AWE Europe 2018

Augmented, Virtual und Mixed Reality dringen tiefer ins Business vor

29.10.2018 von Manfred Bremmer
Auf der AWE Europe, dem europäischen Ableger der weltweit größten Konferenz und Expo für Augmented, Virtual und Mixed Reality, boten Anbieter sowie Anwender aus Sektoren wie Automotive, Energie & Utilities, Bau, Technik, Luftfahrt, Logistik, Pharma und Medizin einen Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand von AR, MR und VR.

"Go XR or go extinct", war das etwas provozierende Motto, unter dem Ori Inbar, AWE-Mitbegründer und CEO, die knapp 2000 Besucher der diesjährigen Veranstaltung im Münchner M.O.C begrüßte. Der Hintergrund, so Inbar: 50 Jahre nach der Erfindung von Augmented Reality durch Ivan Sutherland gebe es nun zahlreiche Hinweise darauf, dass mit Extended Reality (oder XR als neuer Sammelbegriff) die nächste Computing-Welle unmittelbar bevorstehe. So rechneten Analysten in der nächsten Dekade mit einem Marktvolumen von 200 Milliarden Dollar, begann Inbar seine Beweisführung. Außerdem hätten mit Apple, Google, Facebook, Microsoft & Co. praktisch alle IT-Riesen in das Thema AR/MR/VR investiert und XR sei bei über 70 Prozent der Fortune 1000 bereits erfolgreich im Einsatz.

Mit knapp 2000 Besuchern, 100 Sprechern und über 100 Ausstellern gehört die AWE Europe zu den größten Messen für AR/VR weltweit.
Foto: AugmentedWorldExpo

Die entscheidende Frage sei nun, wann Smart Glasses endlich Mainstream werden, so der AWE-Mitbegründer. Schließlich habe es bereits in den letzten Jahren immer geheißen, jetzt dauere es nur noch drei Jahre. Inbar selbst rechnet mit dem endgültigen Durchbruch, wenn Apple seine intern als T288 bezeichnete Datenbrille auf den Markt bringt, also vermutlich in 2021. Der kalifornische Hersteller betritt damit keineswegs technisches Neuland, mittlerweile bieten bereits rund 50 Firmen Headsets an - mehr als ein Dutzend davon waren auf der AWE EU 2018 zu bestaunen.

Magic Leap One auf der AWE Europe 2018
Foto: AugmentedReality.org

Besonderes Aufsehen neben den vielen Microsoft-HoloLens-Geräten, Oculus Rifts & Co. im Ausstellungsbereich erregte dabei die sehr schlanke AR-Brille Vuzix Blade, die Anfang November auf den Markt kommen soll. Auch das mit über zwei Milliarden Dollar Risikokapital ausgestattete Startup Magic Leap war mit seinen "One"-Headsets vor Ort - in einem separaten Raum hatten Entwickler und potenzielle Kunden (aber leider nicht der Presse) die Gelegenheit, die Fähigkeiten der neuen Smart-Glasses auszuprobieren.

Apple, Platinum-Sponsor des parallel stattfindenden International Symposium on Mixed and Augmented Reality (ISMAR), führte auf der AWE EU 2018 die neuen Funktionen von ARKit2 vor

Unternehmen haben die Vorteile von AR/VR erkannt

Noch spannender als die zur Schau gestellte Hardware waren die mit Hilfe der Devices umgesetzten AR- und VR-Szenarien. Im Business-Umfeld umfassen die Anwendungsmöglichkeiten dabei längst nicht mehr nur die Technik-Spielwiesen Vertrieb & Marketing, sondern erstrecken sich über die gesamte Wertschöpfungskette, wo ein signifikanter Return on Invest (RoI) erwartet wird, ausgehend vom Design bis hin zu Produktion, Service und Betrieb.

Einer aktuellen Studie zufolge bringt der Einsatz von AR Unternehmen signifikante Vorteile.
Foto: PTC

"AR kann Industrieunternehmen im Rahmen ihrer gesamten digitalen Transformation einen erheblichen Vorteil verschaffen", erklärte Mike Campbell, Executive Vice President Augmented Reality Products bei PTC. Er verwies dabei auf eine neue (Auftrags-)Studie der Aberdeen Group, wonach Unternehmen, die AR einsetzen, im Jahresvergleich ein bedeutsames Wachstum verzeichneten und ihr Ergebnis drastisch verbesserten. Wie Campbell ausführte, können Unternehmen mit AR besonders effektiv aktuelle Probleme in den Bereichen Fertigung und Service Management adressieren, etwa den Mangel an geschulten Mitarbeitern, die zunehmende Komplexität der Produkte und Arbeitsumgebungen sowie die wachsenden Anforderungen der Kunden.

Lernen mit AR statt Powerpoint-Anleitungen

Als Beispiel verwies der PTC-Manager auf den Landmaschinenhersteller AgCo, der mit dem AR-Tool Vuforia Studio auf Basis bestehender CAD-Modelle Schritt-für-Schritt-Anleitungen für die Microsoft HoloLens erstellt hat. Das Unternehmen konnte dadurch die Anlernzeit für neue Mitarbeiter, die sich bislang durch mehr als 200 ausgedruckte Powerpoint-Seiten quälen mussten, von fünf auf zwei Tage reduzieren, berichtete Campbell. Gleichzeitig habe AgCo damit die Zeit für Installationen und die Fehlerquote reduziert. Bei BEA Systems wiederum sei es gelungen, das Training neuer Mitarbeiter für die Montage einer Bus-Batterie durch den Einsatz einer Mixed-Reality-Anleitung via HoloLens um insgesamt 30 bis 40 Prozent effizienter zu gestalten.

Die Möglichkeiten von AR bei der Aus- und Fortbildung hat auch Bosch erkannt und in Folge zusammen mit dem Münchner AR-Anbieter und engen Partner RE'FLEKT zahlreiche Anwendungen für Automotive-OEMs entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die App "Rescue Assist" von Daimler, in der Rettungskarten aller Mercedes-PKWs und -Vans gespeichert sind, für die neueren Modelle gibt es dabei auch 3D-Ansichten und Darstellungen in Augmented Reality. Rettungskräfte erhalten damit wichtige Informationen, etwa die Lage sicherheitsrelevanter Bauteile wie Airbags, Batterien oder Kraftstoffleitungen.

Außerdem bietet der Elektronikkonzern ab Herbst/Winter 2018 in seinen Bosch Service Training Centern AR-Schulungen an, um KFZ-Mechatronikern einen detaillierten Einblick in Aufbau und Funktionen der Hochvolt-Komponenten von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen zu geben. Bosch hat dazu eine spezielle Augmented Reality-Plattform (CAP - Common Augmented Reality Platform) entwickelt, die es erlaubt, insbesondere auch für den Trainingsbereich neue Inhalte und Applikationen unabhängig vom Endgerät zu publizieren.

Um KFZ-Mechatronikern einen detaillierten Einblick in Aufbau und Funktionen der Hochvolt-Komponenten von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen zu geben, setzt Bosch künftig auf AR.
Foto: Bosch

Die Plattform greift dabei auf bestehende lokal oder zentral gespeicherte Inhalte zu und stellt die für die gewünschte AR-Anwendung erforderlichen Daten zusammen. Damit können auch unterschiedliche Trainingsszenarien realisiert werden. Im "Trainer Mode" steuert der Trainer die Endgeräte der Teilnehmer und entscheidet, welchen Anwendungsfall diese auf ihren Geräten sehen. Beim "Trainee Mode" schaltet sich der Trainer auf das Endgerät eines Teilnehmers und kann ihm so direkte Hinweise und Tipps für das weitere Vorgehen anschaulich vermitteln.

Mit AR sicher durch den Kabelbaum navigieren

Auch wenn man auf der Veranstaltung einen starken Fokus auf Szenarien rund um die Themenfelder Training und (Fern)-Wartung erkennen konnte, wurden auch eine Reihe anderer Anwendungsfälle demonstriert. So beschrieb ein Vertreter von Boeing, wie Montagearbeiter mit Hilfe von Augmented Reality bei der hochkomplexen Verkabelung von Flugzeugrümpfen den Überblick behalten. Das e-Health-Startup Proximie wiederum führte vor, wie die gleichnamige AR-Plattform Ärzte in Krisengebieten oder Schwellenländern bei Operationen durch die Überlagerung von digitalen Bildern und anderen Visualisierungs-Tools unterstützen kann.

Ein Boeing-Techniker nutzt zur Montage die Microsoft Hololens und Augmented Reality.
Foto: Boeing

Auch in der Finanzindustrie lässt sich Augmented Reality sinnvoll einsetzen, wie der Finanzsoftwareentwickler Devexperts mit "Devexa" demonstriert: Die AR-Lösung stellt Tradern und Finanzanalysten eine dynamische interaktive Benutzeroberfläche zur Verfügung, über die sie gemeinsam mit Partnern oder Kunden mit holografischen Diagrammen arbeiten und Märkte analysieren können - unabhängig davon, wo sie sich aktuell befinden. Neben dem AR-Interface enthält Devexa zur Bedienung einen digitalen Assistenten, mit dem sie in natürlicher Sprache kommunizieren können, um Suchanfragen zu starten oder Berechnungen vorzunehmen.

Devexperts Devexa 16:9
Foto: Devexperts

Im Ausstellungsbereich präsentierten Insider Navigation und Visualix, wie man mit Hilfe von Augmented Reality Nutzern in geschlossenen Räumen den Weg zeigt oder Informationen an bestimmten Plätzen positioniert. Neben der Indoor Navigation (von Insider Navigation z.B. am Flughafen Heathrow umgesetzt) gibt es dafür verschiedene Anwendungsszenarien, wie das Asset Tracking oder die Einblendung digitaler Informationen an der passenden Stelle, beispielsweise aus dem SAP-System. Die Orientierung geschieht bei den Wienern über spezielle Marker, während das Berliner Startup Visualix Unternehmen dabei hilft, ihre Lagerhäuser, Fertigungshallen oder Läden zu scannen und auf Basis der Bilder eine 3D-Karte zu erstellen. In dieser können sie dann spezielle Artikel tracken oder über ein Content-Management-System AR-Inhalte im Raum verankern.

AR-Support wird Mainstream

Manchmal sind es aber die kleinen AR-Lösungen, die den größten Effekt hervorrufen und noch dazu sehr schnell nutzbar sind. Nein, die Rede ist hier nicht von Pokemon Go, obwohl das Smartphone-Spiel - trotz zunächst schlechter Umsetzung - stark zum Bekanntheitsgrad von AR beigetragen hat. Vielmehr gab PTC auf der AWE Europe nun die weltweite Verfügbarkeit der AR-App Vuforia Chalk bekannt. Die kostenlosen iOS-Anwendung erlaubt es Personen an unterschiedlichen Orten, eine Live-Ansicht derselben Umgebung zu teilen und einfache Anmerkungen, sogenannte Chalk Marks, zu zeichnen. Diese Chalk Marks können an Objekten und Oberflächen in der Umgebung verankert werden, als wären sie direkt auf die Objekte und Oberflächen gezeichnet worden.

Eine ähnliche Idee verfolgt der Fernwartungsspezialist TeamViewer. Mit der App Pilot integriert der Göttinger Anbieter Augmented-Reality-Funktionen in seine Lösung für Fernwartung und Online-Meetings, TeamViewer 14. Über die Lösung können Anwender per Kamera-Fernzugriff quasi mit den Augen anderer sehen und diese mit AR-Annotationen interaktiv durch komplexe Prozesse, Umgebungen und Operationen zu führen. Wie bei TeamViewer üblich, ist das Pilot-Tool für den privaten Gebrauch kostenlos, beim Einsatz im professionellen Support muss eine Lizenz erworben werden.