazon-Auktionswebsite für B-Ware eindecken. In den Einkaufsbedingungen ist zum Beispiel die Verwendung des Markennamens Amazon und des Amazon-Logos ausdrücklich untersagt. Auf Anfrage teilte ein Amazon-Sprecher gegenüber ChannelPartner mit, dass der Konzern entsprechenden Verstößen nachgehe, sofern er davon Kenntnis erhält.
Verbraucher dürfen allein fast deshalb schon davon ausgehen, dass Anbieter, die offensiv mit dem Amazon-Logo für Schnäppchen aus Amazon-Retouren werben, nicht seriös arbeiten. "Echte" Restpostenverkäufer würden dadurch ihre Geschäftsbeziehung aufs Spiel setzen. Bei einer ChannelPartner-Stichprobe unter derartigen Anbietern ließen gängige Indizien, die auf betrügerische Aktivitäten hindeuten - etwa fehlendes Impressum, fehlende direkte Kontaktmöglichkeiten und Unklarheit über den Firmensitz sowie lediglich Vorauskasse als Zahlungsmöglichkeit - bei allen betrachteten Anbietern umfassende Zweifel an der Seriosität aufkommen.
Unseriöse Online-Shops mit HP-Produkten
Offenbar funktioniert die Masche jedoch ausreichend oft. Seit Mitte 2022 beobachtet ChannelPartner in Sozialen Medien immer wieder auch Anzeigen für Shops, die nach demselben Muster wie bei den Amazon-Retouren auch Retouren von HP-Produkte anbieten - vor allem Notebooks. "Solche Angebote sind natürlich nicht in unserem Interesse. Deshalb prüfen wir Partner, die HP Produkte anbieten regelmäßig und behalten uns selbstverständlich auch rechtliche Schritte gegen unseriöse Unternehmen vor", erklärt das Unternehmen auf Anfrage.
"Epidemie" oder "Insolvenz der Fabrik" als Gründe für einen radikalen Räumungsverkauf zu Schleuderpreisen sind für Branchenkenner bei HP natürlich abwegig. Die so beworbenen Shops sind derzeit zudem noch ziemlich dilettantisch gemacht und lassen fast alles vermissen, was einen seriösen Shop ausmacht. Dennoch ist natürlich B-Ware von HP auch in Deutschland im Markt. Allerdings kann sie nur "nach Freigabe und Abstimmung mit HP ... an legitime, zertifizierte HP-Partner" vermarktet werden und muss dann auch als solche gekennzeichnet sein. Dieser Prozess gilt auch für Restposten.
"Die Kontrolle erfolgt in diesem Fall darüber, dass die Ware von HP-zertifizierten Distributoren an HP-zertifizierte Partner weiterverkauft wird", erklärt das Unternehmen. Welche Händer von HP zertifiziert sind, können Interessenten über einen Partner Locator auf der HP-Webseite ermitteln.
Chancen mit Amazon-Retouren für seriöse Händler
Am meisten würde seriösen Händlern helfen, wenn sie im Rahmen eines Partnerprogramms bei Amazon gelistet wären und Verbraucher dort die Glaubwürdigkeit prüfen könnten. Diese Möglichkeit gibt es derzeit jedoch nicht. Angesichts der Amazon-eigenen Vermarktungswege für Retouren und der strengen Richtlinien zur Bezugnahme auf Amazon für Restpostenverkäufer ist damit mittelfristig auch nicht zu rechnen.
Ware beschaffen können Interessierte über eine spezielle Amazon-Auktionswebsite für B-Ware. Dort reicht eine Anmeldung mit der Umsatzsteuer-ID. Eine Gebühr wird nicht erhoben. Allerdings muss das Unternehmen seinen Sitz in der EU haben. Dann sollte der Zugang binnen eines Werktags freigeschaltet werden. Der Fernsehsender SWR hat im Sommer 2021 mit der Firma "Retourenking" aus der Nähe von Pforzheim einen Händler vorgestellt, der sein Geschäft darauf aufbaut. Er steht allerdings noch ziemlich am Anfang und vertreibt bislang kaum IT- oder Elektronikprodukte.Schon länger in in deutlich größerem Umfang arbeitet diesbezüglich die norddeutsche Firma Avides mit Amazon zusammen.
Wie seriöse Händler an Amazon-Retouren kommen
Auf die offerierten Posten wird wie in einer traditionellen Auktion geboten. Dazu geben Interessierte ein Höchstgebot ein. Die Auktionen laufen normalerweise zwischen zwei und vier Tagen. Wird in den fünf Minuten vor Ablauf der Auktion ein neues Höchstgebot abgegeben, verlängert sich die Auktion um drei Minuten. So soll anderen Bietern die Möglichkeit gegeben werden, auf Last-Minute-Gebote zu reagieren. Der Gewinner wird per E-Mail und durch eine Benachrichtigung in seinem Amazon-Konto informiert. Versandkosten trägt immer der Käufer.
Wer mehr als zwei Bestellungen storniert, fliegt aus dem Programm raus. Käufer sollten sich also gut überlegen, wieviel sie auf welche Posten bieten. Und sie sollten bedenken, dass der Versand von B-Ware bis zu sechs Wochen dauern kann. Beim Verkauf von Retouren, die palettenweise (Euro oder Chep) abgegeben werden, sagt Amazon den Versand binnen sieben Tagen nach Zahlungseingang zu.
Wie Avides seit Jahren mit Amazon-Retouren Geld verdient
Versandhändler sollen Retouren einfacher spenden können