Sichtet man die Bildungsprogramme der Unternehmen, so fällt ins Auge: Die Inhalte haben sich verändert. Spielte noch vor wenigen Jahren das Thema Teamarbeit eine große Rolle, so ist dessen Bedeutung inzwischen gesunken. Stattdessen hat sich die Projektarbeit zu einem Standardthema der betrieblichen Weiterbildung entwickelt. Hierin spiegeln sich die gewandelten Arbeitsprozesse und Organisationsstrukturen in den Unternehmen wider.
Bis vor wenigen Jahren noch befassten sich die firmeninternen Personal- und Organisationsentwickler vorrangig mit der Frage: Wie können wir die Arbeit der einzelnen Bereiche verbessern? Mittlerweile verfolgen sie jedoch einen bereichsübergreifenden Ansatz. Die Ursachen hierfür: Aufgrund der Restrukturierungsmaßnahmen der 90er-Jahre sind die Optimierungspotenziale in vielen Unternehmensbereichen weitgehend ausgeschöpft. Somit lassen sich hier keine Quantensprünge mehr erzielen - sei's beim Steigern der Produktivität, der Innovationskraft oder der Reaktionsschnelligkeit der Unternehmen. Außerdem durchzieht heute die Informationstechnik viele Unternehmen wie das Nervensystem den menschlichen Körper. Deshalb wirken sich Veränderungen in einem Bereich stärker auf andere Bereiche aus. Hinzu kommt: Da sich ihr Umfeld immer schneller wandelt, müssen die Unternehmen in stets kürzeren Zeitabständen ihre Strategien und Geschäftsprozesse auf den Prüfstand stellen.
Gute Führungskraft, aber schlechter Projektmanager
Folglich boomt die bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifende Projektarbeit. Erfahrung im Projektmanagement ist heute häufig eine Voraussetzung für die Übernahme qualifizierter Fach- und Führungspositionen. Entsprechend viele Projektmanagement-Seminare werden in den Unternehmen angeboten - unter anderem, weil die Verantwortlichen erkannten:
- Das Arbeiten in Projekten stellt andere Anforderungen an unsere Mitarbeiter als das Wahrnehmen einer Linienfunktion. Und:
- Ebenso wie sich nicht jede Fachkraft als Führungskraft eignet, ist auch nicht jede gute Führungskraft zugleich ein guter Projektmanager. Dafür sind die Arbeitsbedingungen in diesen Funktionen zu verschieden.
Nicht zuletzt wuchs diese Erkenntnis in den Unternehmen, weil viele Projekte scheitern - laut manchen Studien über 70 Prozent. Hinter diese Zahl muss man zwar einige Fragezeichen setzen, weil die Untersuchungen meist aus der Feder von Beratungsunternehmen stammen. Fakt ist aber: Viele Projekte erreichen ihre Ziele nicht. Dies kann man täglich der Presse entnehmen. Liest man dort zum Beispiel,
- "Die Firma x verschiebt die Einführung ihres neuen Produkts" oder
- "Der Umbau des Unternehmens y dauert länger als geplant",
dann steckt dahinter stets die Botschaft: Bei einem Projekt wurden die Ziele nicht erreicht. Sei es, weil sie von Anfang an unrealistisch waren, weil unvorhergesehene Probleme auftraten, oder weil die Kosten ins Unermessliche stiegen.
Weil so viele Projekte scheitern, kommen viele Unternehmen zu dem Schluss: Für das erfolgreiche Managen größerer bereichs- oder gar unternehmensübergreifender Projekte genügt es nicht, unsere Mitarbeiter in mehrtägige Seminare zu schicken, in denen sie das kleine Einmaleins des Projektmanagements lernen. So erwerben sie nicht das für das Planen, Initiieren, Durchführen und Steuern der Projekte nötige Wissen. Auch wenn sie drei oder vier Projektmanagement-Seminare besuchen, die lose nebeneinander stehen, erfolgt keine systematische Ausbildung unserer Mitarbeiter, nach der diese
- dasselbe Projekt(management)verständnis haben und
- dieselbe Terminologie und dieselben Tools nutzen.
Kurz: Solche Seminare fördern zwar das Projektmanagement-Know-how der Mitarbeiter, sie tragen aber wenig zum Aufbau der gewünschten Projektmanagement-Kultur in unserer Organisation bei.
Systematische Ausbildung gefragt
Deshalb konzipierten viele Unternehmen umfassende Projektmanagement-Ausbildungen für ihre Mitarbeiter. Sie sollen ihnen das Rüstzeug vermitteln, das sie zum Managen komplexer Projekte brauchen. Dabei erfolgt die Wissensvermittlung nie rein theoretisch. Vielmehr arbeiten die Mitarbeiter parallel dazu in Projekten. So können sie das frisch erworbene Wissen unmittelbar in die Praxis übertragen.
Ein Merkmal dieser Ausbildungen ist: Sie erstrecken sich über einen längeren Zeitraum - zuweilen über Jahre. Dahinter steckt die Einsicht: Reife Projektmanager fallen nicht vom Himmel. Sie entwickeln sich. Unter anderem, weil qualifizierte Projektmanager auch bestimmte persönliche Kompetenzen benötigen. Sie müssen zum Beispiel
- Menschen führen, integrieren und motivieren (ohne ihre disziplinarischen Vorgesetzten zu sein),
- komplexe Zusammenhänge wahrnehmen,
- in komplexen Strukturen denken und
· Probleme, die den Projekterfolg gefährden könnten, früh erkennen und darauf angemessen reagieren.
Außerdem müssen Projektmanager das nötige Rückgrat haben, um Konflikte aus- und Widerständen standzuhalten.
Ein weiteres Merkmal der Ausbildungen ist, dass sie häufig in eine Prüfung, wenn nicht gar Zertifizierung münden. Denn: Wenn die für den Unternehmenserfolg strategisch wichtigen Aufgaben oft in Projekten erledigt werden, muss garantiert sein, dass die Verantwortlichen tatsächlich über das gewünschte Projektmanagement-Know-how und -verständnis verfügen. Sonst kann in der Organisation die gewünschte Projektmanagement-Kultur nicht entstehen. Deshalb sollten die individuellen Entwicklungsmaßnahmen auch in einem kollektiven Entwicklungskonzept verankert sein.
Diese Verankerung ist nötig, weil die Ausbildung zum Projektmanager hohe Anforderungen an die Mitarbeiter stellt. Schließlich findet sie meist parallel zur Alltagsarbeit statt. Folglich ist sie mit einer Mehrbelastung verbunden. Deshalb müssen die Unternehmen dafür sorgen, dass es für ihre Mitarbeiter attraktiv ist, Zeit und Energie in ihre Weiterqualifizierung zu investieren. Sonst besteht die Gefahr, dass das Unternehmen langfristig nicht über die benötigten Projektmanager verfügt.
Wie aber stellen Unternehmen sicher, dass ihre Mitarbeiter ihre Projektmanagement-Kompetenz kontinuierlich weiterentwickeln? Indem sie ihnen während ihrer Ausbildung die Relevanz dieser Kompetenz für ihre (künftige) Arbeit erkennbar machen. Hilfreich ist auch ein deutliches Signal der Unternehmensführung an die Mitarbeiter: Der Erwerb dieser Qualifikation ist eine Voraussetzung für die Übernahme höher qualifizierter (und dotierter) Positionen.
Projektmitarbeitern Entwicklungspfade aufzeigen
Als besonders fruchtbar haben sich institutionalisierte Projektmanagement-Ausbildungen in Unternehmen erwiesen, die ihren Mitarbeitern wegen ihrer flachen Hierarchien wenig Aufstiegsmöglichkeiten in Führungspositionen bieten können. Entsprechendes gilt für Unternehmensbereiche, in denen viele hoch qualifizierte Spezialisten arbeiten, die just wegen ihres Expertenwissens für das Unternehmen wertvoll sind. Sie kämpfen oft mit dem Problem: Welche Entwicklungsperspektiven können wir unseren Mitarbeitern bieten - finanziell und hinsichtlich ihres Wunsches, sich weiterzuentwickeln und eine exponierte Position im Unternehmen zu übernehmen? Hier stellt eine qualifizierte Projektmanagement-Ausbildung - verknüpft mit einer entsprechenden Projektlaufbahn, die neben der Führungs- und Fachlaufbahn steht - einen Ansatz zur Problemlösung dar. Dieser existiert bisher in wenigen Unternehmen. Unter anderem, weil in vielen Unternehmen noch der Geist lebt: Wenn wir Geld in die Qualifizierung unserer Mitarbeiter als Projektmanager investieren, profitieren hiervon vor allem unsere Mitarbeiter. Sie sehen nicht, dass es sich hierbei auch um ein Investition in die Entwicklung des Unternehmens handelt.