Das Internet macht Politik, 2012 mehr denn je. Die sogenannte Netzgemeinde hat sich mit dem Aus für das Acta-Abkommen als politischer Faktor etabliert. Und die Netzpolitik wird nicht mehr belächelt'
Von Peter Zschunke, dpa
Der Deutsche Bundestag könnte 2013 einen ständigen Internet-Ausschuss bekommen. Und vielleicht gibt es in der nächsten Bundesregierung ein Ministerium mit der Zuständigkeit für die digitale Gesellschaft. Zu Beginn dieser Legislaturperiode wäre das noch undenkbar gewesen. Doch spätestens dieses Jahr hat dafür gesorgt, dass sich die Netzpolitik etabliert hat. "Netzpolitik ist endlich auf der politischen Agenda angekommen, sie ist eine der zentralen Querschnittaufgaben unserer Zeit", sagt Malte Spitz vom Bundesvorstand der Grünen.
"Wir haben einen großen Sprung gemacht", sagt der CDU-Netzpolitiker Thomas Jarzombek im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Vorher wurde die Netzpolitik oft belächelt, Jetzt ist sie zu einem wichtigen, zentralen Politikfeld geworden. Dazu haben viele Dinge beigetragen, unter anderem die Enquete-Kommission, die Piratenpartei oder die Debatte über Acta."
Acta - das war einmal ein internationales Abkommen für ein einheitliches Vorgehen staatlicher Behörden gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet. Verhandelt in Hinterzimmern, offenbar auch unter dem Einfluss von Lobbyisten, und lange Zeit nur wenigen Fachleuten bekannt, löste dieser Vertrag im Februar eine Welle von Protesten aus - erst im Netz und dann auf der Straße. Am 11. Februar gingen mehrere zehntausend Menschen in Deutschland auf die Straße. "Hier demonstriert das Internet", sagte ein Teilnehmer in Berlin. Die Bundesregierung versagte Acta die Unterzeichnung, für das endgültige Aus sorgte das Europaparlament in Brüssel.
Auch andere Netzpolitiker sehen in der Acta-Debatte einen wichtigen Einschnitt - nicht zuletzt auch für die Art, wie Politik und internationale Diplomatie betrieben werden. "Im Jahr 2012 ist die Netzpolitik endgültig den Kinderschuhen im Bundestag entwachsen", erklärt der FDP-Abgeordnete Sebastian Blumenthal. "Die Relevanz des Themengebietes ist mittlerweile allen bekannt und wir Netzpolitiker müssen nicht mehr so mühsam für die Netzpolitik im Berliner Politikbetrieb werben wie noch zu Beginn der Legislatur."
Vernetzung nimmt zu
Wird die Netzpolitik nun schon so ernst genommen wie die Finanz- oder die Außenpolitik? "An der Anerkennung müssen wir noch arbeiten", sagt Jarzombek. Das Besondere an der Netzpolitik sei die hohe Geschwindigkeit bei der Entwicklung ihrer Themen sowie die extreme Vernetzung aller Akteure. CDU und CSU haben dafür Anfang April den Verein cnetz gegründet, der für eine "bürgerliche und verantwortungsvolle" Netzpolitik eintritt, die "Maß und Mitte" gegen "Ideologie und Irrationalität" stellen will.
Weil es bei der Netzpolitik meist weniger um Technik als um Transparenz, Beteiligung und Kultur geht, wird es hier schnell mal kontrovers. Wie lässt sich das Urheberrecht im Internet neu gestalten? Soll es ein Grundrecht auf Informationsfreiheit geben? Muss die Netzneutralität gesetzlich verankert werden? "Bisher waren wir viel zu viel in der Tagespolitik und im Baustellendenken eingespannt", sagt Jarzombek und räumt ein: "Das hat kein gutes Bild nach außen gegeben." Der von der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft empfohlene ständige Bundestagsausschuss könnte auch ein Konzept entwickeln, "wie wir eine digitale Gesellschaft entwickeln und befördern können, wie wir sie gerne haben möchten".
Die Zwischenberichte der 2010 vom Bundestag eingesetzten Kommission lesen sich wie ein Handbuch der Netzpolitik - mit Kapiteln wie Bildung, Datenschutz, Demokratie und Staat, Freie Software, Medienkompetenz, Netzneutralität und Urheberrecht. Zu dem letzten Thema wird die Debatte über das Leistungsschutzrecht (LSR) für Presseverlage auch 2013 noch andauern. Hier haben sich fast alle Netzpolitiker dagegen oder zumindest kritisch aufgestellt. "respekt!", twitterte der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil am Tag der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag, "lese gerade die gemeinsame stellungnahme aller jugendverbände zum LSR - mutig das so geschlossen und so deutlich zu sagen!"
Was Piraten wollen
Wird sich Netzpolitik irgendwann überflüssig machen, wenn das Netz in allen anderen Politikfeldern von vornherein mitgedacht wird? "Das ist eine Zukunftsdebatte", antwortet Spitz. "Ich sehe für die kommenden Jahre genug Aufgaben für einen eigenen Ausschuss." Der Berliner Fraktionsvorsitzende der Piratenpartei, Christopher Lauer, sagt, dass netzpolitische Chancen und Risiken in jedem Politikbereich mitbedacht werden müssten. "Schon 2009 schlugen die Piraten ein Ministerium für die Wissens- und Informationsgesellschaft vor, um diesem Umstand Rechnung zu tragen. Es wäre an der Zeit, ein solches einzurichten."
Bei der letzten Sitzung der Enquete-Kommission lud der Vorsitzende Axel E. Fischer (CDU) interessierte Internet-Nutzer ein, über Twitter Fragen zu stellen - das gab es zu Beginn des Jahres noch nicht. Jetzt "finden die Debatten oftmals im direkten Austausch und unter direkter Beteiligung von Bürgern, Verbänden und Initiativen statt", stellt Blumenthal fest. Das Einmischen und Mitmischen übers Netz wird selbstverständlich.
Das wird 2013 auch im Bundestagswahlkampf spürbar werden. Aber die Sozialen Medien sind kein Bus, auf dem man schnell mal aufspringen kann. "Twitter und Facebook sind Langzeitmedien, sie sind ein Versprechen auf Dialog", sagt Jarzombek. "Damit verspreche ich den Wählern, dass ich auf diesen Kanälen erreichbar bin und zuhöre, wenn sie ein Anliegen haben. Das ist ein Vertrauen, das gerechtfertigt werden will." (dpa/rw)