Gebrauchte Software

Alles Neue macht der EuGH - oder doch nicht?

30.07.2012
In den letzten Wochen ist das Thema gebrauchte Software abermals in den Blickwinkel einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Treiber waren nicht (nur) die PR- und/oder Marketingaktivtäten eines Händlers, Herstellers oder Interessensverbands, sondern vielmehr ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Axel Oppermann, Senior Advisor bei der Experton Group
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In den letzten Wochen ist das Thema gebrauchte Software abermals in den Blickwinkel einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Treiber waren nicht (nur) die PR- und/oder Marketingaktivtäten eines Händlers, Herstellers oder Interessensverbands, sondern vielmehr ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Kommentar von Axel Oppermann (Experton Group)
Gebrauchte Download-Software darf grundsätzlich weiterverkauft werden. Das hat der EuGH im Streit zwischen einem Gebrauchtsoftware-Händler und einem Softwarehersteller entschieden.

Worum ging es hier im Kern?

Der Gerichtshof führt in seinem Urteil aus, dass der Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht nur dann gilt, wenn der Urheberrechtsinhaber die Kopien seiner Software auf einem Datenträger (CD-ROM oder DVD) vermarktet, sondern auch dann, wenn er sie durch Herunterladen von seiner Internetseite verbreitet.
Stellt der Urheberrechtsinhaber seinem Kunden eine - körperliche oder nichtkörperliche - Kopie zur Verfügung und schließt er gleichzeitig gegen Zahlung eines Entgelts einen Lizenzvertrag, durch den der Kunde das unbefristete Nutzungsrecht an dieser Kopie erhält, so verkauft er diese Kopie an den Kunden und erschöpft damit sein ausschließliches Verbreitungsrecht.
Durch ein solches Geschäft wird nämlich das Eigentum an dieser Kopie übertragen. Somit kann sich der Rechtsinhaber, selbst wenn der Lizenzvertrag eine spätere Veräußerung untersagt, dem Weiterverkauf dieser Kopie nicht mehr widersetzen.
Außerdem erstreckt sich die Erschöpfung des Verbreitungsrechts auf die Programmkopie in der vom Urheberrechtsinhaber verbesserten und aktualisierten Fassung. Selbst wenn der Wartungsvertrag befristet ist, sind die aufgrund eines solchen Vertrags verbesserten, veränderten oder ergänzten Funktionen nämlich Bestandteil der ursprünglich heruntergeladenen Kopie und können vom Kunden ohne zeitliche Begrenzung genutzt werden.

Die Richter haben in ihrer Argumentation relativ weit ausgeholt und hierbei nicht nur einfach die drei Kernfragen des Bundesgerichtshofs (BGH) (dieser hatte das EuGH zur Klärung der Sachlage angerufen) beantwortet, sondern das Thema in einen breiteren Kontext gestellt. Dies hat einige Markteilnehmer ziemlich verblüfft. Auch unterscheidet sich die Interpretation des Urteils je nach Blickwinkel - also Händler oder Softwarehersteller - erheblich.

Wie sehen es die Anwenderunternehmen?

Während Rechtsgelehrte, PR-Experten und Marketiers in beiden Lagern sich mit der Auslegung des Urteils und einer interessenskonformen Verbreitung an die Öffentlichkeit beschäftigten, haben wir - auch ausgelöst durch Anfragen einiger unserer Anwenderkunden - eine kleine adhoc-Befragung bei 138 Entscheidern in Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitern durchgeführt.. Bereits seit dem Jahr 2006 beschäftigen wir uns stark mit dem Thema, und haben insbesondere in den Jahren 2006 bis 2008 sowie im Jahr 2010 einige Untersuchungen durchgeführt. Hierzu zählten neben Breitenbefragungen auch Gespräche mit Anwendern und Anbietern.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass lediglich 14 Prozent der betreffenden Entscheider in den Unternehmen der Meinung sind, dass mit dem jüngsten EuGH-Urteil alle rechtlichen Rahmenparameter in Bezug auf gebrauchte Software geklärt sind. Bei Unternehmen mit 2.500 und mehr Mitarbeitern sind es sogar nur 8 Prozent. Insgesamt gaben jedoch auch 72 Prozent der Entscheider an, dass sie das Urteil nicht kennen - bzw. nicht beurteilen können.

Anders sieht es bei den Beschaffungs- und/oder Verkaufsabsichten aus. Hier geben nur vier Prozent der Befragten an, dass sie in den kommenden zwölf Monaten gebrauchte Software erwerben wollen - respektive eine Verwertung vornehmen wollen.
Hierbei steht dann auch nur die Deckung einzelner Software-Bedarfe im Fokus - also keine vollumfängliche Beschaffung. Kurzum: Gebrauchtsoftware ist aktuell somit nur für eine Minorität der Entscheider für ausgewählte Beschaffungsanforderungen ein adäquates Szenario. Dessen ungeachtet sind bereits heute 30 Prozent der Befragungsteilnehmer der Überzeugung, dass es sich bei diesem Modell grundsätzlich aber um einen alternativen Beschaffungsweg handelt. Werden diese Werte mit denen aus dem Jahr 2007 verglichen, ergibt sich eine deutliche Steigerung. So gaben seinerzeit 20 Prozent der Befragten in Unternehmen mit bis zu 199 Mitarbeitern (und 15 Prozent in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern) an, dass gebrauchte Software ein alternativer Beschaffungsweg ist.

Zusammenfassung

Das Interesse am Thema gebrauchte Software - sowohl was den Verkauf als auch die Beschaffung angeht - ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Entscheidungen, wie die des EuGH, treiben die Diskussion. Gebrauchte Software wird von immer mehr Entscheidern als ein alternativer Beschaffungsweg gesehen; jedoch von den wenigsten auch genutzt.

Auch wird klar, dass das Thema Gebrauchtsoftware in den Unternehmen - und den Köpfen der Entscheider - noch nicht umfassend präsent ist, bzw. unter dem Aufmerksamkeitsradar fliegt. Es wird aber auch klar, dass Gebrauchtsoftware ein zunehmendes Risiko für die Hersteller von Software, ihre Lizenzmodelle und Beziehungen zu ihren Partnern (IT-Channel) wird.

Fazit und Empfehlung

Zwar stärkt der EuGH mit dem Urteil den Markt, allerdings herrscht noch keine vollständige Klarheit für den gesamten Markt. So gibt es noch immer unterschiedliche Auffassungen zu wichtigen Themen - beispielsweise dem "Aufteilen von Sammellizenzen". Der EuGH hat hierzu zwar Stellung bezogen. Die unterschiedlichen Parteien (Software-Industrie und Händler) interpretieren dies jedoch noch stark unterschiedlich. Auch ist das tatsächliche Handling - also eine mögliche operative Umsetzung - aus unserer Sicht noch unklar.

Die Entwicklungen am Markt für gebrauchte Software haben auch Auswirkungen auf andere Themen im Kosmos der Unternehmens-IT und den Beziehungen zur Industrie. Ziel ist die oftmals zitierte "Augenhöhe". Es gilt dabei, die Interessen aller Beteiligten zu wahren.
Bezogen auf den Markt für gebrauchte Software muss die Wirklichkeit - also der Markt - schneller werden als die juristische Diskussion. Hierzu müssen sich alle Beteiligten - auch die Anwender - einer zielführenden Aussprache stellen. Ziel muss es sein, einen marktkonformen Konsens zu finden.
Ein Rückblick auf die vergangenen Jahre zeigt, dass Aktionen mit Debattierclub-Charakter keinen Nutzen stiften. Insbesondere das Verhalten vieler IT-Verantwortlicher wirkt vor diesem Hintergrund als störend. Aus Angst vor Restriktionen (Audits) scheuen viele der mächtigen IT-Manager eine öffentliche Diskussion - insbesondere dann, wenn sie bereits Lizenzen über diesen Weg erworben haben.
Die Folge ist ein asymmetrischer Markt, der mittelfristig ein Nischendasein fristen muss. Der Markt wird sich nur dann essenziell weiterentwickeln, wenn auch die Anwender ihren Beitrag erbringen. Sie sind keine Bittsteller, sondern Kunden der Software-Industrie mit konkreten Bedarfen. Ziel muss ein Konsens sein, der die Interessen aller Beteiligten sicherstellt

Ferner besteht sicherlich der Bedarf für eine Clearing-Stelle und eine Normierung der Prozesse; auf jeden Fall besteht ein Bedarf an pragmatischen Regelungen. Hierzu müssen die Händler der gebrauchten Software, die Hersteller sowie die Anwenderunternehmen - respektive deren Vertretungen - an einen Tisch.

Die Experton Group empfiehlt Anwenderunternehmen weiterhin, sich kritisch mit der Option Gebrauchtsoftware zu beschäftigen. Es gilt jedoch, die Anforderungen an die Anbieter dieser gebrauchten Lizenzen zu steigern - insbesondere bei Volumenlizenzen. Hierzu zählen deutlich transparentere und verbesserte Preise, Absicherungen (Avale) gegen Forderungen Dritter (beispielsweise der Softwarehersteller) sowie Einbeziehung der Hersteller in den Übertragungsprozess.

(rb)