Wie das "Wall Street Journal" berichtet, entwickelt Retail-Riese Amazon.com derzeit eine neue App, die Privatleute zu Paketboten machen soll. Mit einem ähnlichen Konzept hatte vor einigen Jahren das Startup Uber – das gerne ebenfalls in die Logistik expandieren würde – in der Taxibranche für Furore gesorgt. Auch bei den Unternehmen Deliv, Instacart, eBay und Google befinden sich derzeit solche Crowdsourcing-Delivery-Konzepte in Entwicklung. Die Amazon-App soll angeblich "On My Way" ("Bin schon unterwegs") heißen. Der Konzern aus Seattle schweigt bislang zu den Berichten, er wolle seine Kunden zu Zustellern zu machen.
Neue disruptive Kraft in der Logistikbranche?
Das "WSJ" beruft sich auf dem Unternehmen nahestehende Personen. Diesen Informanten zufolge wird in den USA – wo der Dienst zunächst exklusiv starten könnte – in Betracht gezogen, Privatpersonen für die Auslieferung von Amazon-Paketen zu bezahlen. Dies könnte auch in Form von Amazon-Gutschriften geschehen.
Was die Aufbewahrung von Paketen angeht, sollen demnach vor allem lokale Einzelhändler ins Boot geholt werden, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und dafür entweder pro Paket oder pauschal entlohnt würden. Ob kleine Einzelhändler gewillt sind, mit einem ihrer größten Konkurrenten zu kooperieren, dürfte letztendlich davon abhängen, ob sich ein solches Modell für sie rechnet. Insbesondere die im Online-Handel verstärkt auftretenden Retouren werden für kleine Händler mit Paketdienst häufig zum Problem. Die Aussicht auf zusätzliche Laufkundschaft als alleinige Kompensation dürfte sie kaum verlocken.
Durch einen Crowdsourcing-Lieferdienst könnte Amazon seinen Einfluss auf das Einkaufserlebnis der Kunden ausweiten und gleichzeitig die Kosten für Versand und Verpackung senken. Im vergangenen Jahr stiegen die Versand- und Verpackungskosten von Amazon.com von rund sechs auf acht Milliarden Dollar. Crowdsourcing-Delivery könnte auch helfen, verlustreiche Pannen wie im Weihnachtsgeschäft 2013 künftig zu vermeiden. Damals musste Amazon US-Kunden entschädigen, deren Pakete nicht rechtzeitig zum Fest ankamen.
Probleme bei Crowdsourcing Delivery
Demgegenüber stehen jedoch auch einige Hürden bei der Umsetzung eines solchen Projektes. Die Größen der Zusteller-Branche – DHL, UPS und Konsorten – dürften über die Amazon-Pläne, sollten sich diese bewahrheiten, nicht gerade erfreut sein. Die Verhandlungsposition des Tech-Riesen gegenüber den Zustelldiensten dürfte durch die "On My Way"-Pläne immerhin entscheidend gestärkt werden.
Ein weiteres Problem: Die etablierten Zustelldienste arbeiten bereits enorm kosteneffizient, was disruptive Kräfte hier bislang ausgebremst hat. Um auch als Transport-Dienstleister Fuß zu fassen, bräuchte Amazon bei seinen in den USA derzeit täglich rund 3,5 Millionen verschickten Paketen sowohl einen beträchtlichen Nutzerstamm für "On My Way", als auch ein schlüssiges Finanzkonzept. Das bislang größte Problem besteht allerdings in der Haftungsfrage: Wer übernimmt den Schaden bei verlorenen oder gestohlenen Paketen?
Immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten
Amazon experimentiert in den USA bereits seit längerem mit alternativen Zustellmethoden. In verschiedenen US-Städten sind beispielsweise Fahrradboten im Einsatz, damit Prime-Kunden ihre Pakete falls gewünscht innerhalb einer Stunde erhalten. Im vergangenen Jahr wurde in San Francisco zudem bereits die Auslieferung von Paketen via Taxi und Uber-Fahrer getestet. Auch den Einsatz von Liefer-Drohnen hat Amazon vor kurzem getestet. In Deutschland hatte zuletzt ein Pilotprojekt für Aufsehen gesorgt, bei dem Amazon in Zusammenarbeit mit Audi und DHL Kunden Pakete direkt in den Kofferraum ihres Autos liefert.