Für den stationären Einzelhandel stellt die Corona-Pandemie eine große Herausforderung dar. Viele Geschäfte mussten bereits schließen, andere fürchten um ihre Existenz. Die Prognosen sind alarmierend: Der deutsche Handelsverband (HDE) rechnet damit, dass in der Post-Corona-Ära bis zu 50.000 Geschäfte aus Deutschland verschwinden werden. Getrieben wird diese Entwicklung nicht zuletzt vom anhaltenden E-Commerce-Boom. Bereits seit einigen Jahren verlagern sich die Umsätze von der Verkaufsfläche zunehmend ins Netz.
Für den stationären Handel ist "Business as usual" damit längst keine Option mehr. Durch die rapide Zunahme des hybriden Einkaufsverhaltens der Konsumenten, die gestiegene Kundenerwartung an das Einkaufserlebnis und die anhaltenden Herausforderungen in der Lieferkette sind die Handelsunternehmen heute mit einer neuen Realität konfrontiert: Der stationäre Handel steht unter Zugzwang, die alten Grenzen zwischen on- und offline zu durchbrechen und schnellstmöglich hybride Modelle anzubieten, um sein Überleben langfristig zu sichern.
Microwarehouses treiben die strukturelle Konsolidierung im Handel voran
Viele stationäre Händler haben in der Zeit des Abstandhaltens bereits mit digitalen Lösungen für den kontaktlosen Einkauf experimentiert, um die pandemiebedingten Hygienemaßnahmen am POS einfacher umzusetzen. Doch damit ist es nicht getan: Für dringend notwendig gewordene Effizienzsteigerungen und Kostenoptimierungen rückt vor allem die Automatisierung zentraler Handelsprozesse zunehmend in den Fokus.
Gleichzeitig übernehmen digitale Lösungen eine immer wichtigere Rolle bei der strukturellen Konsolidierung des stationären Handels, um die Flächenproduktivität, also den Umsatz pro Quadratmeter, durch den smarten Rückbau von Verkaufsflächen auf ein gewinnbringendes Level zurückzubringen. Als effiziente Lösung werden hier vor allem so genannte "Microwarehouses" hoch gehandelt.
Sie unterstützen Händler dabei, Teile ihrer Filialflächen in kleine Warenlager umzufunktionieren, die im Hybrid Commerce ein separates Picking von Online-Bestellungen ermöglichen. Für maximale Effizienz sorgen in den Microwarehouses Automatisierungslösungen und Robotertechnologien, die in einer Kombination aus Kommissionier- und Lagerroboter selbst kleine Flächen optimal nutzen und die Bestellung von Produkten deutlich beschleunigen.
Von der Kasse bis zur Abholstation: Automatisierung erobert den Handel
In der Filiale selbst sind die Rationalisierungspotenziale vor allem im Zahlungsbereich hoch, da ein Teil der gesamten Filialprozesskosten auf die Kasse entfällt. Bezogen auf verschiedene Checkout-Varianten kristallisieren sich zunehmend neue hybride Ansätze mit paralleler Verfügbarkeit von Self-Checkout und traditionellen Kassen heraus. Hier ergeben sich die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten, in denen der Handel kreativ werden kann. Der Ansatz einer (teilweise) unbesetzten Filiale basiert dabei insbesondere auf einer kleineren Verkaufsfläche mit einer reduzierten Anzahl an Artikeln.
Hier können Kunden zu den Randzeiten oder auch rund um die Uhr mit einer App den Markt betreten und per Self-Checkout-Station beziehungsweise -App bezahlen. Doch nicht nur im Bezahlprozess schreitet die Automatisierung des Handels ungebremst voran, um die Effizienz und Kostenersparnis weiter voranzutreiben.
Im Zeitalter des Hybrid Commerce nutzen Händler auch vermehrt Paket- und Verkaufsautomaten, die als Einkaufspunkte oder beim "Click & Collect"-Modell als Abholstationen überzeugen. Viele dieser Automaten bieten zudem zusätzliche Funktionalitäten wie digitale Screens, die dynamische Preise und Videos zeigen können oder auch die automatische Überwachung des Bestandes mittels Sensorik.
Grab & Go: Die Königsdisziplin des autonomen Einkaufens
Noch automatisierter funktionieren Frictionless Shopping-Formate beziehungsweise Grab & Go-Stores, bei denen die Kunden einfach Ware entnehmen und den Laden wieder verlassen. Diese Smart Stores gelten als die Königsdisziplin des autonomen Einkaufens. Aus technischer Sicht stellen sie jedoch auch die größte Herausforderung an den Handel.
Insbesondere die Kundenidentifizierung und die Nachverfolgung von Bewegungen und Artikeln ist in der Umsetzung aufwendig. Benötigt wird verschiedenste Sensorik wie Kameras in Decken und Regalen oder Gewichtsmatten. Entsprechende IoT-Lösungen, die Sensorik-Daten aggregieren, sowie KI-Lösungen, die diese Daten auswerten, gibt es bereits am Markt. Damit ist ein einfach zu handhabender vollautomatischer Checkout ohne Stopp beim Verlassen des Ladens möglich.
Aktuell finden in diesem Bereich bereits einige Pilot-Implementierungen auf kleinen Flächen statt. Und auch hier werden hybride Formate ausprobiert oder zumindest angedacht. So wird zum Beispiel Frictionless Checkout teilweise als abgegrenzter Bereich in einer Filiale umgesetzt, die noch weiter traditionelles Checkout oder Self-Checkout anbietet.
Hybride Modelle machen in Zukunft den Unterschied
Keine Frage: Omnichannel war bereits vor Corona ein wichtiges Thema. Durch die Krise hat sich die Dynamik der Digitalisierung jedoch noch einmal erhöht. Fakt ist, dass Händler, die nur stationär unterwegs sind und keine hybriden Modelle offerieren, ein klares Defizit haben. Aber auch Anbieter aus dem E-Commerce setzen zunehmend auf den Trend des Hybrid Commerce.
Immer mehr Pure-Online-Player bemühen sich um einen physischen Fußabdruck, der neben dem reinen Verkaufen das reale Erleben der Marke ermöglicht und damit die Kundenbindung zusätzlich stärken soll. Denn: Der Erfolg des Handels hängt mehr denn je davon ab, wie schnell sich die Händler auf die Bedürfnisse der Konsumenten einstellen und entsprechende Lösungen implementieren.
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