Es klingt einleuchtend: Wer guten Service leisten will, der muss zunächst gut überlegen, was dazu notwendig ist. Trotzdem gibt es nur wenige Begriffe im Umfeld des Service Management, die derartig unterschiedlich interpretiert werden. Als Ergebnis wird in vielen Unternehmen die Service-Strategie nur zögerlich bis diffus in der Praxis umgesetzt - wenn überhaupt.
Warum tun wir uns so schwer mit diesem Thema? In vielen Lebenssituationen machen wir das doch ganz automatisch. Und zwar von klein auf. Wenn Kinder im Supermarkt das Eis unbedingt wollen, entwickeln sie erstaunliche Strategien, dieses Ziel zu erreichen. Wenn junge Menschen die Schule beendet haben, dann haben sie oft ein recht klares Bild der Zukunft vor Augen. Sie sehen sich als Arzt, als Bäcker oder als Leistungssportler. Sie malen sich den Weg dorthin aus und überlegen, wie sie ihr Ziel am besten, am schnellsten oder auch nur am bequemsten erreichen können. Und sie arbeiten mehr oder weniger intensiv darauf hin - sie haben eine Strategie.
Strategie ist nicht gleich Strategie
Eine Service-Strategie ergänzt die klassische IT-Strategie, die sich mit Themen wie Organisation, Architektur und Technologie befasst. Beide müssen sich natürlich in die Unternehmensstrategie einfügen und zu deren Verwirklichung beitragen. Vielleicht liegt es an dem gemeinsamen Begriff der Strategie oder einfach an fehlenden Ideen: Häufig werden diese Themen vermischt und dabei der eigentliche Zweck einer fokussierten Service-Strategie aus den Augen verloren. Ein Blick auf das Service-Strategie-Puzzle hilft, die Gedanken zu ordnen.
Das Serviceverständnis
Am Anfang der Definition einer Service-Strategie steht die Beantwortung folgender Fragen:
Was ist für uns eigentlich Service?
Verstehen wir unsere komplette Leistung als Service mit verschiedenen Bestandteilen, wie Hardware, Software und Dienstleistung?
Oder ist der Service eine Ergänzung zu unserem Produkt, wie der Betrieb einer bereitgestellten Software?
Besteht Service in unserer Strategie vielleicht ausschließlich aus Support und Ersatzteillieferung?
Es gibt bei diesen Fragen keine richtigen oder falschen Antworten. Und auch keine einfachen, denn die fortschreitende Digitalisierung lässt die Grenzen zwischen Produkt und Service unschärfer werden. Die Entscheidung muss jedoch zum Start der Strategiedefinition getroffen werden, denn die Antwort beeinflusst die Gestaltung der Service-Strategie erheblich.
Sourcing-Strategie
Bei der Sourcing-Strategie geht es darum, was in der klassischen Produktion als Fertigungstiefe bezeichnet wird. Hier stellen sich folgende Fragen:
Sehen wir Service als Kernaufgabe unseres Geschäfts, die wir weitestgehend mit unseren eigenen Ressourcen erbringen wollen?
Oder konzentrieren wir uns ganz auf die Produktion unserer Kernleistung und lassen Service von externen Dienstleistern erbringen?
Passt zu uns eher eine Mischung aus Beidem?
Können wir Produkt und Service überhaupt trennen, oder müssen wir diese Kategorien in Zeiten zunehmend automatisierter Services überdenken?
Soll es in unserem Portfolio noch "anfassbare" Produkte im herkömmlichen Sinne geben oder wird der Service an sich unser Produkt sein?
Diese Entscheidungen haben besonders für interne IT-Serviceprovider oft große Einschnitte für die benötigten Fähigkeiten und Ressourcen zur Folge. Statt des klassischen Fachwissens, um IT-Service zu leisten, werden mehr und mehr Fähigkeiten benötigt, Innovationen zu entwickeln oder Provider zu steuern, die fachliche Tätigkeiten übernehmen.
In diesem Themenfeld nehmen die Digitalisierung der Geschäftsprozesse und die globale Vernetzung einen wachsenden Einfluss. Große Umbrüche werden nicht nur im Bereich der Technologie, sondern auch in der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle stattfinden. Das kann dazu führen, dass eine Mischform aus eigenen Leistungen und Fremdleistungen selbst dann notwendig wird, wenn Service intern erbracht werden soll. Zugekaufte Cloud-Speicher oder Kommunikationslösungen sind nur zwei einfache Beispiele dafür. Zu einer guten Service-Strategie gehört auch eine passende Sourcing-Strategie.
Ressourcen und Fähigkeiten
Ist die Sourcing-Strategie festgelegt, ergibt sich die Frage nach den benötigten Ressourcen und Fähigkeiten. Die Überlegungen zum Sourcing und zu den benötigten Mitteln haben naturgemäß erheblichen Einfluss aufeinander. Sie sollten daher sowohl bei der Definition als auch bei der Umsetzung gemeinsam betrachtet werden.
Zu den Fähigkeiten und Ressourcen gehören Prozesse und Organisation, benötigte Infrastruktur und Applikationen genauso wie die Mitarbeiter, deren Wissen und die verfügbaren finanziellen Mittel. Eine gute Planung hilft, diese Fähigkeiten und Ressourcen, ausgehend vom Status quo zu entwickeln. Bei der Bewertung helfen die folgenden Betrachtungsebenen.
Vorhandene Services | Was funktioniert bereits heute gut? |
Wo liegen aktuelle Schwächen | |
Wie ist der Umgang mit Ausnahmen geregelt? | |
Menschen | Verfügen alle Beteiligten über die richtigen Fähigkeiten? |
Wie sind die Beteiligten in ihrer jeweiligen Rolle motiviert? | |
Gibt es bereits eine gelebte Servicekultur? | |
Kundenbeziehung | Sind die Kundenanforderungen bekannt? |
Ist die Wahrnehmung des Service durch den Kunden bekannt? | |
Wie gut ist der Kontakt zu den Kunden? | |
Wirtschaftlichkeit | Sind die Servicekosten bekannt? |
Werden die Servicepreise akzeptiert? | |
Ist der Service profitabel? |
Zu einer guten Service-Strategie gehört auch die Überlegung, wie die verschiedenen Bereiche im Unternehmen am besten zusammenarbeiten können. Welche Methoden und Werkzeuge passen zu uns und helfen bei der Gestaltung der Organisation und der Abläufe. Die Anforderungen an Service-Anbieter werden auch in diesem Feld immer komplexer, denn Kunden erwarten immer kürzere Bereitstellungszeiten für neue Services oder Anpassungen. Gleichzeitig soll die Zuverlässigkeit nach Möglichkeit nicht beeinträchtigt werden.
Besonders im IT Service Management (ITSM) wird an dieser Stelle die Verbindung agiler Methoden mit dem klassischen ITSM diskutiert - Stichwort DevOps. Behalten Sie bei diesen Überlegungen immer die Bedürfnisse Ihres Unternehmens im Blick. Weil ein Schlagwort gerade "in" ist, heißt das nicht, dass es auch für Sie relevant ist. Es kann - muss aber nicht.
Der interne Rahmen
Spätestens bei der Beschäftigung mit den Fähigkeiten und Ressourcen stößt man Zwangsläufig auf Vorgaben, Erwartungen und Rahmenbedingungen aus dem eigenen Unternehmen - Stichwort Governance. Die Service-Strategie muss in eine vorhandene Unternehmensstrategie eingebettet werden. Einfach gesagt:
Was sind die Anforderungen aus dem eigenen Unternehmen an den Service?
Wie können sie erkannt und erfüllt werden?
Welche Mittel stehen dafür zur Verfügung?
Zu diesem Thema gehört es auch, zu definieren, wie der Beitrag zum Erfolg des Unternehmens nachgewiesen werden kann. Welche Vorgaben gibt es zum Risikomanagement und wie können diese nachweislich umgesetzt werden? Welchen Informationsbedarf hat das Unternehmensmanagement und wie wird das Reporting gestaltet?
Abgeleitet aus den Vorgaben des Gesamtunternehmens wird auch der finanzielle Rahmen für die Service-Erbringung festgelegt. In klassischen ITSM-Methoden wie ITIL wird dieses Thema in drei Bereichen betrachtet.
Budgetierung: Umfasst die Planung der verfügbaren Mittel für die Ausgestaltung der Services und bildet die Grundlage für Finanzierungsentscheidungen. Welche Einnahmen und Ausgaben werden geplant und wie werden die vorhandenen Mittel eingesetzt? Welchen Bezug haben die geplanten Ausgaben zu den festgelegten Zielen? Letztlich geht es um den sinnvollen Einsatz der vorhandenen Mittel.
Kostenrechnung: Vollständige Erfassung und Zuordnung der Kosten für die Service-Erbringung und deren Entwicklung. Es wird die Frage beantwortet, wofür und in welcher Art die Kosten anfallen und an welcher Stelle sie entstehen. Außerdem wird die Basis für die Leistungsverrechnung geschaffen.
Leistungsverrechnung: Im Rahmen der Service-Strategie werden die grundlegenden Methoden und Regeln für die Leistungsverrechnung festgelegt (z.B. Preisfindung oder Definition der Verrechnungseinheiten/Chargeable Items). Ein angemessen implementiertes Modell der Leistungsverrechnung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Nutzendarstellung von IT-Services.
Ob man das bereits im Rahmen der Service-Strategie so detailliert betrachten will hängt von den Erwartungen des Managements und der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Der Detaillierungsgrad sollte entsprechend gewählt und dokumentiert werden.
Externe Einflüsse
Natürlich kann sich eine Service-Strategie nicht nur an internen Faktoren orientieren, denn eines ist sicher: Wer Service anbietet, den die Kunden nicht in Anspruch nehmen wollen oder können, wird nicht erfolgreich sein. Es müssen daher für die Strategiedefinition einige weitere Fragen beantwortet werden: Wer sind die Kunden heute und wer sollen sie in Zukunft sein? Welche Services sind in diesem Markt gefragt und welche werden zukünftig gefragt sein? Wer ist unser Wettbewerb?
Markt: Welche aktuellen Trends und üblichen Verhaltensweisen gibt es in den anvisierten Märkten? Gibt es typische und verbreitete Eigenschaften und Anforderungen? Welche gesetzlichen Vorgaben und Regularien gelten? Sind wir vielleicht in der Lage, einen ganz neuen Markt schaffen?
Kunden: Wer sind heutige und zukünftige Kunden? Wie reagieren sie auf veränderte Serviceangebote? Wie gut kennen wir diese Kunden und ihre Erwartungen? Welche Beziehungen bestehen bereits, welche müssen aus- oder aufgebaut werden? Welche Services nutzen Kunden heute und wie beziehen sie diese?
Wettbewerb: Kennen wir den Wettbewerb? Was können wir von ihm lernen? Welche Strategie verfolgt der Wettbewerb? Warum sollten Kunden bei uns kaufen und nicht dort?
Das Serviceportfolio
Sind die internen und externen Einflussfaktoren und Anforderungen identifiziert, wird der Rahmen für das Serviceportfolio festgelegt. Das bedeutet natürlich nicht, bereits hier über jeden einzelnen Service im Angebot zu entscheiden. Das detaillierte Serviceangebot und vor allem dessen kontinuierliche Anpassung an neue und veränderte Bedürfnisse werden - abgeleitet aus der Strategie - im Rahmen der Aktivitäten zur Service-Innovation und zum Service Management betrachtet.
Die Service-Strategie richtet den Blick auf das geplante Serviceportfolio auf übergeordneter Ebene und die Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der vorher identifizierten Märkte. Passen die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen zum geplanten Portfolio? Entspricht das geplante Portfolio den bisher festgelegten Zielen der Service-Strategie?
Bereits bei den Vorgaben für das Serviceportfolio sollten die Grundlagen für die für Service-Innovation gelegt werden. Die Entwicklungszyklen werden immer kürzer und die Erwartungen, dass Service mit diesen Entwicklungen standhält, steigen mit der Geschwindigkeit der digitalen Transformation. Daher sollten strategische Überlegungen in drei Perspektiven angestellt werden.
Wie stellen wir die derzeitigen Services wirtschaftlich und zuverlässig bereit?
Wie entwickeln wir Service weiter oder neu, um zukünftige Bedürfnisse zu erfüllen?
Wie gestalten wir den Übergang zwischen aktuellen und zukünftigen Services?
IT-Sicherheit als Erfolgsfaktor
Die aktuelle Entwicklung rund um das Thema Industrie 4.0 und das Internet der Dinge hat Fragen zur IT- Sicherheit in den Fokus gerückt. Es muss geklärt werden, welche Rolle Informationssicherheit und Datenschutz für die Erbringung der geplanten Services spielen. Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie das 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) sind relevant?
Welche Frameworks und Methoden wie zum Beispiel ISO/IEC 27001, können dabei helfen, gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden? Je stärker Abläufe digitalisiert oder neue digitale Geschäftsprozesse etabliert werden, desto größer werden die Risiken für die Geschäftsprozesse. Ebenso rasant steigen die Anforderungen an den konsequenten Schutz der Unternehmens- und Kundendaten. Eine funktionierende IT-Sicherheitsstrategie orientiert sich an den Unternehmensvorgaben und an einer vorhandenen IT-Strategie.
Eine gute Kundenbeziehung als Erfolgsgarant
Die Beziehung zwischen dem Serviceprovider und den Kunden entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg. Die persönlichen Beziehungen zwischen Serviceprovider und Kunden spielen eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die formelle Service-Qualität. Kunden nehmen Service sehr individuell wahr. Diese subjektive Wahrnehmung sollte ein guter Serviceprovider zu jedem Zeitpunkt kennen. So ist er in der Lage den Service, beziehungsweise die Benutzererfahrung, rechtzeitig anpassen zu können.
Im Rahmen der Service-Strategie werden die grundlegenden Regeln für die Pflege der Kundenbeziehung festgelegt. Wie halten wir engen Kontakt zu unseren Kunden? Wie erkennen wir Änderungsbedarf? Wie identifizieren wir Hinweise auf neue Bedürfnisse? In der Zukunft wird es für Serviceprovider noch mehr als heute ein Schlüsselfaktor sein, Service konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer auszurichten. Wer in der Lage sein wird, die Perspektive der Service-Nutzer einzunehmen und sie besser zu verstehen als jeder andere, der wird am Markt erfolgreich sein.
Den Weg weisen
Die beste Service-Strategie kann nur dann wirken, wenn sie allen Beteiligten eine klare Richtung aufzeigt. Sie dient unabhängig von Details als Leitplanke besonders dann, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen. Je besser diese Richtung bekannt ist, desto sicherer werden die Menschen eigenständige Entscheidungen treffen. Das kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen, wenn Märkte und Bedingungen sich schnell ändern. Die strategische Richtung muss verständlich formuliert und gewissenhaft kommuniziert werden.
Service-Strategie als Wegweiser
Fokussierung Die Strategie ermöglicht nachvollziehbare Entscheidungen auf allen Ebenen und gibt den resultierenden Aktivitäten eine eindeutige Richtung. | Struktur Aus Durcheinander wird Ordnung. Programme, Projekte und das Tagesgeschäft können an den strategischen Zielen ausgerichtet werden. |
Sicherheit Risiken können frühzeitig erkannt werden und Sie wissen schnell, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Das wirkt bis in das Kundenerlebnis. | Motivation Ihre Mitarbeiter kennen ihren Handlungsrahmen und übernehmen Verantwortung. Vertrauen und Eigenständigkeit fördern Motivation und Innovationskraft. |
Fazit
Wer in einem sich schnell ändernden Umfeld aus Technologie, Kundenbedürfnissen und Marktentwicklungen in der Lage sein will, gute Entscheidungen zu treffen, sollte sich die Zeit nehmen, eine passende Service-Strategie zu entwickeln. Nur wenn alle Beteiligten die Richtung kennen, werden alle Zahnräder ineinandergreifen. Eine schlüssige und inspirierende Service-Strategie weist diese Richtung und erhöht die Akzeptanz konsequenter Entscheidungen auf allen Ebenen. Das führt wirtschaftlich und zuverlässig zu exzellentem Service, der den Unterschied machen kann.