BARC, i2s, Experton

Apotheker-Abgang - was die Analysten sagen

08.02.2010 von Thomas Cloer
Nach SAPs Mitteilung zum Vorstandsumbau gestern Abend haben sich bereits die ersten Analysten mit ihren Einschätzungen zu Wort gemeldet.

BARC

Carsten Bange (BARC) schreibt in seinem Blog bei "BeyeNETWORK":

Die SAP-Technologiestrategie 2010+ nach dem Vorstandsumbau

Apotheker geht, Sikka kommt, Plattner bleibt: Der SAP Vorstand wurde in den letzten Monaten deutlich umgebaut, gipfelnd im heute angekündigten sofortigen Rückzug von Leo Apotheker und Ernennung von Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe als Doppelspitze.

Für die Technologiestrategie sind zwei weitere Ankündigungen von Bedeutung: Vishal Sikka wird als Chief Technology Officer in den Vorstand berufen und "Auf Wunsch des Aufsichtsrats wird Hasso Plattner, Mitgründer der SAP und Aufsichtsratsvorsitzender der SAP AG, weiterhin eine starke Rolle spielen, um die neue Führung in Fragen der Technologie und der Produktentwicklung zu beraten." (SAP Pressemitteilung),

Was bedeutet dies für die Technologiestrategie der SAP 2010+?

Vishal Sikka hatte bereits auf dem Influencer Summit im Dezember 09 die Architektur- und Technologiestrategie der kommenden Jahre umrissen:

Leitlinie ist ein allgemeines Architekturbild, das als Basis die Prozessebene (Transaktionsabwicklung im ERP-System, NetWeaver Integration) definiert, das durch Erweiterungen verschiedene Zusatzfunktionen, -anwendungen oder auch Distributionsformen (z.B. On-Demand) erfahren kann. Innovationen und schnellere Anpassung an neue Anforderungen sollen auf Basis der stabilen Transaktionsabwicklung im Kernsystem durch solche Erweiterungen realisiert werden. Die dritte Ebene stellt die Anwendungsebene dar, die über diese Erweiterungs- und Distributionsebene auf die Prozesse zugreifen kann.

Für die technologische Weiterentwicklung werden generell drei Themen in den Mittelpunkt gerückt: Cloud Computing, In-Memory Speicherung, Mobiler Zugriff. Business ByDesign (BBD) als nächste Generation der ERP-Lösung ist Cloud basiert, für (spaltenbasierte) In-Memory Datenbanken macht sich Hasso Plattner seit einiger Zeit stark und die Datenbanktechnologie hinter BBD und auch dem BW Accelerator ist schon hierauf umgestellt. Mobile Computing auf SmartPhones ist spätestens seit dem Erfolg des Apple IPhones als der Zukunftsmarkt schlechthin identifiziert worden. Damit besetzt die SAP wesentliche Zukunftsthemen der IT, muss aber in vielen Bereichen nun beweisen, dass sie diese Konzepte und Entwicklungen auch umsetzen kann.

Konkret für den Bereich Business Intelligence gibt es zahlreiche wesentliche Weiterentwicklungen in den nächsten Jahren:

2010 steht mit BusinessOjects XI 4.0 ein neues Major Release an, das viele neue Funktionen aber auch einige grundsätzliche architektonische Änderungen bringt.

Wesentlich ist die neue semantische Schicht, dem Herzstück der Business Intelligence Werkzeuge von BusinessObjects ("Universum"). Sie trennt die Definition von Berichtsobjekten, Datenmodellen und Datenzugriff und führt somit eine weitere Abstraktionsebene ein, die Anwendern größere Flexibilität und Wiederverwendung ermöglicht. Weitere neue Funktionen umfassen den föderierten Zugriff auf verschiedene Daten in einem Universum und Zugriff auf relationale und (neu) dimensionale Datenquellen wie z.B. SAP BW. Damit wird der Query Designer in SAP BW überflüssig und die Integration zwischen SAP BO Frontends und SAP BW vorangetrieben.

Weiterhin wird die Integration und Anwendererfahrung der verschiedenen BI Tools (Xcelsius, Crystal Reports, WebIntelligence, Pioneer) zu einer durchgängigeren Suite vorangetrieben. Vor allem wird einerseits ein einheitlicheres Nutzerinterface angestrebt, z.B. wird eine gemeinsame Grafik-Engine mit Empfehlungen oder einheitliche Befehlsmenüs im neuen Microsoft Office Layout. Andererseits wird die Zusammenarbeit der verschiedenen Werkzeuge verbessert, z.B. durch Austauschbarkeit von Objekten und Datensichten. Noch nicht wirklich im Fokus dieser Initiative sind momentan Produkte, die der EPM-Segment bei SAP BO zugeordnet sind wie z.B. der Planungslösung BPC. Integration der Komponenten bleibt also aus einer kompletten Sicht des Produktportfolios weiterhin ein Thema.

Generell stärkt SAP BusinessObjects weiter die branchenbezogenen analytischen Applikationen und nennt dies nun "Business Analytics". Dies entspricht der dritten Schicht in der generellen Architektur-Leitlinie der SAP und ist letztlich eine Weiterführung des Business Content aus dem SAP BW und der Rapid Marts aus dem Business Objects Portfolio. Business Analytics im Sinne der SAP sind entsprechend Anwendungen, die aus vordefinierten Datenmodellen, Datenintegrationsmöglichkeiten aus verschiedenen (auch non-SAP) Vorsystemen sowie vordefinierten Berichten und Analyseumgebungen für Fachanwender bestehen. Die Begriffsnutzung Analytics ist damit etwas unterschiedlich von SAS und IBM als den beiden anderen großen Anbietern die ihn nutzen. SAS und IBM rücken mit dem Analytics Begriff stärker ihre statistischen und anderen fortgeschrittenen Analysemöglichkeiten für Vorhersage und Data Mining in den Vordergrund.

Insgesamt besetzt die SAP interessante technologische Zukunftsthemen der IT und im Bereich Business Intelligence werden wesentliche Anwendungen hierfür sichtbar werden. Für Cloud Anwendungen sind bereits erste interessant Ansätze sichtbar, die In-Memory Technologie hinter dem BW Accelerator wird sicherlich ausgebaut, um eine weitere Datenbankunabhängigkeit insbesondere von Oracle zu gewinnen und auch mobile Anwendungen sind ein wesentlicher Entwicklungsschwerpunkt aller BI-Anbieter, auch wenn SAP BusinessObjects hier momentan noch nicht so viel zu zeigen hat. Mit dem neuen Vorstand und seinem Commitment zur technologischen Innovation könnte sich das schnell ändern. Wir werden sehen...

i2s, Experton Group

Frank Naujoks von i2s schreibt uns per E-Mail:

Apotheker muss gehen: SAP kehrt mit Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe zur Doppelspitze zurück

SAP hat das Experiment unter Leo Apotheker ohne grosse Sentimentalitäten beendet. Schon länger gab es Gerüchte, dass sich Hasso Plattner stärker involviert in seinem Unternehmen und dass die Tage von Leo Apotheker als Unternehmenschef gezählt sind.

Zu viele Fehler und Pannen sind passiert, angefangen bei den vollmundigen Ankündigungen und dem Neustart von SAP Business By Design, über Veränderungen in der Unternehmenskultur bis hin zu den leidigen Diskussionen um die Wartungspreise, als dass Apotheker sicher von einer Vertragsverlängerung ausgehen konnte.

Doch die Stärkung der Rolle des Gründers Plattner in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender und technologischer Berater wird nicht automatisch die Probleme lösen, vor denen SAP steht. Die Kunden lehnen sich zunehmend gegen das traditionelle Software-Verkaufsmodell auf, das Neugeschäft ist immer schwerer zu gewinnen, da eine zunehmende Marktsättigung in den SAP-Kernmärkten eintritt, Wartungspreise sind in der Diskussion - und die Belegschaft ist nach mehreren Reorganisationen und Sparrunden auch erst mal wieder zu motivieren. Das allerdings wird wohl der neuen Truppe leichter fallen - waren doch auf für sie die letzten Monate lehrreich.

Inzwischen hat sich auch noch die Experton Group mit Andreas Zilch bei uns gemeldet:

Apotheker tritt zurück – notwendig und richtig, aber noch nicht die Lösung aller SAP Probleme

* SAP ohne Strategie und Leadership
* Doppelspitze als kurzfristige Notlösung
* Kundennähe und Innovationskraft müssen gestärkt werden

Am 7. Februar hat der SAP Aufsichtsrat entschieden, den Vorstandsvertrag nicht zu verlängern und konsequenterweise ist Leo Apotheker daraufhin sofort zurückgetreten. Mag der Zeitpunkt auch einige überraschen – diese Entwicklung war logisch und auch notwendig.

SAP hat in den letzten 18 Monaten eine sehr schwierige Phase durchgemacht, die nicht nur auf die Wirtschaftskrise zurück zu führen ist.

SAP hat in dieser Zeit insgesamt und gegenüber dem Rivalen Oracle an Boden verloren und war zuletzt extrem verunsichert, hinzu kam eine sehr schlechte externe und interne Kommunikation. Eingeleitet wurde diese Entwicklung mit der Berufung von Leo Apotheker als Vorstandsvorsitzenden, der gegenüber seinem Vorgänger Kagermann mehr Wert auf Vertrieb, Marge und Aktienkurs legen sollte. Das hat Apotheker zweifellos getan, wenn auch ohne Erfolg. So hat sich der SAP Aktienkurs gegenüber dem Hauptkonkurrenten Oracle in der Zeit von Leo Apotheker um über 25% schwächer entwickelt.

Die vielen Fehlentscheidungen und „Pannen“ der letzten 1,5 Jahre alleine auf Apotheker zu schieben, greift aber viel zu kurz. Er mag zwar gegenüber Kunden und Mitarbeitern sehr überheblich gewirkt haben – die strategische Ausrichtung hat er aber nicht allein zu verantworten.

Vielmehr wurde diese von mehreren Stakeholdern entschieden und von Apotheker exekutiert. Bei allen Verdiensten von Hasso Plattner für SAP – er hat wohl nach Shai Agassi zum zweiten Mal eine wichtige Personalentscheidung „falsch“ entschieden. „Falsch“ in Anführungsstrichen, weil die jeweilige Strategie – zumindest partiell – richtig war, aber von den Personen nicht erfolgreich umgesetzt werden konnte.

Was soll SAP jetzt tun? Diese Doppelspitze ist für ein Unternehmen dieser Klasse natürlich nur eine Notlösung – sehr schnell muss eine Persönlichkeit gefunden werden, die SAP wieder zum Erfolg zurückführt. Der Aufsichtsrat ist nach seiner Aktion sicher vom Rücktritt nicht überrascht und hatte somit schon einige Zeit, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen. Die Person und die Vita des neuen Leaders muss natürlich die „neue“ Strategie der SAP widerspiegeln.

Und genau dort liegt das Problem! Die SAP Strategie ist aktuell weder für Mitarbeiter noch für Kunden zweifelsfrei zu erkennen. Im Basisgeschäft ist SAP solide und erfolgreich, Innovationen scheitern aber regelmäßig, die Kommunikation ist intern wie extern katastrophal und daher ist auch die extreme Verunsicherung auf allen Ebenen zu erklären. SAP muss nicht nur ein solides Basisportfolio liefern, sondern auch Innovationen wie Netweaver und BusinessByDesign erfolgreich entwickeln und vermarkten. Weiterhin muss SAP die „alten Tugenden“ wie Kundenorientierung, das Partner-Universe und Branchen- und Prozess- Know-How kombinieren mit neuen Komponenten wie Communities, Web2.0 und Cloud Computing.

„Die Kunden müssen jetzt sehr sensibel auf die Signale der SAP achten – und daraus die eigenen Konsequenzen bezüglich der strategischen Bindung an SAP ziehen. SAP muss wieder lernen, auf ihr Umfeld zu hören und das Verhalten danach auszurichten. Das ist in einer Zeit, in der sich die Softwareindustrie komplett wandelt nicht nur erfolgskritisch, sondern vielmehr langfristig überlebensnotwendig“ sagt Andreas Zilch, Vorstand und Lead Advisor der Experton Group.