Die Geschichte der ITK-Distribution Teil 1

Als die Distis laufen lernten

30.06.2016 von Wolfgang Kühn
Logistikprozesse? Denkste! Dreistufiges Vertriebsmodell? Unbekannt! Die Distribution war mal schlicht und einfach Zwischenhandel. Waren zu möglichst hohen Spannen an den nächst besten Händler verkaufen. So startete auch die ITK-Distribution. Vor mehr als 30 Jahren.
Der Spatenstich zur Komsa-Zentrale am heutigen Standort in Hartmannsdorf anno 1997.
Foto: Komsa AG

Schon unsere Großeltern schwärmten vom Handel, vor allem vom Zwischenhandel. Man musste kein Produkt entwickeln und - am anderen Ende - nicht mühselig auf Kunden warten. Anders der Zwischen- oder Großhandel. Da kam und kommt es vor allem darauf an, möglichst im richtigen Moment den richtigen Riecher haben, also die Ware anbieten zu können, die der Handel benötigt. Oder dem Handel klar zu machen, was er im Moment benötigt. Auf jeden Fall darauf zu achten, dass am Schluss eine ordentliche Handelsspanne für die Vermittlung einer Ware zwischen Produzent und Händler übrig bleibt.

Und das klappt noch heute in vielen Branchen. Selbst in saisonsensitiven Branchen wie dem Schuhhandel. Da stellt sich nicht die Frage nach einstelliger Marge, sondern nur weit die Handelsspanne im zweistelligen Bereich geht. Dem steht auch der vielzitierte Obst- und Gemüsegroßhandel nicht nach. Nur: Das Zeugs verdirbt schneller, als ein Großhändler gucken kann. Um sich da eine goldene Nase verdienen zu können, bedarf es schon sehr großer Erfahrung und noch mehr Beziehungen; zum Produzenten und zum Handel.

Was hat das mit der ITK-Distribution zu tun? Sehr viel. Denn auch da verdirbt das Zeugs sehr schnell. Nicht weil es fault, obwohl ITK-Produkte auf ihre Art im Regal faulen, sondern schlichtweg von neuen, technologisch besseren oder einfach nur besser vermarkteten Produkten überholt wird. Am Schluss fühlen sich die Kunden regelrecht gezwungen, nach neuen Produkten zu fragen. Die natürlich der Handel vorhält, bereitgestellt von den Distributoren, unterstützt durch die Hersteller, die mit allerlei Schmiermitteln die ganze Vertriebskette am Laufen halten.

Die Geschichte der ITK-Distribution - Die frühen Jahre -
Die Komsa Gründer
Lang ist es her. 1992 startete die Komsa mit Ericsson-Handys. Gründer Gunnar Grosse (re.) mit seinen Mitstreitern (v.li.) Jürgen Unger, Jürgen Fuchs und Norbert Hanussek.
Alpha Logistik 1995
Auch große Distributoren fingen mal ganz klein an. Die Alpha Logistik der Komsa 1995.
Spatenstich für die Komsa-Zentrale 1997.
Von da an gings bergauf. Der erste Spatenstich 1997 für den Komsa-Komplex am heutigen Standort in Hartmannsdorf (v.li.): Jürgen Unger, Gunnar Grosse und Fritz-Peter Weigert, der damalige Bürgermeister von Hartmannsdorf.
ChannelPartner-Vorläufer
ChannelPartner hieß nicht immer ChannelPartner: Hier einige Ausgaben der Vorgänger Computer Seller Business und ComputerPartner.
Jürgen Rakow
1995, als die Notebooks noch wie Ziegelsteine aussahen, war Jürgen Rakow Chef des Systemhauses "Digihaus".
Hartmut Haubrich
EP-Urgestein Hartmut Haubrich.
Frank Garrelts
Frank Garrelts war 1995 Geschäftsführer bei Microteam.
Michael Kaack
Immer noch in der Branche aktiv: Der damalige Macrotron-Chef Michael Kaack.
Walter von Szcytnicki
Computer 2000-Vorstand Walter von Szcytnicki ist 1995 mit seinem Unternehmensergebnis zufrieden.
Damian Sicking, Michael Kaack und Robert Beck
Roundtable 1995 mit ComputerPartner-Chefredakteur Damian Sicking und den Ingram-Mactron-Managern Michael Kaack und Robert Beck.
Ralf Symanzick und Hermann Ramacher
1995: Ralf Symanzick, UCS-Chef und Hermann Ramacher, ADN-Chef.
Werner Hollik
Werner Hollik, 1995 Vertriebsdirektor bei Merisel.
Helmut Schmitt
Helmut Schmitt, Deutschlandchef Merisel 1995.
Robert Beck
Robert Beck, 1995 Geschäftsführer Traditionelle Broadline-Distribution bei Ingram-Macrotron.
Jürgen Peter
1999 Raab-Karcher-Chef: Jürgen Peter.
Ulrich Puhrsch
Ärger mit Fachhändlern 1995: Actebis-Chef Ulrich G. Puhrsch.

Als Boni und WKZ noch keine Rolle spielten

Von Boni, Werbekostenzuschüssen und anderen hilfreichen Finanzspritzen wusste Distributionsurgestein Michael Kaack allenfalls vom Hörensagen - wenn überhaupt. Dabei ging es Kaack so, wie vielen anderen Mitstreitern, die vor 30 Jahren in die Distribution mit Computern und Peripherie eingestiegen sind. Denn die erwähnten Boni, WKZ und sonstigen Geldmittel waren schlichtweg nicht nötig, da sich der Computergroßhandel im wahrsten Sinne des Wortes in einer Goldgräberstimmung befand.

Macrotron-Vorstandschef Michael Kaack 1995: 'Wenn uns Computer 2000 als Kaderschmiede ansieht, nehme ich das Kompliment gerne an."

So drang auch Kaack 1985 in die noch jungfräuliche Branche ein "Das waren nicht immer einfache, aber am Ende immer glückliche Zeiten", erinnert er sich. Denn das Werben, und damit der etwas aufwendigere Part, ging immer in Richtung Hersteller. "Nicht die Marge war damals das Problem, im Gegenteil, eine Handelsspanne von traumhaften 30 Prozent war eher üblich, sondern die Überredungskünste, dass wir die besseren Kontakte zum Handel haben, als die Hersteller". Dabei war er, im Gegensatz zu anderen Großhändlern der ersten Stunde, wie Ralf Paul, Carsten Frank und Uwe Walter, Werner Wolf, Ulrich Puhrsch, Werner Hollik, Jochen Tschunke und viele andere mehr, schon erfahren im Handel mit Elektronikequipment. Immerhin vertrieb er bereits Test- und Fertigungssysteme für die Elektronik- und Halbleiterindustrie mit der 1972 gegründeten Macrotron. Aber trotz dieser Marktkenntnisse, spürte Kaack ab 1983, was es bedeutet, für Computerhersteller Fachändler zu beliefern. "Wir waren einer der ersten PC-Distributoren, da war noch viel Überzeugungsarbeit bei den Herstellern nötig. Denn die meinten, sie könnten die Belieferung, Service und Wartung beim Handel selbst bewerkstelligen". Und, was die Distri-Gründer immer wieder feststellten, sie hatten weitaus mehr Händlerkontakte, als die Hersteller. Obwohl Anfang der 80er Jahre ein großer Teil der Ware direkt vom Hersteller zum Händler geliefert wurde.

Distribution gleich Produkte und Markt

Pleiten, Übernahmen, Allianzen - Seit Anbeginn ist die ITK-Distribution in ständiger Bewegung.

Und genau darin unterscheidet sich die Distribution im 21. Jahrhundert von den Anfangsjahren 30 oder 35 Jahren. Ohne Grossisten und deren Leistungsangebote, von der Bevorratung der Waren über Zertifizierungen und Workshops, bis hin zu Finanzierungsangeboten, Wartung und Rundum-Service, funktioniert im ITK-Channel nichts mehr. Auch wenn manch ein Hersteller in stillen Stunden von der Direktbelieferung träumen mag, der Traum platzt sofort wieder; spätestens wenn sich das Thema Kosten wie ein dunkler Schatten über die süßen Träume legt.

Dass dies mal ganz anders war, daran erinnert sich auch Siggi Pfeffer sehr genau. "Die Industrie entwickelte, und wir verkauften an den Fachhandel. Und das mit ordentlichem Aufschlag, da die Produkte bei weitem nicht so eng kalkuliert waren, wie heute". Außerdem, so Pfeffer, der vor 21 Jahren die VUD gründete und zuvor acht Jahre für den Distributor Electronic 2000 tätig war, "hatten die Distributoren längst so viele Aufgaben. Heute müssen Distributoren hochspezialisiert im Fullfilment, aber auch in Produkten und Services sein, müssen alle Prozesse des Geschäfts nahezu täglich überprüfen und gegebenenfalls korrigieren."

Sehr schnell entwickelte sich ab Mitte der 80er Jahre in Deutschland ein Handelszweig, der heute ein Umsatzvolumen im hohen zweistelligen Milliardenbereich erwirtschaftet. Damals allerdings noch mit vergleichsweise niedrigen Umsätzen, denn es galt die starre Haltung der Hersteller aufzuweichen, die das Direktgeschäft zum Handel hegten und pflegten. Dabei spielte nicht der Preis die Rolle, sondern die Überzeugungskraft, dass Fachhändler beim Großhändler besser aufgehoben und damit betreut werden.

Rechnung mit Pferd beglichen

An der Aufbereitung dieses mittlerweile wichtigen Vertriebskanals, nahmen durchaus illustre Akteure teil. Electronic 2000 beispielsweise, bereits 1971 als Großhandel für elektronische Bauelemente gegründet, soll, so hat es das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ 1987 in eine Feature beschrieben, sehr eng mit dem Galoppsport verknüpft gewesen sein. Werner Wolf, gründete das Großhandelsgeschäft mit gerade mal 2.000 Mark. Und als ein Jahr später ein Geschäftspartner etwas knapp bei Kasse war, akzeptierte Wolf als Gegenleistung für den offenen Rechnungsbetrag einen Anteil an einem Pferd. So kam Wolf zum Galoppsport und die Electronic 2000 AG 15 Jahre später zu einem Umsatzvolumen von immerhin 150 Millionen Mark. Das ging bis in die 90er Jahre. Dann musste verkauft werden. Die Compunet zeigte großes Interesse.

Das Macrotron-Karussell

Die Vobis-Expansionspläne sorgten Mitte der 90er-Jahre für Aufsehen.

Für das Auf und Nieder dieser Branche stand auch Frank & Walter in Braunschweig. Ebenfalls Anfang der 80er Jahre von Carsten Frank und Uwe Walter gegründet, nahm ziemlich schnell eine führende Rolle ein. Hinzu kam 1989 die Marke Yakumo, die später, nach der Insolvenz von Frank & Walter, über Vobis zur Adam Riesig geschoben wurde. Seit 2007 steht die Marke zum Verkauf. Nicht aber Frank & Walter, denn die hatte nach steilen Zuwächsen 1991 bereits 300 Millionen Mark und bis Mitte der 90er Jahre über eine Milliarde Mark umgesetzt. Das Aus kam 1997. Wie ein paar Jahre später Uwe Walter in einem Interview mit ChannelPartner-Autor Karl Fröhlich kritisierte, habe der größte geschäftliche Fehler bei F&W in der "Umsatz-Philosophie von Carsten Frank" gelegen. Demnach habe "der Umsatz die Hauptsache dargestellt, völlig ungeachtet des Gewinns".

Was dann kam, wurde zu einem der großen Aufreger Ende der 90er Jahre: Frank & Walter wurden vom Großdistributor CHS übernommen, der wiederum legte 1999 eine kapitale Insolvenz hin. Und die Gerüchteküche brodelte. Von allerlei undurchsichtigen Geschäften war die Rede.

Eine ganz andere Entwicklung nahm beispielsweise der 1983 gegründete Distributor Computer 2000 AG. Jochen Tschunke baute das Unternehmen zu einem der bedeutenden Grossisten auf, bis es nach einem Rekordumsatz von mehr als drei Milliarden Mark im Geschäftsjahr 1998/1999 vom weltweiten Distributor Tech Data übernommen wurde. Hier schließt sich auch wieder der Kreis zu Mactrotron. Denn was Kaack aufbaute, begehrte 1998 erst einmal Tech Data, bis der Distributor kurz darauf Macrotron an Ingram Micro weiterreichte; zu Beginn als Ingram Macrotron und später zur Ingram Micro umfirmiert wurde.

Vom Milliardenumsatz in die Pleite

Komsa-Gründer Gunnar Grosse (re.) mit seinen Mitstreitern (v.li.) Jürgen Unger, Jürgen Fuchs und Norbert Hanussek.
Foto: Komsa AG

Interessanterweise entwickelte sich ab Anfang der 90er Jahre die Distributionsbranche zu einem Wirtschaftszweig, der mit dem Erwachsenwerden auf der einen Seite in einem prosperierenden Wirtschaftsumfeld von Umsatzrekord zu Umsatzrekord torkelte, auf der anderen Seite aber sich immer öfter in neuen Unternehmenskonstellationen zeigte. Eines von vielen Beispielen war die P&T Computer im hessischen Linden. Gründer Ralf Paul, 1989 mit dem Grossisten an den Start gegangen, war neun Jahres später Geschäftsführer der COS. Der Schweizer Konzern hatte damals Gefallen am aufstrebenden Grossisten P&T gefunden. Zwei Jahre später, 2000, war allerdings für Paul Schluss bei COS. Konzernchef Kurt Früh ordnete an, dass er seine Sachen aufzuräumen und das Büro zu räumen habe.

Während sich die Grossisten in der alten Bundesrepublik neu ordneten, fand die Distribution in den neuen Ländern ab 1989 ein neues Betätigungsfeld; und damit die Aufgabe, eine IT- und TK-Handelsstruktur aufzubauen und für sich zu gewinnen. Einer der ersten war Gunnar Grosse. Der Schwede erinnerte sich, dass seine Familie ursprünglich aus dem sächsischen Hartmannsdorf stammte und dort einen Bauernhof besaß. In diese Gemeinde, nicht weit von Chemnitz entfernt, zog es 1990 den etablierten Unternehmer. Grosse erkannte damals, dass der noch junge Mobilfunkmarkt für Deutschland einmal von großer sein wird. Also gründete er mit 50 Jahren 1992 im Bauernhof in Hartmannsdorf die Komsa Kommunikation Sachsen GmbH und importierte Ericsson-Mobiltelefone. Damit konnte er seine These umsetzen, die da lautete: "Nach der Wende wurden am meisten Telefone gesucht. Alle wollten anrufen, aber kaum einer konnte". Grosse konnte liefern, baute das Unternehmen zu einer Gruppe mit mehr als 800 Millionen Euro Umsatz aus. Und Grosse war nicht allein in der Region zwischen Ostsee und Erzgebirge. Einer von Vielen war Hubert Wolf, der 1992 zu den Distributionsgründern gehörte. Er ging in Meuselwitz mit der Bluechip an den Markt, die vor allem mit Eigenmarke, B-t-O und Distribution sich kontinuierlich festigen konnte.

Dass für einen Distributionschef körperliche Länge durchaus von Nutzen sein kann, diese Erfahrung machte Michael Kaack als Macrotron-Chef Mitte der 80er Jahre in Japan. 'Peripherie, also Matrixdrucker waren sehr teuer, versprachen sehr gute Handelsspannen. Die wollte ich in Deutschland vertreiben. Also fuhr ich nach Japan auf eine Bürogerätefachmesse, die damals nur wenige Leute besuchten. Mit meiner körperlichen Größe überragte ich alle anderen Besucher und hatte so den besten Überblick. Die Druckerhersteller hatten zwar zum Teil Niederlassungen in Deutschland. Aber ich überzeugte sie davon, dass wir über unser Händlernetz effizienter sind. Es dauerte nicht lang, da hatten wir die Vertriebsrechte für Juki und Brother.'