Bei Lotus glänzen derzeit nur die Umsatzzahlen

10.01.1998

Wenn Lotus-Geschäftsührer Fritz Fleischmann auf die jüngsten Verkaufszahlen von Domino/Notes blickt, bekommt er glänzende Augen. Der Groupware-Spezialist konnte im letzten Jahr in Europa um 32 Prozent beim Umsatz zulegen, zirka 13 Millionen Benutzer machen auf dem alten Kontinent von Notes Gebrauch, und Marktforscher wie zum Beispiel IDC legen sich auf ein jährliches Marktwachstum von zirka 30 Prozent für die Jahre bis 2002 fest. Entsprechend stilisierte Lotus das diesjährige europäische Treffen "Lotusphere" in Berlin zur puren Erfolgsstory. Geht es nach dem Willen der IBM-Tochter, soll Notes/Domino für jeden Anwender und jedes Unternehmen so selbstverständlich werden wie Butter auf dem Brot. Man wolle mit Telefonanbietern zusammenarbeiten, Domino-Server würden für große Geschäftsanwendungen aufgerüstet, würden zur Infrastruktur von kleinen und großen Unternehmen, ungeachtet dessen, welchen Jahrgang das Betriebssystem kennzeichnet, welche Datenbank abgefragt werden muß und welche Frontends eingesetzt werden.Allerdings will so eine umfassende Strategie erst einmal umgesetzt werden. Was die Lotus-Marketiers dazu veranlaßte, das hohe Lied der Partnerschaft anzustimmen.

Davon gibt es weltweit zirka 19.000, zirka 600 sind in Deutschland zu finden. Doch diese Partner, zählen sie nicht zu den Großen, wie etwa Sercon oder Debis, scheinen mit der Lotus-Marschroute nicht einverstanden zu sein. Statt am Groupware-Triumph teilzuhaben, sehen sie sich auf der Verliererseite. Denn ihrer Meinung nach hat Lotus nicht nur ein Problem, sondern auch schon eine höchst umstrittene Lösung.

Das Problem wurde von einem Partner folgendermaßen formuliert: "Lotus verkauft zuwenig Software und hat zuviele Partner. Und da außerdem Microsoft mit Macht in den Markt drängt, muß sich die Company etwas einfallen lassen." Die Lösung, die bei Lotus derzeit favorisiert wird, heißt "Lotus Solution Architecture" und die Ausweitung der hauseigenen Dienste- und Projektabteilung. Denn "damit kann Lotus prächtige Umsatzzahlen nach Amerika schicken und sich auf die Schulter klopfen lassen", kommentiert einer der Aussteller sarkastisch die Entwicklung bei Lotus. Ein anderer, der "den Tod für kleinere System- und Softwarehäuser" für nicht ausgeschlossen hält, ist schlicht sauer: "Was Lotus vorhat, ist einfach illoyal!"

Doch in der Ismaninger Zentrale hält man derzeit von solchen Botschaften aus dem Markt wenig. "Drei Partner waren gegen LSA", erklärt Fleischmann auf Anfrage. Außerdem sei kein Softwarehaus gezwungen, das Datenmodell, das Lotus vor drei Jahren von der Bonner Softwareschmiede Procedere gekauft hatte, zu verwenden. Und was die Ausweitung der Lotus-Geschäfte angeht, schlägt er vor, die Partner könnten als "Subkontraktoren" der Ismaninger Consulting-Abteilung agieren. Im übrigen bedauert er: "Man kann nicht jedem gerecht werden."

Woraus zu folgern ist, daß Lotus ein heißer Herbst bevorstehen könnte. Diese Botschaft jedoch war von den Lotus-Oberen auf der Lotusphere nicht zu hören. Denn dies paßte einfach nicht in das Selbstporträt, das der Groupware-Spezialist im Berliner Kongreßzentrum während der fünf Tage flächendeckend aufgehängt hatte.

Wolfgang Leierseder