Auf gerader Spur zum Projektziel

13.06.2007 von Hannelore Wittstadt
Wie lassen sich zwölf parallel laufende Projekte mit engen Fristen in kürzester Zeit planen und reibungslos koordinieren? Ganz einfach: mit drei Tapetenbahnen und ein paar "Moderationskärtchen". Das belegen zwei Pra-xisbeispiele aus Werken des Unternehmens Lafarge Dachsysteme GmbH.

Wie lassen sich zwölf parallel laufende Projekte mit engen Fristen in kürzester Zeit planen und reibungslos koordinieren? Ganz einfach: mit drei Tapetenbahnen und ein paar "Moderationskärtchen". Das belegen zwei Praxisbeispiele aus Werken des Unternehmens Lafarge Dachsysteme GmbH.

Wie können wir ein Dutzend zeitgleich verlaufender und sich überlappender Projekte planen und koordinieren? Vor dieser Frage stand der Leiter des Ziegelwerks Petershagen, Michael Lackner, vor zweieinhalb Jahren. Warum? Das Unternehmen Lafarge Dachsysteme, Oberursel (bei Frankfurt), zu dem das Ziegelwerk gehört und das mit 1500 Beschäftigten Dachziegel produziert und unter dem Markennamen Braas vertreibt, hatte bei einem Branchenvergleich festgestellt: Die Qualität unserer Leistung ist zwar anerkannt, doch wenn wir unsere Position als Marktführer halten oder sogar ausbauen möchten, dann müssen wir unsere Effizienz steigern. Also startete das Unternehmen, das weltweit einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erzielt, in seinen vier deutschen Tondachziegelwerken das Projekt "Produktivitäts- und Effizienzsteigerung in der Produktion" - kurz: "PEP". Gut zwei Jahre lang lief das Mega-Projekt, das zehn bis zwölf Einzelprojekte pro Werk umfasste.

Im Rahmen von PEP sollte auch das westlich von Hannover gelegene Werk Petershagen, das heute mit hundert Mitarbeitern 20 Millionen Ziegel pro Jahr produziert, total umgekrempelt werden. Alle mit der Fertigung verbundenen Abläufe und Prozesse inklusive Qualitätskontrolle, Lagerung sowie Transport über das fast zwei Kilometer lange Gelände sollten modernisiert werden - auch durch die Einführung neuer Technologien.

Und als sei dies nicht genug, hatte Werksleiter Lackner für die Umsetzung also alle Umbaumaßnahmen nur sechs Wochen Zeit. Denn hierfür musste die gesamte Produktion gestoppt werden. Deswegen war es aus Kostengründen enorm wichtig, die Umbauzeit möglichst kurz zu halten und sicherzustellen, dass in der sechswöchigen Umbauphase "alles rund läuft". Zumal allein das Abkühlen der Öfen zwei Wochen dauert.

Kick-off ohne Präsentation

Deshalb holte sich Lackner Unterstützung von der Unternehmensberatung Dr. Kraus und Partner, Bruchsal, die das PEP-Projekt bei Lafarge begleitete. Und Berater Stefan Bald machte einen überraschenden Vorschlag: Er wollte für die Projektplanung, -steuerung und -koordination keine Projektmanagement-Software wie Microsoft Project oder Power Project einsetzen, sondern eine "Roadmapping" genannte Methode, die (fast) ohne Computer auskommt.

Im Oktober 2005 setzten sich alle Projektbeteiligten an einen Tisch, um den Plan für die Umbaumaßnahmen, die sogenannte "Roadmap" zu erstellen ohne Beamer und PC. Lediglich etwas Material aus dem Baumarkt hatte Berater Bald zu dem Treffen mitgebracht: Tapetenbahnen, Krepp-Papier, dicke Stifte und bunte Moderationskärtchen.

Um den Tisch versammelt waren 18 Leute: das Führungsteam des Werks, die Leiter der Bereiche Instandhaltung und Werkstatt, Vertreter des Betriebsrates sowie der Ingenieurbüros, die Lafarge für das Planen der Umbauarbeiten engagiert hatte.

Stefan Bald erläuterte kurz den Zweck des Treffens: in kurzer Zeit den Weg zum gesetzten Ziel abzustimmen und übersichtlich darzustellen - mit Hilfe der Roadmap-Methode. Danach schrieb er oben auf die drei Tapetenbahnen, die er mit Krepp-Papier zusammengeklebt und auf dem Tisch ausgebreitet hatte: "Ende November 2005: Die Produktion stoppt". Und unten: "Mitte Januar 2005: Die Produktion startet wieder - reibungslos." Anschließend sagte er: "Jetzt müssen wir nur noch festlegen, wie wir zum Ziel gelangen." Und fragte die Teilnehmer: "Welchen Beitrag leisten Sie dazu?"

Welche Aufgaben im Gesamtprojekt aus ihrer Sicht in ihr Aufgabenfeld fallen, schrieben die Teilnehmer des Workshops auf die "Kärtchen". Auf der Vorderseite stand die jeweilige Aufgabe mit Enddatum, auf der Rückseite der Name des Verantwortlichen. Also zum Beispiel auf der einen Seite "Leitung xy ist bis 1. Dezember verlegt" und auf der anderen Seite "Werkstatt, Herr Müller".

Diese Kärtchen stellten die Projektbeteiligten nach Datum geordnet auf die verschiedenen "Spuren" wie "Elektroarbeiten" und "Schlosserarbeiten". Diese Spuren hatte Bald zuvor auf den zusammengeklebten Tapetenbahnen für die verschiedenen Tätigkeitsfelder eingezeichnet - ähnlich wie die Spuren einer Autobahn. "Innerhalb kürzester Zeit hatten wir so einen groben Überblick, wie der Umbau ablaufen könnte", erinnert sich Lackner.

Feintuning mit einfachen Handgriffen

Anschließend begann die Feinarbeit: Die Beteiligten überprüften anhand der "Roadmap", wie die einzelnen Aufgaben zusammenhängen und ob gewisse Tätigkeiten zum Beispiel vorzuziehen wären, damit das Ziel "Neustart der Produktion Mitte Januar" erreicht wird. Schnell wurde so zum Beispiel klar: "Die Leitung xy brauchen wir schon früher, sonst können wir an der Schnittanlage nicht weitermachen." Oder: "Hier fehlt noch die Freigabe des Konzepts, bevor das Ingenieurbüro mit seiner Arbeit beginnen kann." Also wurden die betreffenden Kärtchen verschoben und weitere Kärtchen für neue Aufgaben hinzugefügt.

"Beim Feintuning zeigte sich ein weiterer Vorzug der Roadmap-Methode", erzählt Lackner. "Jeder konnte mit ein, zwei Handgriffen seine Vorstellung vom Ablauf den anderen verdeutlichen - ohne den Projektplanentwurf am Computer zu verändern." Dadurch konnten auch die Mitarbeiter ohne Erfahrung mit Projektmanagement-Software in den Prozess integriert werden.

Deutlich wurde beim Abstimmen der Details mit Hilfe der Roadmap auch, wo es Engpässe gibt. So machten die Kärtchen zum Beispiel deutlich: Elektriker und Schlosser sind teilweise zu gleicher Zeit an mehreren Orten eingeplant. Und noch etwas wurde den Beteiligten klar: "Wir können nicht alle Mitarbeiter in der Umbauphase nach Hause schicken." Dies war ursprünglich geplant. Doch dann stellten die um die Tapetenbahnen Versammelten fest: Wenn die Anlagen eingefahren werden also so eingestellt werden, dass die Produktion wieder reibungslos läuft müssen auch Mitarbeiter anwesend sein, die tagtäglich mit den Maschinen arbeiten. Denn die merken schnell, wenn noch etwas holpert. Außerdem werden sie so früher mit den neuen Abläufen vertraut.

In zwei Stunden alles abgestimmt

"Nur zwei Stunden dauerte es, bis die Roadmap aufgebaut und der Ablauf des Umbaus abgestimmt war", berichtet Lackner begeistert. Hätte sich dagegen "einer von uns eine Woche ins stille Kämmerlein zurückgezogen und uns danach seine fix und fertig ausgearbeitete Lösung präsentiert, wäre längst nicht alles so glatt gelaufen", ist er überzeugt. Aus folgenden Gründen: Zum einen hätte der Planer gewiss manch wichtiges Detail vergessen. Zum anderen hätten sich die Betroffenen beim Prüfen des Ablaufsplans allein auf ihren Tätigkeitsbereich konzentriert die Ingenieure auf ihre Anlage, die Elektriker auf ihre Leitungen, usw. "Und keiner hätte kapiert, wie alles zusammenhängt", vermutet Lackner. "Erst nach dem Kick-off-Meeting wäre die wirkliche Abstimmung losgegangen, mit Hunderten E-Mails, Telefonaten und Vorwürfen wie: Daran haben Sie wohl nicht gedacht.2 Dies wurde durch das gemeinsame Erstellen der Roadmap vermieden.

Entsprechend reibungslos lief die Umsetzung. "Während des Umbaus gab es kaum Störungen, da alles im Vorfeld geklärt war", berichtet Lackner. Aber auch keine Konflikte - unter anderem, weil die Beteiligten vorab alle kritischen Fragen diskutiert und sich auf ein Vorgehen verständigt hatten. Zudem hatten die Workshop-Teilnehmer beim Roadmap-Workshop "den Ablauf schon so stark verinnerlicht, dass sie während der Umsetzung nicht mehr oft nachschauen mussten, was es zu tun gilt", berichtet Lackner. Weder die Excel-Tabelle wurde oft zu Rate gezogen, in die Berater Bald die (Teil-)Aufgaben eingetragen hatte, noch die Roadmap, die während der Umsetzung im Besprechungsraum lag.

Das Ergebnis der PEP-Projekte in Petershagen kann sich denn auch sehen lassen: Der Einsatz der 150 bis 200 Leute, die teilweise auf der Großbaustelle beschäftigt waren, war gut koordiniert. Der Zeitplan wurde exakt eingehalten und alle Projekte wie vorgesehen realisiert. Die Produktion startete wie geplant pünktlich Mitte Januar - mit einer um zwölf Prozent erhöhten Produktivität.

Roadmap weiterempfohlen

Seine positiven Erfahrungen mit der Roadmap gab Lackner, der heute auch das einige Kilometer von Petershagen entfernte Werk in Rinteln leitet, übrigens sofort weiter - unter anderem an Ottmar Hannemann. Denn dieser stand als Leiter eines PEP-Projektes im Werk Obergräfenhain (bei Chemnitz), dem größten Ziegelwerk von Lafarge, vor folgender Herausforderung: Am 1. Juni 2006 sollen 100.000 Ziegel eines vollkommen neuen Designs bereit sein für die Markteinführung. Das neue Produkt mit dem Namen Rubin 9V sollte der bisher größte Ziegel werden, den Lafarge produziert.

Auch in Obergräfenhain mussten für dieses Projekt zwei von sechs Produktionslinien "komplett umgekrempelt werden", erzählt Hannemann. Denn wegen der Größe des neuen Ziegels mussten alle Anlagen den neuen Maßen angepasst werden von der Ziegelpresse über die Transportvorrichtungen bis hin zur Verpackung der Ziegel. Auch im 20 Hektar großen Werk Obergräfenhain, das jährlich 80 Millionen Ziegel produziert, war der Zeitdruck groß. Denn auch hier sollte aufgrund der Umbauarbeiten bis April 2006 die Produktion stillstehen. Also blieb unterm Strich nur ein Monat Zeit, um alle neuen Anlagenteile in Betrieb zu nehmen und die 100.000 Ziegel des neuen Rubin 9V zu produzieren.

Zunächst versuchten die Verantwortlichen das Mega-Projekt auf herkömmliche Art zu planen: mit der Projektmanagement-Software MS-Project. Doch damit stießen sie bald an ihre Grenzen, erinnert sich Hannemann: "Es war einfach zu unübersichtlich." Da erfuhr er von Lackners guten Erfahrungen mit der Roadmap in Petershagen. Also engagierte auch er Stefan Bald von der Unternehmensberatung Dr. Kraus und Partner. Und im Januar 2006 versammelten sich auch in Obergräfenhain rund ein Dutzend Mitarbeiter um ein paar Tapetenbahnen: der Werkleiter, der Linienleiter, der für die beiden Produktionslinien verantwortlich ist, der technische Leiter des Standortes, die externen Projektingenieure, die verantwortlichen Elektro- und Schlossermeister sowie Projektleiter Hannemann.

An alle Details gedacht

Auch hier ging die Planung sehr schnell obwohl die Beteiligten zwar "ihre" Milestones im Kopf, aber noch keine Kärtchen vorbereitet hatten. "Trotzdem hatten wir nach zweieinhalb Stunden den Ablauf definiert und ihn so weit abgestimmt, dass alle damit einverstanden waren", berichtet Hannemann. Doch nicht nur die Schnelligkeit der Methode beeindruckte ihn: "Weil alle Beteiligten am Tisch saßen, wurde jedes Detail bedacht. Wir haben zum Beispiel auch Optimierungsmaßnahmen in den Plan mit eingebaut, mit denen die Leistung der Linie nach der ersten Inbetriebnahme von anfangs 85 auf 95 Prozent erhöht wird. Selbst so vermeintliche Kleinigkeiten wie ein Toiletten-Container für die Mitarbeiter wurden nicht vergessen."

Ein weiterer Vorteil der Roadmap-Methode zeigte sich im Verlauf des Projektes: Die Planung ist so flexibel, dass auch auf Unvorhergesehenes adäquat reagiert werden kann. Im Ziegelwerk Obergräfenhain wirbelte eine neue Transportstrecke die Planung kurzfristig durcheinander. Die Entwicklung der Ablaufsteuerung der neuen Anlage, welche die Ziegel durch die gesamte Produktionshalle in die erste Etage der Fertigungslinie transportieren sollte, dauerte länger als gedacht. Die externe Firma heilt die vereinbarte Entwicklungszeit nicht ein. Dadurch verzögerten sich alle Umbaumaßnahmen rund um die Transportstrecke.

"Mit Hilfe der Roadmap konnten wir darauf aber schnell reagieren", erzählt Hannemann. Das Kärtchen "Transportstrecke", das mit Krepp-Band auf der Tapete befestigt war, wurde einfach abgelöst und ein wenig weiter hinten auf der Bahn platziert. Ebenso alle Kärtchen, die von diesem abhängig waren. "Und schon sahen wir genau, welche Auswirkungen die Verzögerung hat: Diese Aufgaben verschieben sich, während wir an jenen Stellen schon mal weitermachen können." Auf diese Weise wurde der Zeit-plan auch in Obergräfenhain eingehalten. Und das Soll sogar "übererfüllt": Statt der geplanten 100.000 waren Anfang Juni bereits 300.000 Ziegel fertig.

Für Hannemann, der inzwischen zum Betriebsassistenten in Rinteln aufgestiegen ist, und für Lackner steht nach ihren Erfahrungen mit der Roadmap fest: Bei komplexen Projekten, bei denen in kurzer Zeit die Arbeit vieler Menschen zu koordinieren ist, greifen wir auch künftig auf diese Methode zurück. (Hanna Wittstadt/mf)

Seminar-Tipp: Seminare zur Roadmap-Methode werden von der K-Akademie der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal ( www.k-akademie.de). Sie werden von Stefan Bald geleitet