Viele Firmen haben keine Strategie für mobile Technologien - immer noch nicht. Keine Neuigkeit, könnte man sagen. Und zwar dann, wenn diese Erkenntnis aus Deutschland oder überhaupt aus Europa käme.
Sie stammt allerdings aus dem Land des notorischen technologischen Fortschritts, ermittelt von Robert Half Technology. Demnach geben 28 Prozent der US-amerikanischen CIOs frei von der Leber zu, momentan keine mobile Strategie zu haben.
App-Web-Mischmasch herrscht vor
Letztlich erweist sich damit auch derjenige der technologischen Megatrends als problematisch, der zunächst aus IT-Sicht den unkompliziertesten Eindruck machte - jedenfalls im Vergleich zur Wolke, zum undurchdringlichen und verdächtigen Big Data-Hype oder zum halben Marketing-Ding Social Media.
Momentan trommeln in Europa und global beispielsweise Forrester Research und Gartner für bessere strategische Unterfütterung des Themas Mobility. Und nun kommt Robert Half - immerhin auf Basis von mehr als 2300 eingeholten CIO-Stimmen - mit der Botschaft um die Ecke, dass die IT-Chefs in den USA nicht wirklich weiter sind.
Ein Drittel der Firmen dort hat also keine mobile Strategie. Und 56 Prozent setzen auf einen Mischmasch - soll heißen, einen Mix aus Apps und Webseiten, die auch mobil gut laufen. Branchenspezifisch zeigen sich Business-Dienstleister und der Handel als Vorreiter, während das strategische Defizit bei Healthcare-Unternehmen mit 36 Prozent besonders ausgeprägt ist.
Probleme wegen Compliance
"Compliance-Fragen haben es der Gesundheitsbranche schwer gemacht, so schnell wie andere mobile Angebote bereitzustellen", kommentiert Robert Half-Analyst John Reed. "Aber je stärker die Kundennachfrage nach mobilen Gesundheitsinformationen wächst, desto mehr werden formelle mobile Strategien zu einem überfälligen nächsten Schritt."
Offenkundig ist dieser aber selbst in den USA nicht allein von Healthcare-Firmen bislang nicht gegangen worden. 58 Prozent der befragten Unternehmen haben nach eigenen Angaben bisher keine mobilen Apps für Kunden entwickelt und werden das auch in einem Jahr noch nicht getan haben.
Weitere 22 Prozent planen Angebote immerhin binnen der kommenden zwölf Monate, nur 18 Prozent verfügen darüber bereits jetzt. Mittelfristig werden sich mobile Apps für Kunden aber nach Einschätzung von Robert Half von Kür- zu Pflichtangeboten entwickeln.
"Sinn eines Business Cases zweifelhaft"
Wie weit der Weg dahin auch hierzulande noch ist, hat unlängst Henning Dransfeld, Analyst bei Forrester Research, in einer Kolumne für CIO.de analysiert. Laut Dransfeld gestalten die IT-Abteilungen europäischer Unternehmen zwar durchaus aktiv den mobilen Zugriff der Mitarbeiter auf Unternehmensanwendungen. "In diesem Zusammenhang nimmt das Thema ROI-Kalkulation für Investitionen in mobile Technologien einen wichtigen Stellenwert ein", so der Forrester-Analyst. "Doch der Sinn eines einzelnen Business Cases ist zweifelhaft, wenn das große Bild nicht steht."
Bring-your-own device (BYOD) sei dafür ein Beispiel. Auf der einen Seite stünden Einsparungen, wenn Mitarbeiter ihre Endgeräte selbst einkaufen. Auf der anderen Seite komme es zu Kosten für erhöhte Anforderungen an die Governance, an die Abstimmung und Kommunikation einer BYOD-Policy, an zusätzliches Monitoring und an zusätzliche Sicherheitsstrukturen. "Zudem kommt es zu höheren Ausfällen durch die fehlende Unterstützung von Geräten, die die IT-Abteilung einfach nicht kennt", so Dransfeld in seiner Kolumne vom vergangenen Oktober.
Damals forderte Dransfeld eine bereichsumfassende und gezielte Mobile Engagement Strategie ein und berichtete, dass europäische IT-Entscheider einer solchen Strategie eine sehr hohe Bedeutung beimessen würden. Mittlerweile ist der Forrester-Experte in eine Studie und in Blog-Einträgen in seiner Analyse einen Schritt weitergegangen. Um es zuzuspitzen: BYOD, der einstige Hype, scheint von Forrester Research mehr oder weniger beerdigt worden zu sein.
Forrester: "BYOD spart kein Geld"
Anders als in den USA bereite BYOD europäischen Unternehmen viele Kopfschmerzen, schreibt Dransfeld in einer Studie mit dem bezeichnenden Titel "Demystifying BYOD in Europe". "Die schlechte Nachricht ist, dass - anders als gemeinhin angenommen - BYOD-Programme Herausforderungen darstellen und wahrscheinlich kein Geld sparen", so der Analyst weiter. "Die gute Nachricht ist, dass es alternative Optionen für diejenigen gibt, die investieren und Mobility proaktiv vorantreiben wollen."
Durchaus scharfe Worte also, zu denen sich im Lichte eines Beitrags im Forrester-Blog eine Henne-Ei-Frage stellt. Denn Forrester stimmt den Grabgesang auf BYOD an, nachdem offenbar die europäischen Anwender selbst den Sarg gebaut und auch gleich die Erde darauf gekippt haben. "Das Geschäftsklima in Europa begünstigt einen BYOD-Einsatz nicht", so Dransfeld. Die Gründe dafür seien vielfältig: zu befürchtende Kostenexplosionen beim Roaming, Regulierungen im Arbeitsmarkt, Datenschutzgesetze, Steuern, nicht zuletzt Bedenken, den Mitarbeitern die Verantwortung für die Security zu überantworten.
BYOD-Strategien sind die Ausnahme
Dass alles das auch eine strategische Komponente und damit eine Verbindung zum Robert Half-Befund in den USA hat, zeigt folgendes Urteil von Forrester Research: "BYOD passiert in Europa zufällig." Es gebe im Grund lediglich den Druck der Mitarbeiter, die mit ihren eigenen Geräten arbeiten wollten. "Offizielle BYOD-Strategien stellen eher die Ausnahme als die Regel dar", so Dransfeld. Nur 15 Prozent der Unternehmen seien bislang über die Pilotphase hinausgekommen; und nur 9 Prozent bezögen Tablets mit ein.
"In diesem Klima ist es keine Option, nichts zu tun", lautet das Fazit des Analysten. "Es ist zwingend, jetzt eine Entscheidung über BYOD zu fällen und eine Strategie auszurollen." Wer sich gegen BYOD entscheide, habe auch noch andere Möglichkeiten, die Mitarbeiter mit mobilen Endgeräten auszurüsten.
Choose-Your-Own-Device und Horses for Courses
Forrester nennt hier erstens Choose-Your-Own-Device (CYOD): Die Mitarbeitern können Smartphones und Tablets aus einer Shortlist auswählen; das Unternehmen kauft die Geräte ein und sorgt für Support und Management. Die zweite Alternative heißt "Horses for Courses": Die IT-Abteilung entscheidet anhand spezifischer Rollen, welche Geräte mit welchen Workflow-Applikationen ausgestattet werden. Das richtige Pferd also fürs jeweilige Gelände.
Gartner fordert Applikationsstrategie
Gartner stimmt im Übrigen nicht in den Abgesang mit ein. BYOD sei allerdings keine Einkaufsfrage, sondern kreise um die richtige Applikationsstrategie. "BYOD sollte ein Design-Prinzip sein, das ein Unternehmen mit einem Anbieter-neutralen App-Portfolio und einer flexiblen und zukunftssicheren Architektur ausrüstet", sagt Gartner-Analyst Darryl Carlton. "Wenn die Apps technologische Beschränkungen aufweisen, die Auswahl und Einsatz limitieren, dann ist die Einkaufsstrategie bedeutungslos."
"Irreversibler Wandel" durch BYOD
BYOD sei ein Indikator dafür, dass die interne IT für einen Teil der User nicht den passenden Support bereitstelle. Deshalb bedienten diese Nutzer sich anderswo. "Aus CIO-Sicht wäre es ein fataler Irrtum zu glauben, BYOD-Aktivitäten in ihrer Organisation einen temporäres Problem, das von wenigen fehlgeleiteten Mitarbeitern verursacht wird", so Carlton. "Es geht um einen dauerhaften und irreversiblen Wandel der Art und Weise, in der IT für das Unternehmen, die Partner und die Kunden bereitgestellt und implementiert wird."
Nach Ansicht Gartners sollten die Unternehmen Strategien entwickeln, die auf der Annahme basieren, dass BYOD unvermeidlich ist und dass Support auch außerhalb der Firmengrenzen bereitgestellt werden muss. Das bedeute insbesondere, dass so schnell wie möglich offene Standards für alle Lösungen benötigt werden.