Das Ansinnen Amazons mit dem Fire Phone ist klar: Der Kauf von Produkten im eigenen Shop soll damit zusätzlich angekurbelt werden. Bei Besitzern von Kindle-Produkten und Fire-Tablets ist dies Amazon auch gelungen. Doch ob ein Amazon-Smartphone ebenfalls den Konsum im eigenen Shop ankurbelt ist fraglich, schließlich gibt es schon Amazon-Apps für jede Plattform.
Als Kaufanreiz stellt Amazon somit nicht die Integration des eigenen Shops in den Vordergrund, sondern lockt mit ganz anderen Features. Vier Kameras in der Gehäusefront beobachten das Gesicht des Nutzers und zeigen je nach Blickwinkel unterschiedliche Informationen an. Und natürlich gibt es diverse 3D-Effekte beim Schwenken des Smartphones oder beim Bewegen des Kopfes.
Und noch praktischer soll die auf Knopfdruck verfügbare Funktion Firefly sein. Das Smartphone identifiziert Gegenstände, Bücher, Barcodes, Adressen, Musik, Filme und mehr. Mit dieser Funktion wird natürlich geschickt der Bogen hin zum eigenen Shop gespannt. Denn erkennt das Fire Phone ein Produkt, so gibt es gleich die Kaufoption im Amazon-Shop. Natürlich sind auch die üblichen Amazon-Dienste nahtlos in das Fire Phone integriert. So erhält ein Käufer bis zum 31. Dezember 2014 ein Jahr Amazon Prime kostenlos dazu.
Beim Lesen der Features und Spezifikationen klingt das Amazon Fire Phone mit seinem 4,7-Zoll-Display somit sehr spannend. Im Praxiseinsatz relativiert sich allerdings einiges.
Design und Haptik: Altbacken, aber hohe Qualität
Smartphones können noch so gute Features und technische Spezifikationen haben: stimmt das Design und die Haptik nicht, dann wird es schwer. Und hier muss das Amazon Fire Phone gleich mal eine große Hürde überwinden.
Fast unisono machte das Fire Phone bei den Kollegen in der Redaktion beim ersten Kontakt einen etwas "altbackenen" Eindruck im Design. Außerdem war es den meisten Testprobanden zu klobig und zu schwer. Design ist natürlich Geschmackssache, aber wirklich modern im Vergleich zu einem Apple iPhone 6, Samsung Galaxy Alpha oder LG G3 wirkt das Fire Phone nicht. Mit einem Gewicht von 160 Gramm liegt es auch tatsächlich "schwer" in der Hand - wer Geräte wie ein iPhone 5 mit 112 Gramm gewohnt ist oder andere 4,7-Zoll-Smartphones wie das iPhone 6 mit 129 Gramm und Galaxy Alpha mit 114 Gramm einmal hielt.
Nichts zu beanstanden gibt es allerdings bei der Verarbeitung des Fire Phones. Es knarzt nichts, verbiegen ist kaum möglich, die Materialen fühlen sich sehr wertig an. So besteht nicht nur die Vorderseite aus Gorilla Glas 3, auch die Rückseite verfügt über dieses Material. Der Rahmen ist mit einem gummierten Material umzogen, welches eine gute Griffigkeit ermöglicht. Die Kanten bei der Glaseinfassung fühlen sich an der Vorder- und Rückseite allerdings etwas scharf an. Alle Schalter am Fire Phone sind aus Aluminium, wackeln tut hier nichts.
Menü-Karussell: Prinzipiell gut, aber doch verwirrend
Amazon lehnt die Bedienung des Smartphones an seine Fire Tablets an. So zeigt das auf Android basierende Betriebssystem Fire OS 3.6.2 mit seinem sogenannten Menü-Karussell immer nur ein großes App-Symbol im oberen Bildschirmdrittel an. Unterhalb des App-Symbols werden gleich die Inhalte und letzten Aktionen des Programms angezeigt. Bei der Mail-App gibt es so die letzten E-Mails zu sehen, der Silk Browser blendet die zuletzt besuchten Seiten ein und beispielsweise der Amazon Shop zeigt Kaufempfehlungen an.
Beim Scrollen des Karussells durch die Apps mit dem Daumen gibt es im Einhandbetrieb ein paar Stolpersteine. Erstens darf man nicht zuweit am Rand links oder rechts beginnen, sonst werden die Schnellmenüs geöffnet. Zum anderen funktioniert das Scrollen nur beim Tipp auf das App-Symbol. Wischt man darunter im leeren oder durch App-Aktionen belegten großen Bildschirmbereich, so passiert nichts.
Das Menü-Karussell rotiert nicht um 360 Grad, sondern endet ganz rechts mit der am längsten nicht mehr verwendeten App. Ganz links, am Startpunkt also, zeigt Fire OS die zuletzt verwendete App an. Das ist einerseits praktisch, weil die am häufigsten benutzen Apps sich immer am Anfang des Karussells befinden, andererseits aber schnell verwirrend, wenn auf einmal eine nur selten aufgerufene App ganz vorne im Menü-Karussell ist. Praktischerweise gibt es aber die Funktion, Apps vorne im Karussell zu platzieren. Hierzu bleibt man mit dem Finger eine Sekunde auf dem App-Symbol, dann wird die Option Vorne fixieren eingeblendet. Nichtsdestotrotz bleibt das Konzept etwas gewöhnungsbedürftig.
Schneller als mit dem Karussell ist man aber bei der Navigation zwischen den Apps mit dem QuickSwitch. Hierzu drückt man die Taste Startseite unterhalb des Displays zweimal kurz hintereinander. Jetzt werden wie in Apples iOS beim App-Umschalter (Doppeltipp auf die Hometaste) die zuletzt verwendeten Apps chronologisch von links nach rechts als kleine App-Symbole dargestellt. Ein Wisch nach links und rechts scrollt die Apps durch, zum Schließen eines Programms wird dieses nach oben weg gezogen - analog zu iOS.
Wie von Android und iOS gewohnt gibt es aber auch bei Fire OS unten am Bildschirm ein sogenanntes Dock, wo sich vier individuelle Apps ablegen lassen - typischerweise Telefon, Nachrichten, E-Mail und Browser. Zieht man das Dock mit dem Finger nach oben, so werden alle installierten Apps angezeigt. Android-Nutzer finden diese Ansicht gleich sehr vertraut. Ebenfalls von Android gewohnt gibt es bei einem Wisch vom oberen Displayrand nach unten Zugriff auf Funktionen wie Flugmodus, WLAN, Bluetooth oder Taschenlampe.
3D-Effekte und Gesten überzeugen nur partiell
Beim Einschalten des Fire Phones aus dem Ruhezustand fällt sofort der Sperrbildschirm mit seinen 3D-Effekten auf. Das aus 19 dynamischen Hintergründen wählbare Szenario ändert seine räumliche Darstellung, wenn man das Smartphone schwenkt oder den Kopf hin und her bewegt. Amazon nennt die Technology Dynamic Perspective. Dieses Sensorsystem besteht aus vier in den Ecken der Vorderseite integrierten Kameras mit Infrarot-LEDs. Damit erkennt das Fire Phone die Lage des Gesichtes vom Nutzer und ändert entsprechend bei Bewegung die Darstellung auf dem Smartphone.
Die Begeisterung für den 3D-Effekt im Sperrbildschirm flaut aber schnell ab. Was anfänglich noch "cool" wirkt bringt auf Dauer keinen Mehrwert. Dynamic Perspective ist aber auch auf dem Hauptbildschirm und bei allen App-Icons zu sehen. Entsprechend bewegen sich die Symbole ständig leicht, wenn das Smartphone oder der Kopf geschwenkt wird. Mehr Sinn macht Dynamic Perspective durch das Einblenden von Zusatzinformationen beim Schwenken. Beispielsweise wird in der Bilderübersicht dann das Aufnahmedatum eingeblendet, bei Apps im Store die Platzierung in den Charts, bei Produkten im Amazon-Shop verschiedene Bilddarstellungen. In der Karten-App, die auf Nokia Here basiert, gibt es bei bekannten Gebäuden eine dreidimensionale Ansicht beim Schwenken. Allerdings nur, wenn die Satellitenansicht aus ist, außerdem ist die Darstellung dann überwiegend ohne Texturen. Apples und Googles Karten-Apps können 3D-Ansichten viel besser. Im alltäglichen Gebrauch ist der Mehrwert bei den je nach App eingeblendeten Zusatzinfos überwiegend relativ klein.
Fire OS blendet bei einem Wisch von links und rechts außen jeweils ein Schnellmenü ein. Die angezeigten Inhalte sind abhängig, welche App gerade aktiv ist - bei einigen Apps gibt es auch keine Schnellmenüs. Auf dem Hauptbildschirm bekommt man beim Wisch von links außen nach innen Zugriff auf Hauptkategorien wie Apps, Spiele, Web, Fotos oder Bücher. Von rechts reingewischt ins Display wird beispielsweise das Wetter angezeigt.
Die Schnellmenüs lassen sich aber auch durch Kippen des Fire Phones einblenden. Kippt man die rechte Seite nach vorne, so blendet sich das Menü von rechts ein. "Weg kippen" kann man es dann wieder mit einer entgegengesetzten Bewegung. Beim Kippen der linken Seite nach vorne kommt entsprechend dann das linke Menü zum Vorschein. Manchmal ist die Geste aber etwas hakelig und man schüttelt das Fire Phone mehrmals, bis eine Reaktion kommt. Auch passiert es, dass sich ein Menü ungewollt durch eine Bewegung einblendet.
Praktischer ist da schon beim Surfen mit dem Silk Browser das Scrollen durch Kippen des Smartphones nach vorne und hinten. Schade wiederrum ist, dass diese Scrollfunktion nur im Silk Browser sowie beim Lesen von Büchern mit der Kindle-App funktioniert. Beim Browser wäre ein seitliches Kippen für Zurück und Vor auch besser als die Menüeinblendungen.
Zum Video: Amazon Fire Phone im Praxistest
Firefly: "Große" Funktion mit kurzer Halbwertszeit
Während der 3D-Effekt im Sperrbildschirm und Dynamic Perspective nach einem ersten "ganz nett" auf Dauer keinen wirklichen Mehrwert bringt, sollte Firefly dem Fire Phone ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. Laut Amazon erkennt die 13-Megapixel-Kamera mehr als 85 Millionen Objekte. Hierzu zählen Filme, Musik, URLs, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, QR-Codes, Barcodes, Kunstwerke, übersetzte Texte und natürlich Produkte - für die Erkennung ist eine aktive Internetverbindung notwendig.
Um Firefly zu starten, muss nur auf der linken Gehäuseseite die Kamerataste länger gedrückt werden. Jetzt fängt man mit der Kamera das zu identifizierende Objekt ein. Erkennt das Fire Phone beispielsweise ein Buch oder eine Dose Karottensalat korrekt, so kommt man mit einem Fingertipp direkt in den Amazon-Shop. Hier steckt natürlich das von Amazon erhoffte Geschäftsmodell des Fire Phones dahinter.
Doch in der Praxis gibt es hier ein Problem. Während Firefly Musik (30 Millionen Songs), Filme und TV-Serien (29.000 über Audioerkennung) oder Bücher - selbst sehr alte Exemplare - über das Cover im Test sehr gut erkennt, so kommt bei Produkten schnell Frust auf. Weder ein iPhone 6 noch eine Withings-Waage erkennt Firefly. Überhaupt tut sich das Fire Phone schwer mit Produkten aus dem Technik-Bereich. Die anfängliche Begeisterung ebbt schnell ab. Besser erkennt das Fire Phone Artikel aus dem Haushaltsbereich. So identifiziert die Firefly-Technologie relativ gut Konserven, Flaschen, Verpackungen von Lebensmittel, Parfüms oder Produkte für die Körperpflege. Doch auch hier traten im Test relativ oft Fehlidentifikationen oder keine Erkennung auf.
Gut sieht es natürlich mit der Erkennung von Barcodes aus: Hier zeigte sich im Test eine einwandfrei Identifizierung mit sofortigem Link zu Amazon; wenn sich das Produkt darin im Angebot findet. Barcodes erkennen allerdings auch Apps für Android oder iOS korrekt. So liefert beispielsweise die App Quick Scan auf dem iPhone identische Ergebnisse mit ebenfalls direkten Link in den Amazon-Shop.
Die Erkennung von Texten klappt dagegen wieder nicht wirklich gut. Zuviele Fehler und Lücken sind in dem Text, den das Fire Phone in die Zwischenablage kopieren kann, zu finden. Kontaktdaten erkennt Firefly auch; wenn auch manchmal nicht alles korrekt eingelesen wird.
Insgesamt ist der Frustlevel durch nicht erkannte Produkte und Fehler sowie Lücken beim Einlesen von Texten, Adressen & Co. aber schnell höher als der Nutzen.
Mayday: Hilfe mit Live-Videochat
Gut gelöst hat Amazon dagegen die Hilfefunktion im Fire Phone. Wer ein Problem bei der Nutzung des Smartphones hat, bekommt mehr als nur Hilfetexte. Amazon bietet hier seinen Dienst Mayday an, bei dem der Nutzer über einen Live-Videochat mit einem Amazon-Spezialisten spricht.
Wird der Dienst aufgerufen, so blendet das Fire Phone in einem kleinen Fenster den Amazon-Mitarbeiter ein, der Sie nach dem Problem frägt. Dabei sieht der Spezialist nicht den Nutzer, sondern hört ihn nur. Allerdings kann der Helfer das Smartphone auf Wunsch des Nutzers fernsteuern, auf dem Display zeichnen zum Markieren von Schaltern und Einstellungen vornehmen. Der Nutzer sieht dabei, was auf seinem Smartphone passiert.
Amazon verspricht beim Aufruf von Mayday eine Reaktionszeit von 15 Sekunden. Im Test war ein Mitarbeiter beim Start der Funktion auch nach wenigen Sekunden im Videochat-Fenster zu sehen und es wurde nach dem Problem gefragt. Laut Amazon steht Mayday täglich von 06:00 bis 00:00 Uhr kostenlos zur Verfügung. Der Dienst funktioniert im WLAN, aber auch bei einer 3G- oder LTE-Verbindung.
Ausstattung und Amazon-Dienste
Das Fire Phone wartet mit einer soliden Hardware-Ausstattung auf. Der 4,7-Zoll-Bildschirm bietet mit 1280 x 720 Pixel Auflösung ein vernünftig scharfes Bild. Ein iPhone 6 bietet mit seinem 4,7-Zoll-Display besitzt bei 1334 x 750 Bildpunkten nur eine geringfügig höhere Auflösung. An den Einblickwinkeln, der Helligkeit und der Farbdarstellung gibt es beim Fire Phone jedenfalls wenig auszusetzen.
Der nicht mehr ganz aktuelle Snapdragon 800 sorgt mit seinen vier Kernen und 2,2 GHz Taktfrequenz jederzeit aber für genügend Rechenleistung. Die Bedienung des Smartphones erfolgt flüssig, ruckeln oder lange Wartezeiten sind die Ausnahme. Guten Standard zeigt das Fire Phone bei den Kommunikationstechnologien. Neben LTE gibt es WLAN 802.11ac sowie NFC und Bluetooth 3.0.
Obwohl das Fire Phone mit einer Gehäusedicke von 8,9 mm nicht wirklich zu den schlanken Vertretern zählt, verzichtet Amazon auf einen microSD-Kartenslot für die Speichererweiterung. Die interne Speicherkapazität von 32 oder wahlweise 64 GByte muss genügen.
Großzügiger, aber auch zu erwarten, geht Amazon mit der Integration seiner eigenen Dienste im Fire Phone um. Wer sich bis zum 31. Dezember 2014 ein Fire Phone kauft, der bekommt eine einjährige Mitgliedschaft bei Amazon Prime kostenlos dazu. Damit gibt es Zugriff auf den Streaming-Dienst Prime Instant Video, ausleihen von einem Buch pro Monat (ohne Rückgabefrist) sowie die kostenlose Lieferung von gekauften Artikeln in einem Tag. Desweitern legt Amazon noch 1000 Amazon-Coins dazu. Diese 10 Euro lassen sich für App-Einkäufe ausgeben.
Fazit: Amazon Fire Phone
Das Amazon Fire Phone bietet auf dem Papier viele einzigartige Features, die den Kauf interessant machen. In der Praxis bleibt davon aber nicht viel übrig. So sind die 3D-Effekte und Dynamic Perspective anfangs ganz nett, der Mehrwert hält sich aber sehr in Grenzen. Der Spieltrieb mit Firefly verpufft im Alltag auch sehr schnell, weil zuoft Produkte nicht erkannt oder Infos mit Fehlern eingelesen werden.
Allerdings steckt in der Firefly-Technologie hohes Potenzial, in einigen Jahren könnte die Erkennung auf einem ganz anderen Level arbeiten. Amazon verbessert die Technologie sicherlich noch deutlich über die Zeit; eine Lizenzierung an andere Hersteller von Smartphones wäre wohl zielführender als die Beschränkung auf das eigene Gerät.
Denn abgesehen von Dynamic Perspective und Firefly bleibt mit dem Fire Phone ein Smartphone übrig, das weder im Design, noch mit seinen Spezifikationen Highlights setzen kann. Die etablierten Hersteller wie Apple, Samsung, Sony, HTC oder LG können das einfach besser.
Das Fire Phone kostet ohne Vertrag 449 Euro bei Amazon in der 32-GByte-Version. Bei diesem Preis müssen Sie allerdings einen Netlock auf das Telekomnetz in Kauf nehmen zu müssen - das ist nicht nachvollziehbar. Für Dienste wie Firefly ist zwar ein schnelles LTE-Netz von Vorteil, dieses gibt aber auch bei Vodafone oder O2.
Mit einem Magenta Mobil M Vertrag von der Telekom gibt es das Fire Phone beispielsweise für einen Euro mit monatlich 49,95 Euro. Alles in allem lohnt der Kauf aber nur für Amazon-Enthusiasten, die wirklich viel über den Shop einkaufen und sich so bereits jetzt an Firefly mit all seinen Einschränkungen erfreuen können. (cvi)