Rückzahlungsverpflichtungen in Milliardenhöhe an Privatversicherte

Anpassung PKV-Prämien massenweise unwirksam

04.11.2008
Unwirksame Beitragserhöhungen werden nicht gutgeschrieben, unrichtige Bilanzen nicht berichtigt. Dr. Johannes Fiala und Peter Schramm erwarten Rückzahlungsverpflichtungen in Milliardenhöge.

Private Krankenversicherer haben in den zurückliegenden zehn Jahren oftmals die monatliche Prämie mehr als verdoppelt. Dies ist jedoch nicht nur Spielbild einer "gefühlten" Inflation, sondern beruht auch auf dem Bemühen, sich gegen potenzielle Risiken auch sogar eigenen illegalen Verhaltens zahlreicher Versicherer gegenüber ihren Kunden abzusichern: Obgleich Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eindeutig Recht gesprochen haben, ignorieren betroffene Versicherer dies. Versicherte, die auf ihrem Recht bestehen, erhalten Rückzahlungen für die Vergangenheit und niedrigere Prämien für die Zukunft. Offenbar werden weder jahrelange unwirksame Beitragserhöhungen den Versicherungskunden unaufgefordert wieder gutgeschrieben, noch werden dem Anschein nach seit Jahren unrichtige Bilanzen der Assekuranz berichtigt.

Kein aufsichtsrechtliches Einschreiten für individuelle Kunden

Wer auf die Aufsichtsbehörde hofft, wird enttäuscht, denn diese stellt offenbar die individuellen Rechtsansprüche der Versicherungsnehmer zurück gegenüber dem Wunsch, unwirksame Beitragsanpassungen im Kollektiv aufrechtzuerhalten, damit die Zahlungsfähigkeit der Versicherer nicht gefährdet wird. Und damit handelt sie entsprechend ihrer aufsichts-rechtlichen Aufgaben - und gefährdet durch solches Stillhalten erst recht die finanzielle Stabilität der Versicherer.

Höchstrichterliches Urteil

Nachdem durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.12.1999 - 1 BVR 2203/98 festgestellt wurde, dass die ordentlichen Gerichte im Streitfall eine umfassende inhaltliche und rechtliche Überprüfung einer beanstandeten Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung vorzunehmen haben, hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil des BGH vom 16.06.2004 - IV ZR 117/02 Grundsätze zu den Voraussetzungen und den Prüfungsmaßstäben für eine Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung festgestellt.

Die Krankenversicherung ist seit 1994 im Versicherungsvertragsgesetz und Versicherungsaufsichtsgesetz geregelt worden. Die §§ 178a ff. VVG sowie § 12 ff. VAG und die dazu erlassene Kalkulationsverordnung enthalten für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung eingehende Bestimmungen über die Prämienkalkulation und die nunmehr von der Zustimmung eines Treuhänders abhängige Prämienanpassung durch den Versicherer.

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 16.06.2004 (Az. IV ZR 117/02) entschieden, dass rechtlicher Maßstab für die zivilgerichtliche Überprüfung einer Prämienanpassung ist, ob sie nach anerkannten versicherungsmathematischen Grundsätzen als mit den speziellen dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist. Diese Vorschriften enthalten für die Prämienkalkulation und die Prämienanpassung strenge Vorgaben, die die Dispositionsfreiheit des Versicherers stark beschränken.

Dadurch soll zur Wahrung der Belange der Versicherten und im öffentlichen Interesse gewährleistet werden, dass die Versicherungsprämie in einer Weise kalkuliert wird, die insbesondere Prämiensteigerungen nur aus solchen Gründen zulässt, die vom Versicherer nicht zu beeinflussen sind, etwa Kostensteigerungen im Gesundheitswesen oder ein Ansteigen des durchschnittlichen Lebensalters.

Diese klaren rechtlichen Vorgaben konkretisieren damit, was als angemessene und der Billigkeit entsprechende Prämie anzusehen ist.

Ohne veränderten Schadenbedarf darf nicht angepasst werden

Danach ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für das gesetzliche Prämienanpassungsrecht des Versicherers nach § 178g Abs. 2 VVG i. V. mit §§ 12b, 12c VAG und der Kalkulationsverordnung gegeben sind, nämlich die nicht nur vorübergehende Erhöhung des tatsächlichen Schadensbedarfs gegenüber dem der bisherigen Prämie zugrunde liegenden kalkulierten Schadensbedarf (sogenannter "Auslösender Faktor") um einen bestimmten Prozentsatz (gesetzlich zehn Prozent, tariflich manchmal fünf Prozent). Dabei ist unter anderem zu beachten, dass eine Prämienanpassung nur für den Tarif zulässig ist, in dem die Erhöhung des Schadensbedarfs den maßgeblichen Prozentsatz überschritten hat.

Was ein Tarif ist, war bis zu diesem BGH-Urteil in der Branche umstritten. Der BGH hat dies in seinem Urteil konkretisiert. Danach stellen Männer, Frauen und Kinder/Jugendliche innerhalb eines Tarifes für sich jeweils eigene getrennte Tarife dar. Das bedeutet z. B., dass bei geschlechtsabhängig kalkulierten Prämien die Prämie für Männer nicht erhöht werden darf, wenn der maßgebliche Prozentsatz nur bei den Frauen überschritten ist.

Teilweise jede vierte Beitragsanpassung unwirksam

Bis zum BGH-Urteil Mitte 2004 haben dies viele Versicherer anders gesehen. So wird der Vorstand der Debeka Krankenversicherung Ulrich Weber von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 18. Juni 2004 zitiert "Bei der Debeka, der größten deutschen Krankenversicherung, hieß es, der Bundesgerichtshof stelle eine jahrzehntelange Praxis der Versicherer in Frage. Schon immer hätten sie die Prämien der Frauen überprüft und gegebenenfalls erhöht, wenn es bei den Männern zu höheren Schäden gekommen sei. Da umgekehrte gelte ebenfalls."

Branchenweit wurden also Prämienanpassungen durchgeführt, die nach dem BGH-Urteil sich nun rückwirkend als unwirksam herausstellen. Schätzungsweise ist bei vielen privaten Krankenversicherungsunternehmen bis zu jede vierte Beitragsanpassung zwischen 1995 und 2004 unwirksam.

Beitragsrückforderungen in Milliardenhöhe möglich

Die nach BGH unwirksamen Beitragsanpassungen wurden zu keiner Zeit durch wirksame ersetzt - vielmehr werden die Prämien aus unwirksamen Beitragsanpassungen weiter erhoben, ohne dass die Kunden über die Unwirksamkeit informiert wurden. Daher können die deshalb zuviel gezahlten Prämien zurückverlangt werden. Selbst bei vorsichtiger Schätzung betrifft dies Prämienforderungen in Höhe von bis zu mehr als eine Milliarde Euro jährlich branchenweit - die bereits aufgelaufenen Rückforderungsansprüche belaufen sich auf ein Mehrfaches.

Den Versicherern und deren Aktuaren wie auch den Treuhändern und er Aufsichtsbehörde ist genau bekannt, welche Beitragsanpassungen (betroffen sind solche von Ende 1994 bis Mitte 2004) unwirksam sind. Denn diesen liegen Jahr für Jahr die jeweiligen Auslösenden Faktoren vor, auf die sich die Versicherer teilweise nach BGH unzulässig als Rechtsgrundlage ihrer Beitragsanpassungen bezogen haben. Die unwirksamen Anpassungen wurden jedoch niemals für die Gesamtheit der betroffenen Versicherungsnehmer zurückgezogen, lediglich in Einzelfällen bei einigen Kunden außergerichtlich oder nach Gerichtsverfahren.

Die betreffenden Unternehmen haben es versäumt, die unwirksamen Beitragsanpassungen zurückzuziehen und zu gegebener Zeit nach Vorliegen eines erneut angesprochenen Auslösenden Faktors eine wirksame Beitragsanpassung im Treuhänderverfahren durchzuführen.

Den Versicherungsnehmern wurden auch nach dem Urteil in Kenntnis der Unwirksamkeit vorangegangener Beitragsanpassungen Beitragsforderungen in Rechnung gestellt, die dem Versicherungsunternehmen rechtlich nicht zustanden.

Fehlerhafte Bilanzen

Die nachfolgenden Bilanzalterungsrückstellungen wurden in Kenntnis der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen mit Rechnungsgrundlagen und Prämien berechnet, die aufgrund der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen so nicht hätten verwendet werden dürfen. Es wurde z. B. auch bei der Berechnung der Alterungsrückstellung ein Barwert der Prämienforderung abgesetzt, der dem Unternehmen rechtlich nicht zustand. Insofern spricht einiges dafür, dass dann auch falsche Bilanzen vorliegen, unter Umständen auch heute noch.

Durch (von den Verantwortlichen Aktuaren) falsch testierte Alterungsrückstellungen ist auch die steuerliche Anerkennung der Alterungsrückstellung als Passivposten gefährdet. Es drohen daher unternehmensgefährdende steuerliche Nachforderungen. Auch die Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge ist dadurch gefährdet - Insolvenz kann drohen.

Es wurden von den betroffenen Unternehmen keine Rückstellungen für die Rückzahlung der unrechtmäßig aufgrund unwirksamer Beitragsanpassungen erhobenen Prämien gebildet. Auch insofern liegt offenbar eine falsche Bilanzierung vor. Ob dies der Prüfer nur übersehen hat?

Zur Milderung der unwirksamen Beitragsanpassungen wurden Mittel aus der Rückstellung für erfolgsabhängige Beitragsrückerstattung (RfB) entnommen. Es wurden also Beitragserhöhungen durch Einmalbeiträge abgemildert, die ohnehin im Ganzen unwirksam waren. Aufgrund der Unwirksamkeit der Beitraganpassungen im Ganzen fällt auch die Grundlage für eine Milderung dieser Anpassungen weg, somit hätten diese Mittel nicht der RfB entnommen werden dürfen. Dies dürfte dazu führen, dass die Bilanzen nachträglich so zu korrigieren sind, dass die Mittel weiterhin in der RfB zu führen sind.

Steuernachforderungen in Milliardenhöhe?

Dies wiederum kann je nach Fall dazu führen, dass die steuerrechtliche Grenze gem. § 21 Körperschaftsteuergesetz (KStG) für die steuerliche Abzugsfähigkeit der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) in vergangenen Jahren nach Berichtigung überschritten würde und insoweit die RfB (nur) steuerrechtlich gewinnerhöhend aufzulösen ist - handelsrechtlich nämlich nicht. Es drohen erhebliche und womöglich existenzgefährdende steuerliche Nachzahlungen. Ferner ist auch die steuerliche Anerkennung einer ggf. falsch testierten Alterungsrückstellung gefährdet. Ein Fall auch für die Wirtschaftsprüferhaftung?

Auch nachfolgende Beitragsanpassungen unwirksam?

Durch die Unwirksamkeit vorangegangener Beitragsanpassungen, die aber von den Unternehmen weiterhin so behandelt wurden, als seien sie wirksam gewesen, kam es anschließend zu entsprechend falschen Berechnungen der kalkulatorischen Leistungen bei der Ermittlung der weiteren Auslösenden Faktoren in den Folgejahren. Das heißt, sämtliche an unwirksame Beitragsanpassungen anschließende Auslösende Faktoren als Rechtsgrundlage nachfolgender Beitragsanpassungen sind ebenfalls unrichtig. Die Wirksamkeit nachfolgender Beitragsanpassungen ist damit ebenso fraglich.

Dies hätte verhindert werden können, wenn die Unternehmen die unwirksamen Beitragsanpassungen zurückgenommen hätten und erst bei Vorliegen eines späteren wirksamen Auslösenden Faktors eine erneute - zu dann gültigen Berechnungsgrundlagen - Beitragsanpassung im Treuhänderverfahren umgesetzt hätten. Die "unabhängigen Treuhänder" haben dies aber offenbar auch nicht verlangt - und setzen sich damit dem Verdacht aus, gar nicht so unabhängig zu sein bzw. ihrer aufsichtsrechtlich zugewiesenen Aufgabe nicht ordnungsgemäß nachzukommen. Zweifel an der Unabhängigkeit eines Treuhänders aber können dazu führen, dass überhaupt alle Prämienanpassungen, denen der "abhängige" Treuhänder zugestimmt hat - auch solche nach 2004 - unwirksam sind, denn weitere Voraussetzung der Wirksamkeit von Beitragsanpassungen ist die Zustimmung durch einen "unabhängigen" Treuhänder.

Mängel im Risikocontrolling?

Ferner fehlt es - jedenfalls wenn man nach den veröffentlichten Geschäftsberichten geht - an entsprechenden Hinweisen auf diese Umstände in der Risikoberichterstattung. Es ist fraglich, ob die Aufsichtsräte und Aktionäre über diese Risiken informiert wurden. In den Geschäftsberichten finden sich darauf jedenfalls keinerlei konkrete Hinweise, so dass Aktionäre nicht von den Risiken erfuhren. Hier kann ein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen zur Risikoberichterstattung vorliegen. In derartigen Fällen würden auch bereits ausgeschiedene Vorstände nach wie vor persönlich haften, § 91 II AktG. Außenstehende Beobachter würden sich natürlich fragen, ob Versicherer wirklich Experten im Umgang mit (eigenen?) Risiken sind.

Kein Fehlverhalten von Aktuaren

Die angefragte Deutsche Aktuarvereinigung sieht in den angeführten Sachverhalten kein Fehlverhalten von Aktuaren, denn sie "beziehen sich in aller Regel auf Aktivitäten von Versicherungsunternehmen, an denen möglicherweise Aktuare beteiligt gewesen waren, die jedoch allesamt in der Verantwortung des jeweiligen Vorstandes liegen und für deren wirtschaftliche Folgen die Unternehmen haften. Berufsständisches Fehlverhalten kann aber nur dann vorliegen, wenn Aktuare gegen die Standesregeln, die allgemein anerkannten Grundsätze der Versicherungsmathematik oder die geltenden Fachgrundsätze verstoßen haben."

Auf nochmalige Nachfrage bestätigte die Aktuarvereinigung nochmals ausdrücklich, dass diese Bewertung auch den angesprochenen Sachverhalt der Falschtestierung der Alterungsrückstellung durch den Verantwortlichen Aktuar gem. § 12 (3) Nr. 2 VAG umfasst.

Gerichte werde dieser Einschätzung kaum folgen, denn es kommt nicht nur Mittäterschaft sondern auch Beihilfe in Frage: Der wissentliche Verstoß gegen "Versicherungsmathematik" wäre das eine, ein Ignorieren von Rechtspflichten gemäß höchstrichterlichen Entscheidungen das andere. Beides kann dazu führen, dass auch derartige Aktuare wegen Ihrer "Teilnahme" persönlich haften - und überdies mutmaßlich selbst gar nicht versichert wären, wie ein Urteil des OLG Hamm vom 07.03.2007 (Az. 20 U 132/06) erschließt.

BaFin: abweichende Beitragsanpassungsklauseln unwirksam

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erklärte aufgrund des BGH-Urteils aus 2004 in den Veröffentlichungen der BaFin (VerBaFin) vom August 2004, S.4, dass verwendete Klauseln, die von dem nach diesem Urteil erforderlichen gesetzlichen Verfahren abweichen, unwirksam sind:

"Anordnungen und Verwaltungsgrundsätze - Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.06.2004 (IV ZR 117/02) zu den Voraussetzungen und den Berechnungsmaßstäben für eine Prämienanpassung durch den Krankenversicherer:

Mit einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof Aussagen zu den inhaltlichen und formalen Voraussetzungen von Beitragsanpassungen getroffen. Der Bundesgerichtshof hat u. a. entschieden, dass unter dem Begriff "Tarif" in § 12b Abs. 2 VAG die "Beobachtungseinheit" nach § 14 KalV zu verstehen ist. Weiter hat er entschieden, dass eine Prämienanpassung nur in der Beobachtungseinheit erfolgen darf, in der der auslösende Faktor die durch Gesetz festgelegte Grenze von 10% bzw. eine vertraglich vereinbarte geringere Grenze überschritten hat. Der Bundesgerichtshof weist ausdrücklich darauf hin, dass nach § 178o VVG von dem in § 178g Abs. 1 und Abs. 2 VVG i. V. m. § 12b Abs. 2 VAG i. V. m. § 14 KalV festgelegten Verfahren nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf.

Allgemeine Versicherungsbedingungen, die vorsehen, dass auch Beobachtungseinheiten angepasst werden können, bei denen der auslösende Faktor nicht angesprungen ist, sind nach Auffassung der BaFin unwirksam. An ihre Stelle tritt die vorgenannte gesetzliche Regelung.

Die BaFin geht davon aus, dass die Versicherer ihre Vorgehensweise unverzüglich rechtskonform ausgestalten und laufende und künftige Prämienanpassungen an den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofes ausrichten."

Soweit Versicherer in der Vergangenheit für Beitragsanpassungen eine unwirksame Klausel angewendet haben und aufgrund dieser vom gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren abgewichen sind, kann auch dies bereits die Unwirksamkeit der betreffenden Beitragsanpassungen zur Folge haben.

Unwirksame Beitragsanpassungsklauseln werden weiterverwendet

Solche Klauseln wurden vor dem BGH-Urteil aus 2004 mit Treuhänderzustimmung eingeführt, weil die Unternehmen gerne klargestellt hätten,. dass Männer, Frauen und Kinder zusammen einen Tarif bilden und daher z. B. Männer angepasst werden dürfen, wenn nur in der Beobachtungseinheit der Frauen die erforderliche Abweichung festzustellen war. Die danach unwirksamen Klauseln lauten beispielsweise:

"§ 8b II MB/KK:

"Die Gegenüberstellung erfolgt für jede Beobachtungseinheit eines Tarifs (Männer, Frauen, Kinder/Jugendliche) nach Maßgabe der jeweiligen technischen Berechnungsgrundlage. Wenn die Gegenüberstellung der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als 10% ergibt, werden die Tarifbeiträge aller Beobachtungseinheiten des Tarifs überprüft und gegebenenfalls angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5% können die Tarifbeiträge überprüft und gegebenenfalls angepasst werden."

Solche Klauseln sind auch heute noch in Versicherungsbedingungen zu finden - trotz ihrer Unwirksamkeit werden sie weiter verwendet. Dies kann zur Folge haben, dass auch Beitragsanpassungen nach 2004, die sich auf diese Klauseln berufen, deshalb unwirksam sind.

Beitragsanpassungen auch nach 2004 unwirksam

Beitragsanpassungen aufgrund solcher unwirksamer Beitragsanpassungsklauseln sind ggf. auch nach 2004 unwirksam - allerdings aus einem anderen Grund: Denn die Unwirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel führt nicht zu einer geltungserhaltenden Reduktion, die die Schwelle von fünf Prozent für die erforderliche Abweichung unberührt ließe. Genau dies glauben aber wohl manche Versicherer und führen deshalb Beitragsanpassungen durch, obwohl die gesetzliche Schwelle von zehn Prozent noch nicht erreicht ist. Da aber die Klausel im Ganzen unwirksam ist, tritt an ihre Stelle die gesetzliche Regelung und damit auch die gesetzliche Schwelle von zehn Prozent - und damit sind auch solche Beitragsanpassungen bei einer Abweichung von zwar über fünf, aber unter zehn Prozent unwirksam.

Auf die korrekte Kalkulation und Treuhänderzustimmung kommt es nicht an

Versicherer weisen bei Anfragen zu Beitragsanpassungen meist darauf hin, dass eine Treuhänderzustimmung vorliegt, die bestätigt, dass gesetzeskonform kalkuliert wurde. Darauf kommt es aber gar nicht mehr an - denn wenn die erforderliche Abweichung bei den Auslösenden Faktoren der angepassten Beobachtungseinheit (z. B. Männer im Tarif) nicht gegeben war, darf nach BGH gar nicht angepasst werden - die durchgeführte Beitragsanpassung ist also dennoch schlicht unwirksam, so richtig sie auch ansonsten kalkuliert sein mag.

Versicherer verweigern Auskünfte und erhöhen das Prozessrisiko des Kunden

Betroffene Versicherer verweigern meist Auskünfte über die betreffenden Auslösenden Faktoren - diese werden meist erst vorgelegt, wenn der Kunde klagt. Doch damit läuft der Kunde immer Gefahr, teilweise zu unterliegen und mit einer Kostenquote belastet zu werden, wenn vielleicht nur eine von vier Beitragsanpassungen sich als unwirksam erweist, gegen die er klagt.

Risiko Steuerprüfung

Dabei übersehen sie aber, dass aufgrund falscher Bilanzen - in die z. B. die Prämienforderungen aus unwirksamen Beitragsanpassungen voll eingehen - eine viel größere Gefahr droht. Bei Prüfungen des Finanzamtes können sich die Versicherer nämlich nicht weigern, die betreffenden Unterlagen zu Beitragsanpassungen und Auslösenden Faktoren herauszugeben - es wäre sonst wohl das erste Mal, dass die Finanzbeamten das Aktenarchiv der mathematischen Abteilung und des Vorstands einschl. Schriftwechsel mit Aufsichtsbehörde und Treuhänder beschlagnahmen. Folge wäre dann ggf. die Nichtanerkennung von gebildeten Rückstellungen und anschließend eine Steuernachforderung in durchaus bis zu mehr als 9stelliger Höhe - gefolgt von der Suche nach den Schuldigen bei Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfern und Versicherungsaufsicht.

Dr. Johannes Fiala ist Rechtsanwalt (München), MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.) und Bankkaufmann. www.fiala.de

Dipl.-Math. Peter A. Schramm ist Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung. www.pkv-gutachter.de