Entscheidung über Restrukurierung am 15. Oktober

Atos-CEO gibt nach einem halben Jahr auf

29.07.2024 von Peter Marwan
Paul Saleh rückte Anfang 2024 auf den Posten des CEO. Jetzt verlässt er das Unternehmen. CEO wird Jean-Pierre Mustier, bisher Vorsitzender des Verwaltungsrats bei Atos - und sanierungserfahrener Kontrollfreak
 
  • Tiefe strukturelle Krise bei Atos
  • Entscheidung im beschleunigtes Schutzschirmverfahren im Oktober
  • Das ist der neue Atos-CEO Jean-Pierre Mustier
Paul Saleh legt nach gut einem halben Jahr den CEO-Posten bei Atos nieder.
Foto: Atos

Erneuter Chefwechsel beim krisengeschüttelten IT-Dienstleister Atos: Paul Saleh wirft nach einem halben Jahr hin. Der Manager habe dem Board of Directors seinen Rücktritt angeboten, teilt Atos mit. Das Board hat Salehs Antrag mit sofortiger Wirkung angenommen. Beides deutet nicht auf eine harmonische Atmosphäre im Management von Atos hin.

Seine Nachfolge tritt Jean-Pierre Mustier an. Er war bisher Vorsitzender des Verwaltungsrats bei Atos. Mustier gilt einerseits als Star-Banker, andererseits als unzugänglich und wenig kommunikationsfreidug.

Bereits Yves Bernaert, der Vorgänger von Saleh, hatte das Unternehmen zur Jahreswende 2023/24 wegen Meinungsverschiedenheiten über die weitere Strategie verlassen. Dabei wäre Einigkeit und Teamgeist bei dem französischen Unternehmen, das derzeit die IT für die Olympischen Spiele betreibt, äußerst gefragt. Schließlich steht mit der seit Mitte 2022 geplanten Aufspaltung und Neustrukturierung des Konzern eine wahrhaft sportliche Aufgabe an.

Atos in einer tiefen Krise

Es geht darum, die unter dem nahezu wahllos zukaufenden CEO und Chairman Thierry Breton (heute EU-Kommissar) aufgeblähten Konzern wieder wettbewerbsfähig zu machen. Wie sinnlos viele der Zukäufe waren, zeigte sich spätestens, als die daraus entstandenen Geschäftseinheiten verkauft werden sollen: Sie fanden selbst zu moderaten Preisen keine Käufer.

Der neue CEO Jean-Pierre Mustier, war zuvor Vorsitzender des Verwaltungsrates bei Atos.
Foto: Unicredit

Lediglich für die 2016 für 366 Millionen Euro übernommene ehemalige Siemens-Telefoniesparte Unify fand sich mit Mitel ein Käufer. Zum Kaufpreis machten die Beteiligten allerdings keine Angaben. Selbst die Cybersicherheits-Sparte - die angesichts des Booms dieses Segments begehrt sein müsste - fand nach langen Verhandlungen keinen Abnehmer. Auch der Sparte "Tech Foundations geht es ähnlich. Hier winkte zuletzt Airbus ab.

Da Atos nicht durch Verkäufe an Geld kommen kann, fehlt dem Konzern seit Monaten dringend benötigtes Kapital - aktuell deutlich über 1 Milliarde Euro. Zudem drücken das Unternehmen Schulden von fast fünf Milliarden Euro. Davon sind 3,65 Milliarden Euro bis Ende 2025 fällig. Ein im April vorgestellter Restrukturierungsplan wurde Mitte Juli weitgehend beschlossen.

Entscheidung im Schutzschirmverfahren im Oktober

Da auch der französische Staat Interesse am Erhalt von Atos geäußert hat, läuft seit Mitte Juli ein "beschleunigtes Schutzschirmverfahren". Das sicherte Atos zunächst einmal 1,675 Milliarden Euro von einer Gruppe von Banken und Gläubigern. Im Gegenzug für einen Schuldenerlass in Höhe von 3,1 Milliarden Euro sichern sie sich einen Löwenanteil an den inzwischen nahezu wertlosen Aktien (0,95 Cent). Der Restrukturierungsplan "wird zu einer massiven Verwässerung für die bestehenden Aktionäre von Atos führen, die, wenn sie nicht an den vorgeschlagenen Kapitalerhöhungen teilnehmen, weniger als 0,1 % des Aktienkapitals halten würden", teilte das Unternehmen mit.

Nächster Schritt im beschleunigten Schutzschirmverfahren ist am 15. Oktober eine Anhörung über die Rechtmäßigkeit des Sanierungsplans vor dem Handelsgericht in Nanterre. Sofern das Gericht zustimmt, wird der Plan durch mehrere Kapitalerhöhungen und die Emission von Schuldtiteln dann zwischen November 2024 und Januar 2025 umgesetzt.

Wer ist der neue Atos-CEO Jean-Pierre Mustier?

Jean-Pierre Mustier war zwischen 2003 und 2008 Chef der Bank Société Générale. Dort war er - je nach Lesart - direkt Verantwortlicher oder Prügelknabe -, als der junge Trader Jérôme Kerviel für Verlust von fast 4,9 Milliarden Euro sorgte und die Bank ins Chaos stürzte. Mustier, den französische Wirtschaftskreise als von Zahlen besessenen Mathematiker und Kontrollfreak bezeichnen, hatte der Bank zuvor durch die Entwicklung eines Angebots an komplexen Finanzprodukten ordentliche Gewinne beschert.

Eventuell waren diese Angebote jedoch zu komplex. Mustier nahm sich des Problems zwar beherzt an, zögerte jedoch gleichzeitig den Zeitpunkt der Benachrichtigung an die Behörden. Ein Jahr später, während der Subprime-Krise, wurde Mustier wegen Insiderhandels angeklagt und trat zurück. Das Verfahren wurde einige Monate später eingestellt.

Nach einer Pause verpflichtete ihn 2011 die italienischen Bank Unicredit. Dort erarbeitete er sich den Ruf eines Machers mit klarem Blick, der auch Sanierungsprojekte erfolgreich umsetzen kann. Bei der italienischen Bank gelang es ihm, 13 Milliarden Euro zu beschaffen und die Gruppe durch den Verkauf von Tochtergesellschaften und Aktivitäten in Höhe von 50 Milliarden Euro gesundzuschrumpfen. Damit könnte Mustier genau der Mann sein, den Atos jetzt an der Spitze braucht.