Stationärer Handel vs. E-Tailer

Alle setzen auf Multi-Channel

05.06.2012
Das Trendthema Mult-Channel ist in der Realität angekommen: Bis auf wenige Skeptiker setzen inzwischen fast alle stationären Handelsketten auf den E-Commerce. Gleichzeitig bauen die Onlinehändler ihr Store-Konzept weiter aus.
Ob Elektroketten oder E-Tailer: Alle setzen auf Multi-Channel.

Das Trendthema Multi-Channel ist in der Realität angekommen: Bis auf wenige Skeptiker setzen inzwischen fast alle stationären Handelsketten auf den E-Commerce. Gleichzeitig bauen die Onlinehändler ihr Store-Konzept weiter aus.

Der Hintergrund für diesen Trend liegt in einer tiefgreifenden Veränderung des Konsumentenverhaltens, wie auch eine aktuelle Studie des renommierte Beratungsunternehmen Roland Berger über den "Markt für Unterhaltungselektronik in Deutschland" zeigt: Abhängig von den zu erwartenden Veränderungen der Branchenstruktur sowie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entwerfen die Studienautoren dabei vier Szenarien für die Entwicklung bis 2016. Diese reichen von einer Fachhandels-dominierten Zukunft über ein Hersteller-zentriertes Szenario bis hin zum ungebremsten Schnäppchen-Wahn. Ein Trend ist dabei allen Zukunftsszenarien gemeinsam: Die ständig wachsende Bedeutung des Onlinevertriebs.

Von 14 Prozent im Jahr 2006 ist der Onlineanteil bis 2010 auf 21 Prozent gestiegen und liegt inzwischen bei rund einem Viertel. "Die deutsche Vertriebslandschaft für Unterhaltungselektronik wird sich auch in den kommenden Jahren weiter verändern, vorangetrieben durch das Internet", lautet das Fazit der Studie von Roland Berger. Als geeignete Maßnahme für den Handel sehen die Studienautoren vor diesem Hintergrund vor allem eine Handlungsoption: "Händlern von Unterhaltungselektronik empfehlen wir, sich szenariounabhängig starke Kompetenzen im Bereich Multi-Channel Retailing aufzubauen." Denn in jedem der in der Studie entwickelten Szenarien würden Kunden Waren verstärkt online, aber auch weiterhin per Telefon oder im stationären Handel einkaufen.

Kanal-Mix als Umsatztreiber

Die Studie von Roland Berger unterstreicht die Umsatzverschiebung in Richtung Online

Das Beratungsunternehmen Roland Berger liegt damit auf einer Linie mit den regelmäßig erhobenen Zahlen der großen Handelsverbände. So verzeichnete der Einzelhandelsverband HDE im vergangenen Jahr einen Online-Umsatz in Höhe von 26,1 Milliarden Euro - eine Steigerung von rund 10 Prozent gegenüber 2010. Im laufenden Jahr sollen die Online-Umsätze zudem um 13 Prozent auf 29,5 Milliarden weiter anwachsen. Dabei sieht HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth auch Chancen für den stationären Handel: "Online-Handel und stationärer Handel ergänzen sich immer stärker." Während heute viele Verbraucher das Internet als Informationsquelle für ihre Einkäufe im Laden nutzten, informierten sich Andere im stationären Handel, um dann Waren bequem zu bestellen und nach Hause geliefert zu bekommen. "Immer mehr stationäre Händler haben die Chancen erkannt und werden selbst im Internet aktiv", so Genth.

Noch deutlicher zeichnet sich der Online-Trend beim Versandhandelsverband bvh ab. Hier war das Online-Geschäft mittlerweile für rund 64 Prozent des 2011 erwirtschafteten Branchenumsatzes verantwortlich. Während für die gesamte Versand-Branche im laufenden Jahr ein Wachstum von 7,4 Prozent erwartet wird, sollen die Online-Versender um ganze 16,5 Prozent zulegen können. "Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen hier die Multi-Channel-Versender", erklärt bvh-Hauptgeschäftsführer Christoph Wenk-Fischer. So rangierten bei den Gesamtumsätzen die Stationärhändler, die zusätzlich in den Interaktiven Handel im Netz oder per Katalog eingestiegen sind, auf dem ersten Platz. Und auch bei den reinen Online-Umsätzen lägen Versender, die ihre Heimat im Stationärhandel haben, obenauf: Diese konnten 2011 gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent zulegen, während die Internet-Pure-Player "nur" auf ein Wachstum von 31 Prozent kamen.

Kunden erwarten vernetzte Kanäle

"An der Kundenakzeptanz wird Multi-Channel nicht scheitern": Oxid-CEO Roland Fesenmayr
Foto: Oxide eSales

"Multi-Channel Commerce ist das am schnellsten wachsende Marktsegment", erklärt auch Roland Fesenmayr, CEO des beliebten Shopsoftware-Herstellers Oxid eSales. So sei gerade beim Mehrkanal-Handel derzeit die größte Innovationsgeschwindigkeit zu beobachten. "Markenhersteller und stationärer Handel sind zunehmend dabei, die Kanäle zu verschmelzen um übergreifende Customer-Journeys zu kreieren", so Fesenmayr. Zwar gebe es auch Online-Pureplayer, die den Schritt in stationären Handel wagten. Doch sei das eher die Ausnahme und hätten Multi-Channel-Strategien für Hersteller und stationäre Händler eine deutlich höhere Relevanz. "Trotz aller Unkenrufe: Die Online-Kompetenz ist schneller zu erwerben, als die jahrzehntelange Erfahrung im stationären Handel", fasst Fesenmayr die Erfahrungen seiner Kunden zusammen.

Gerade das Beispiel der großen Elektronik-Ketten zeigt, dass der Trend zur Mehrkanal-Aufstellung voll im Gange ist. Alleine in den letzten Monaten richtete sich Media-Saturn (MSH) mit den Onlineshops Saturn.de und Mediamarkt.de als Multi-Channel-Händler neu aus, kündigte Euronics eine Verstärkung seiner kanalübergreifenden Aktivitäten an und eröffnete Expert nach einen zentralen Onlinestore. Glaubt man den Mitteilungen aus der MSH-Konzernzentrale in Ingolstadt, ist der Einstieg in den Multi-Channel-Handel gar nicht so schwer. Obwohl die Online-Aufstellung des Retailers erst Ende 2011 abgeschlossen wurde, lag der kombinierte Umsatz von Saturn.de und Mediamarkt.de im ersten Quartal 2012 bereits bei 56 Millionen Euro. Besonders gerne nehmen die MSH-Kunden dabei das Angebot zur Selbstabholung online bestellter Waren an. So lagen die Abholrate zu Ende des ersten Quartals bei Mediamarkt.de bei 24 Prozent und bei Saturn.de sogar bei ganten 44 Prozent. "Eine hohe Abholrate im Markt unterstreicht die Attraktivität des einzigartigen Mehrkanalangebots", erklärte dazu Metro-Vorstandschef Olaf Koch.

Doch ist die Umsetzung einer Multi-Channel-Strategie wirklich so einfach? "Ja", meint Oxid-Chef Roland Fesenmayr, "an der Kundenakzeptanz wird Multi-Channel nicht scheitern." Im Gegenteil: Hätten sich erst einmal Best-Practises am Markt etabliert, würde die nahtlose Verzahnung der Kanäle schnell die Erwartungshaltung der Kunden bestimmen. "Der Kunde geht dann schlicht davon aus, dass jeder Kanal vom anderen weiß und wird die entsprechenden Services fordern. Andernfalls ist er von der Marke enttäuscht", erklärt Fesenmayr.

Multi-Channel-Skepsis: EP will abwarten

EP-Chef Jörg Ehmer wartet noch auf ein tragfähiges Multi-Channel-Modell

Bei aller Multi-Channel-Begeisterung gibt es jedoch auch Marktteilnehmer, die weiterhin davor zurückschrecken ihr stationäres Handelskonzept auf den Online-Bereich zu erweitern. Zu den prominentesten Skeptikern zählt hier Jörg Ehmer, Vorstandschef der Verbundgruppe Electronic Partner (EP). "In Deutschland und Europa gibt es aus meiner Sicht im CE-Bereich bisher niemanden, der ein nachhaltig tragfähiges Konzept für eine Verbindung von stationärem Geschäft und Online vorweisen kann", lautet das Credo von Ehmer. Als Konsequenz verzichtet EP, das seinen Netshop 2009 einstellte, auf ein aktives Engagement im E-Commerce und bietet auf seiner Webseite nur Kundeninformationen und Details zu den angeschlossenen Händlern. Doch sollte man Ehmer nicht als ewiggestrigen Online-Verweigerer abtun: "Egal ist uns das Thema Online überhaupt nicht. Wir stellen uns nur die Frage, was der richtige Zeitpunkt ist, um in den Onlinehandel einzusteigen." Die Aufgabe der Verbundgruppe sei es, ihren Mitgliedern ein wirtschaftlich tragfähiges Modell zu bieten. Und dies - meint Ehmer nicht zuletzt mit Blick auf den Branchen-Platzhirsch MSH - sei derzeit mit einer Multi-Channel-Strategie einfach noch nicht möglich.

Erfolgsbeispiele: PC-Spezialist und Notebooksbilliger.de

Synaxon-Chef Frank Roebers macht den Fachhandel mit Multi-Channel-Strategien zukunftsfit

Vielleicht sollte Ehmer seinen Blick statt nach Ingolstadt aber einfach in Richtung Bielefeld richten. Dort befindet sich in Schloss Holte-Stukenbrock der Sitz der Franchisegruppe PC-Spezialist, der es immer besser gelingt, aus der Verbindung von stationärem Fachhandel und Onlinegeschäft echte Synergieeffekte zu erzielen. "Auch stationäre Kunden recherchieren mit großer Mehrheit ihren Kauf vorher im Netz", erklärt Frank Roebers, Vorstand der PC-Spezialist-Muttergesellschaft Synaxon, die Motivation für seine Strategie: "Da ist es wichtig, dass man mit Produkten und Preisen auch gefunden werden kann." Reine Informationsseiten würden diesen Zweck nicht erfüllen. Das gleiche gelte, wenn man auf seiner Webpräsenz zwanghaft versuche, den Kunden ausschließlich zum Kauf auf die Fläche zu bewegen oder Aufträge für Onlinebestellungen an die stationären Händler zum Versand weiterleite. "Wir wollen unsere Kunden sowohl auf die Möglichkeiten des stationären Kaufs hinweisen als auch die Möglichkeiten der normalen Onlinebestellung bieten", erklärt Roebers die Zielsetzung von PC-Spezialist. Auch in diesem Jahr werde die Franchisekette die Verknüpfung der beiden Welten weiter vorantreiben. "Dabei geht es nicht in erster Linie um Abholmöglichkeiten in den Läden, sondern um die Verknüpfung der Hardware mit Dienstleistungen, die von unseren Partnern erbracht werden." So gibt es auch heute schon im Onlineshop von PC-Spezialist nicht nur IT-Hardware zu kaufen, sondern können Kunden auch stationäre Dienstleistungen zu deutschlandweiten Festpreisen buchen - ein Konzept, das nicht nur über den Multi-Channel-Standard hinausgeht, sondern auch bei den Partnern auf positive Resonanz trifft.

Wie viel Sinn macht Multi-Channel für E-Tailer?

Richtig konzipiert kann die kanalübergreifende Kundenansprache für den stationären Handel also durchaus einen Mehrwert bieten. Doch gilt dies auch in gleichem Maße für den Onlinehandel? Jochen Krisch, E-Commerce-Berater und Betreiber des renommierten Branchen-Blogs Exciting Commerce, ist hier skeptisch: "Wer wachsen will, macht Pure Play, wer nicht verlieren will, Multi-Channel", lautet seine Devise. Für Krisch sind sämtliche Multi-Channel-Strategien Abwehrstrategien, mit deren Hilfe stationäre Händler versuchten, ihr bestehendes Geschäft zu verteidigen und nicht vollends den Anschluss zu verlieren. "Es geht nicht darum, ob online besser ist als stationär. Beides hat seine Berechtigung. Man sollte sich nur nicht der Illusion hingeben, dass diejenigen am erfolgreichsten sind, die auf allen Hochzeiten tanzen." Internet Pure-Player wie Amazon demonstrierten mit großem Erfolg, dass man nicht nur von der Konzentration auf einen stark wachsenden Online-Markt profitieren, sondern diesen durch die bewusste Fokussierung auch aktiv mitgestalten könne. "Diese Chance haben jedoch nur Händler, die sich konsequent auf den Online-Handel und seine ganz eigenen Spielregeln einlassen", meint Krisch.

Von den Kunden zum Multi-Channel "gezwungen": Notebooksbilliger-Chef Arnd von Wedemeyer

Doch nicht alle Erfolgs-Etailer folgen der Linie des E-Commerce-Experten. So betreibt Cyberport mittlerweile in Deutschland und Österreich insgesamt sechs Ladengeschäfte und ist auch Notebooksbilliger.de mit stationären Stores in München und Sarstedt vertreten. "Multi-Channel ist immer ein Kostentreiber und erhöht natürlich die Komplexität von Geschäftsmodellen", räumt Notebooksbilliger.de-Chef Arnd von Wedemeyer ein. "Beides sind Faktoren, die mir nicht sonderlich sympathisch sind. Trotzdem betreiben wir unsere Stores so erfolgreich, das wir weitere Standorte suchen." Gegenüber Channelpartner vertritt Wedemeyer die Ansicht, dass die Kunden genau wie im Online-Segment auch bei einem Storeangebot vor allem auf der Suche nach einem spezifischen Nutzen seien. "Wir scheinen hier den Nerv getroffen zu haben mit einem klar fokussierten Sortiment, attraktiven Online-Preisen und guter Beratung", so der Notebooksbilliger.de-Chef.

Dass immer mehr stationäre Händler ein zweites Standbein im Onlinehandel suchen, betrachtet Wedemeyer jedoch gelassen. "Der stationäre Handel schaut verständlicherweise, wohin die Umsätze gehen - und möchte sein Stück vom Kuchen haben." Auch die vom neuen Online-Wettbewerber MSH ausgehende Gefahr schätzt er nicht zu hoch ein: "Ich glaube, das Media-Saturn uns Onlinern hilft, die bisherigen treuen stationären Kunden schneller ins Netz zu bringen. Das bewerte ich für uns sehr positiv." Beim Thema Multi-Channel ist für Wedemeyer das Stationärgeschäft ohnehin nur einer von mehreren Aspekten. Für Notebooksbilliger.de zählten auch Online-Trends wie Social und Mobile zu einem Mehrkanal-Modell. "Im Bereich Social Media spielen wir in unserem Segment inzwischen die klare Key Player Rolle", erklärt der Firmenchef nicht ohne Stolz. Sein Multi-Channel-Resümee: "Ganz klar ist die direkte bidirektionale Kommunikation mit unseren Online-Kunden für uns wichtiger als ein Storekonzept - das eine schließt das andere aber erfreulicherweise nicht aus." (mh)

Weitere Beiträge zum "Top-Thema: E-Commerce" - darunter ein Exklusiv-Interview mit Redcoon-Geschäftsführer Reiner Heckel - lesen Sie an dieser Stelle in den nächsten Tagen.