Cloud Computing hat das Zeug zu einem neuen Paradigma, das belegt eine aktuelle Studie aus dem Hause Lünendonk. Vier CIOs aus Milliardenkonzernen diskutieren die Ergebnisse und berichten, was sie wann und warum in welche Cloud auslagern würden - und was nicht.
von Alexander Freimark
Geht es um die Cloud, geht es zuerst um Kosten, Nutzen und Bedenken. Vier IT-Manager diskutierten darüber in einem Roundtable-Gespräch mit Hartmut Lüerßen vom Analystenhaus Lünendonk, das jüngst eine Studie zum Thema veröffentlich hat. Offizielles Thema der Runde waren "Anbietertypologien, Services und Lösungen im Ausblick" - doch letztlich ging es um die Zukunft der IT.
Die vier CIOs betonen, dass die Cloud zwar an vielen Stellen zu teuer oder schlicht noch nicht reif ist. Trotzdem klingt durch, dass der schleichende Wandel größer ausfällt als heute gemeinhin unterstellt. Doch zunächst zu den bodenständigen Themen:
1. Die Kosten
"IT-Budgets sind trotz Innovation begrenzt, und wir müssen Geld im eigenen Unternehmen finden", betonte Thilo Press, CIO des skandinavischen Papier- und Holzkonzerns Stora Enso. Schließlich sei das Unternehmen gerade dabei, Märkte in China und Lateinamerika zu erschließen und Milliarden zu investieren. "Auch deshalb sind Kosten ein wichtiges Thema." Augenscheinlich sollte das perfekt zur Cloud passen - immerhin nannte der größte Teil der Befragten in der Lünendonk-Studie die Kostenreduzierung als wesentlichen Vorteil der Nutzung von Cloud-Services (siehe Grafik 1).
Nur leider, räumte Press ein, "haben wir Kostenanalysen über die Cloud gemacht, verschiedene Produkte bewertet und nochmals nachgerechnet. Doch wir konnten zumindest im Bereich der klassischen IT-End-User-Services keinen Rturn on Investment innerhalb von zwei bis drei Jahren zeigen". Aber das werde sich ändern, so Press, da die Anbieter mit verbesserten Preismodellen den Markt testen würden.
In Private Clouds sei ohnehin schon viel eingespart worden, sagte Werner Schultheis, Deutschland-CIO beim niederländischen Personaldienstleister Randstad: "Allein die Stromkosten für unsere Fat Clients waren früher immens hoch."
Heute betreibe das Unternehmen in seinen über 500 Niederlassungen nur noch Thin Clients über Server-based Computing und virtualisierte Server, berichtete Schultheis: "Wenn man das Cloud nennt, ist es alter Wein in neuen Schläuchen." Auf jeden Fall sei hier das Sparpotenzial schon längst realisiert - "viel wichtiger ist die Möglichkeit zur Flexibilisierung der Kosten". Dass die Cloud als reine Sparmaßnahme zu kurz greift, bestätigte auch CIO Press von Stora Enso: "Nur wenn Sie den Kostenbegriff weiter fassen, also den Wandel von Investitionen in Betriebskosten berücksichtigen, bietet Ihnen die Cloud eine Menge Potenzial."
Stefan Ihringer, CIO von Mann + Hummel, stieß ebenfalls schon an die Grenzen der Cloud. "Meine absoluten IT-Kosten steigen - das kann ich drehen und wenden, wie ich will." Zwar habe er das Niveau konstant auf unter zwei Prozent vom Umsatz reduziert, doch müsse er zwingend aus dem Betrieb der Infrastruktur das Budget freischaufeln, um Projekte zu finanzieren, mit denen die Geschäftsprozesse unterstützt werden.
"Da ist die Cloud - in welcher Form auch immer - ein Hilfsmittel, das Ziel zu erreichen." Allerdings stieg der Anteil der Software an den IT-Sachkosten in den vergangenen Jahren von rund 30 auf 40 Prozent, schätzte Ihringer. "Und diese Software bekomme ich einfach nicht Cloud-fähig." Es sei unrealistisch, SAP abzuschaffen, "um etwas Billigeres zu nehmen" - abgesehen vom geschäftlichen Minderwert. "Die Cloud", ist sich der CIO sicher, "wird beileibe nicht alle Probleme lösen können."
Viele Antworten in der Studie seien IT-lastig, kritisierte Bernhard Winkler, Head of IT Region bei Automotive Lighting Magneti Marelli. "Wir haben jedoch nicht nur die Aufgabe, die Systeme in Betrieb zu halten, sondern wir müssen auch die Vernetzung des Betriebs leisten und Mehrwert für das Business generieren."
Hier gelte es, sinnvolle Cloud-Services zu finden, damit beispielsweise die Umsätze steigen oder die Ausgaben in den Fachabteilungen sinken. "Das ist für mich der große Nutzen."
Aufgabe des CIOs sei es daher, diesen Mehrwert im Geschäftsmodell seines Unternehmens zu erkennen und darüber proaktiv mit dem Business zu diskutieren. Seine Überzeugung: "Durch aktive Arbeit aus indirekten Bereichen wie der IT bekomme ich einen großen Hebel, um wirklich Mehrwert in anderen Abteilungen des Unternehmens zu schaffen."
2. Der Nutzen
Diese Erkenntnis scheint sich allmählich festzusetzen, wie die Studie zeigt (siehe Grafik 2). Demnach soll vor allem die Cloud-Nutzung in den Fachabteilungen wie Finance oder Marketing ausgebaut werden. Neben dem "Dilemma, dass ich die Infrastrukturkosten senken muss", so CIO Ihringer, "ist der Wertbeitrag einer Anwendung für das Unternehmen die wahrscheinlich wichtigste Frage". Dabei geht es auch darum, welche Anwendungen ausgelagert werden.
Der CIO von Mann + Hummel hat dazu bei CRM eine feste Meinung: "Das würde ich nur ungern auslagern oder mit Externen bearbeiten." Für seinen Kollegen Schultheis von Randstad hört bei CRM-Software hingegen "die Liebe auf - da differenziert sich doch niemand mehr". Auch für ihn ist der geschäftliche Mehrwert der Anwendung ein wesentlicher Aspekt des erfolgreichen IT- und Prozess-Managements: "Wenn Sie künftig das Office von Google als Schreibprogramm aus der Cloud nutzen, haben Sie keinen Wettbewerbsvorteil aufgegeben."
CIO Press von Stora Enso verwies auf die Chance, den Anwendern aus der Cloud wieder Lösungen à la Best-of-Breed anbieten zu können: "Die Wolke ist ein Vehikel, um attraktive und innovative Services außerhalb der Standards in unser firmeninternes IT-Service-Portfolio zu integrieren."
Gute Beispiele hierfür gebe es im Privatleben genug - und warum sollten existierende sowie von Benutzern bereits wertgeschätzte Lösungen im Unternehmen neu entwickelt werden?
Auch CIO Ihringer hat eine Entwicklung hin zu Best-of-Breed verzeichnet: "Das Pendel geht stärker in Richtung einer dezidierten Prozessunterstützung aus Sicht des Fachbereichs." Auch sei die Freude über SAP-Standardprogramme nicht immer sehr ausgeprägt. "Das hat sich in meiner beruflichen Laufbahn zwar nicht verändert, aber die Diskussionen über Best-of-Breed haben sich in den zurückliegenden Jahren beschleunigt."
So bezieht Mann + Hummel eine Software für Ausschreibungen inzwischen bewusst aus der Cloud.
3. Die Bedenken
In der Studie tauchten erwartungsgemäß auch alte Bekannte wieder auf: die juristischen Einwände gegen die Cloud. So lagen Datenschutzbedenken, Security-Bedenken und rechtliche Bedenken in der Lünendonk-Befragung immer noch an der Spitze der Liste (siehe Grafik 3): "Diese Punkte halten uns auch noch von der intensiveren Nutzung der Cloud ab", bestätigte Winkler von Automotive Lighting.
Die Klärung der Fragen sei eine Grundvoraussetzung, aber er war sich sicher: "Das wird alles in naher Zukunft adressiert werden." Auch für CIO Schultheis und seine Kollegen sind diese Punkte im Grunde genommen "lösbar", doch räumt der Randstad-Manager auch ein: "Mit den Argumenten halten wir uns in der IT manchmal noch die Veränderungen vom Hals, weil wir nicht schnell genug rennen können." So baut er auf die Unterstützung der Cloud-Anbieter, "denn Sie kommen nur ins Geschäft, wenn die Rechtslage auf beiden Seiten klar ist".
Mindestens eine Herausforderung bleibt den CIOs indes erhalten: der hohe Integrationsaufwand, der in der Lünendonk-Studie gleich nach den juristischen Bedenken gegen die Cloud angeführt wurde. Randstad-CIO Schultheis verwies exemplarisch auf das Management der verschiedenen Datenmodelle: "Sie müssen unbedingt vermeiden, an 20 Stellen Ihre Stammdaten zu pflegen", fordert Schultheis. "Daher sind wir zur Integration verdammt."
Folglich müssten Teile der Governance intern behalten werden, etwa die Nutzerverwaltung, um Mitarbeiter bei allen Cloud-Anwendungen an- und wieder abzumelden: "Sie können ja keinen Account offen lassen." So sieht Schultheis im Business-Datenmodell einen zentralen Wert des Unternehmens und einen Brennpunkt des Integrationsaufwands, wo nebenbei noch die künftige Rolle des CIOs ausgestaltet wird.
"Die Integrationsthematik ist doch eines unserer Kerngeschäfte", argumentierte Stora-Enso-CIO Press, "wir müssen unserem CEO möglichst bald ein Szenario beschreiben, das für ihn greifbar ist." Er sei sich sicher, dass man in der Cloud-Umgebung wieder neu lernen müsse, was in ähnlicher Art und Weise vor Jahren versucht wurde - etwa Siebel in SAP zu integrieren -, "doch dieses Mal integrieren wir komplette End-User-Services und nicht 'nur' Applikationen".
Je näher man den zentralen Geschäftsprozessen komme, desto kritischer werde es. Womit eine Cloud-Daumenregel geklärt wurde: je heikler die Integration, desto wertvoller die Anwendung. "Und wenn kein Business-Value vorhanden ist, erfolgt die Entscheidung auf einer reinen Kostenbasis", schloss CIO Schultheis den Kreis.
So zeigt sich allmählich das wahre Potenzial der Cloud, und umfassende Veränderungen kündigen sich an - etwa bei den IT-Verantwortlichen und ihren Rollen, der Sourcing-Strategie, der Governance und den Aufgaben der Fachabteilungen sowie letztlich bei Lieferanten und Providern, die nicht darauf bauen können, dass ihre Wertschöpfung die Cloud-Effekte unbeschadet übersteht. Selbst etablierte Paradigmen (Client-Server, Standardsoftware) geraten unter Druck, und alte Ansätze wie Best-of-Breed werden plötzlich wieder interessant.
"Durch die Cloud werden uns Spielarten an die Hand gegeben, für die wir uns anders aufstellen müssen", prognostizierte Randstad-CIO Schultheis, "und der Vorteil der Cloud liegt darin, dass unsere Denkmodelle um weitere Lösungen erweitert werden können." Darauf gründe schließlich auch die Rolle des CIOs - Trends zu erfassen und Entwicklungen zu kontrollieren, um danach proaktiv auf Fachbereiche zuzugehen. Das werde sich auch durch die Cloud nicht ändern, warnt Schultheis: "Wenn wir uns nicht bewegen, dann werden uns die anderen bewegen."
(dieser Beitrag wurde von der ChannelPartner-Schwesterpublikation CIO übernommen / rb)